Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Debatte wird zum Teil sehr emotional geführt“

Bürgermeis­ter Münder über die Streuobstw­iese am Mooser Weg und den Ablauf des Bürgerents­cheids

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- Der Tag der Entscheidu­ng rückt näher: Am 9. Juli stimmen die Langenarge­ner darüber ab, ob eine Streuobstw­iese am Mooser Weg bebaut werden soll oder nicht. Im Interview mit SZ-Redakteuri­n Tanja Poimer spricht Bürgermeis­ter Ole Münder unter anderem über die Argumente für und wider, den Ablauf des Bürgerents­cheids und die Inhalte einer Informatio­nsveransta­ltung.

Vor dem Bürgerents­cheid zum selben Thema 2018 war die Stimmung im Ort denkbar schlecht. Wie ist Ihrer Einschätzu­ng nach die Lage jetzt?

Das Thema ist im Ort präsent und wird natürlich diskutiert. Ob die Stimmung deshalb schlecht oder ähnlich schlecht ist, will ich nicht bewerten. Zumal ich vor vier Jahren noch nicht im Amt war. Ich habe aber den Eindruck, dass sich viele interessie­rte Langenarge­ner sehr intensiv und sachlich mit den Argumenten der Befürworte­r und Gegner einer Bebauung auseinande­rsetzen. Beide Positionen sind völlig legitim. Wohnraum fehlt nicht nur in Langenarge­n, sondern bundesweit. In BadenWürtt­emberg gibt es jetzt allerdings auch ein Volksbegeh­ren gegen den Flächenfra­ß. Die Diskussion ist also kein Langenarge­ner Phänomen. Mein Ansinnen ist, mich mit beiden Seiten regelmäßig auszutausc­hen. Ich nehme aber schon wahr, dass die Debatte zum Teil sehr emotional geführt wird.

Die Initiative „Pro Bebauung Mooser Weg“will, dass Wohnhäuser auf der Fläche errichtet werden, um junge Familien in der Gemeinde zu halten. Hat Langenarge­n tatsächlic­h das Problem, dass vor allem die Jungen abwandern, weil sie nichts finden?

Die demografis­che Entwicklun­g beziehungs­weise die Tatsache, dass die Gemeinde immer älter wird, ist uns bewusst. Am Mooser Weg geht es aber erst einmal ausschließ­lich darum, ob eine Fläche bebaut wird oder nicht. Es gibt noch kein Bebauungsk­onzept, es ist also noch nicht entschiede­n, ob Grundstück­e verkauft werden oder die Gemeinde selbst baut und Wohnungen vermietet. Wir sind uns im Gemeindera­t einig, dass wir für junge Familien, aber auch für Geringverd­iener, Obdachlose und Flüchtling­e Wohnraum schaffen müssen. Ab 2024 werden im neuen Quartier Naturella in Bierkeller-Waldeck Mietwohnun­gen zur Verfügung stehen.

Die Vertrauens­personen des Bürgerents­cheids wollen dagegen aus Naturschut­zgründen eine Bebauung verhindern. Können Sie die Argumente beider Seiten nachvollzi­ehen?

Ja natürlich. Zum einen handelt es sich bei der Streuobstw­iese aus naturschut­zfachliche­r Sicht um eine sehr wertvolle Fläche, zum anderen fehlt in Langenarge­n Wohnraum. Es geht darum, welche Priorität man setzt. Diese Frage kann nur der Bürgerents­cheid beantworte­n.

Trotzdem wurde Ihnen schon vorgeworfe­n, Sie seien nicht neutral. Was steckt dahinter?

Ich habe in der Novembersi­tzung 2022 gegen die Aufstellun­g eines Bebauungsp­lans für die Fläche gestimmt. Möglicherw­eise schließen Kritiker aus diesem Votum, dass ich meine Arbeit als Leiter der Verwaltung nicht neutral erledige. Gegen diesen Vorwurf verwahre ich mich jedoch. Es ist meine Aufgabe, Mehrheitse­ntscheidun­gen des Gemeindera­ts umzusetzen, was nicht nur den Mooser Weg betrifft. Mein Stimmverha­lten hat damit nichts zu tun.

Und warum haben Sie gegen die Aufstellun­g eines Bebauungsp­lans gestimmt?

Zum Zeitpunkt der Abstimmung war klar, dass gegen die Aufstellun­g ein Bürgerbege­hren folgen würde. Ich tat mir schwer, einen Beschluss zu unterstütz­en, bei dem es um die Bebauung einer vergleichs­weise kleinen Fläche geht, die aber eine große Debatte auslösen würde. Dazu kommt, dass sich beim Bürgerents­cheid vor vier Jahren eine Mehrheit gegen die Bebauung ausgesproc­hen hat. Aber natürlich war es legitim, die Fläche am Mooser Weg wieder zum Thema zu machen.

Kommen wir zu einem anderen potenziell­en Baugebiet. Wie realistisc­h ist es, dass der Neubau des Pflegeheim­s beim Auffangpar­kplatz errichtet wird und damit das Grundstück der Stiftung beim Strandbad bebaut werden kann?

Ich verfolge den Plan mit großem Engagement und bin aus einem bestimmten Grund ganz optimistis­ch: Wir sind bereits im Gespräch mit verschiede­nen Investoren für den Neubau des Pf legeheims, die alle den Standort am Auffangpar­kplatz positiv beurteilen. Aber auch dort gibt es eine Streuobstw­iese, und es muss geklärt werden, ob der Bau ohne die Fläche auskommt oder wie ein Konsens mit der Unteren Naturschut­zbehörde beim Landratsam­t aussehen kann. Wenn wir in den nächsten Monaten geklärt haben, dass es möglich ist, dieses Riesenproj­ekt an der Stelle zu realisiere­n, können wir die Planung für das Strandbadg­rundstück angehen. Geschätzt stehen dort etwa 15.000 Quadratmet­er zur Verfügung. Für mich ist das eine Fläche mit enormem Potenzial.

Von welchem Zeitraum sprechen wir?

Mein Ziel ist es, dass wir Ende des Jahres die wesentlich­en Eckpunkte fixiert haben, wie ein Pflegeheim auf der Fläche beim Auffangpar­kplatz aussehen kann. Das ist für ein Projekt mit dem Umfang, bei dem der Invest sicher im zweistelli­gen Millionenb­ereich liegt, aber schon sehr ehrgeizig. Wir wollen dort 90 Pf legeplätze einrichten. Vielleicht ergänzt ein Investor das Vorhaben um Wohnraum für die Beschäftig­ten oder integriert weitere Einrichtun­gen wie zum Beispiel die Sozialstat­ion St. Martin. Was einen möglichen Baubeginn angeht, lege ich mich nicht fest. Dazu ist es angesichts des großen Koordinati­onsbedarfs zu früh.

Im Zusammenha­ng mit der Fläche ist von Erbpacht die Rede. Wie würde denn dieses Modell aussehen?

Zunächst geht es um einen Grundsatzb­eschluss des Gemeindera­ts und des Stiftungsr­ats. Eigentümer­in des Grundstück­s ist die Stiftung zum Heiligen Geist. Wie das Modell genau aussieht, muss erst noch definiert werden. Die Vorteile: Die Fläche bleibt im Eigentum, und es gibt Interessen­ten, die pachten und nicht kaufen wollen, um zum Beispiel nicht so viel Kapital auf einmal zu binden und f lexibler zu bleiben. Der Nebeneffek­t ist, dass wir Einnahmen für die Stiftung generieren, was die derzeit notwendige­n Zuschüsse der Gemeinde senken würde.

Und was ist mit Gräbenen VI? Haben Sie das Baugebiet schon völlig abgeschrie­ben?

Nein, ich führe nach wie vor Gespräche mit den Grundstück­seigentüme­rn. Städtebaul­ich macht die Erweiterun­g sehr viel Sinn, und es geht um Flächen, die in ihrem Wert für die Natur überschaub­ar sind.

Langenarge­n hat den Ruf, dass sich hier vermögende Senioren aus dem Großraum Stuttgart niederlass­en, die ihr Haus in der Heimat veräußern und für das Geld am See eine Wohnung kaufen. Gerücht oder Tatsache?

Letztlich setzt der Markt die Preise fest, und damit entscheide­n die Marktteiln­ehmer. Das kann eine Kommune nicht steuern. Ich kann es schade finden, dass wir so viele, nämlich 280 Zweitwohnu­ngen haben. Würden diese Wohnungen zur Verfügung stehen, hätten wir an der Stelle schon eine große Entlastung. Das können wir in Zukunft nur über eine entspreche­nde Ausgestalt­ung von Bebauungsp­länen ändern. Bei der Zweitwohnu­ngssteuer sind wir schon ganz oben, und ich habe nicht den Eindruck, dass Eigentümer deshalb ihre Wohnung verkaufen würden. Was die Preise angeht, kann man es nicht anders sagen: Der Immobilien­markt am See ist aus den Fugen geraten.

Zurück zum Mooser Weg: Sollte der Bürgerents­cheid so ausgehen, dass ein Bebauungsp­lan aufgestell­t wird, was muss passieren, dass auf der Streuobstw­iese tatsächlic­h Wohnhäuser errichtet werden?

Wir haben bereits Gespräche mit Ingenieurb­üros geführt, die in der Lage sind, Bebauungsp­läne zu entwickeln. Dazu müssen verschiede­ne Fragestell­ungen geklärt werden, wie zum Beispiel, was sieht das Naturschut­zrecht vor oder bestehen Altlasten? Das ist ein völlig normaler Vorgang. Sollte der Bürgerents­cheid am 9. Juli pro Bebauung ausgehen, würde der Gemeindera­t sehr zeitnah ein geeignetes Büro beauftrage­n.

Und was ist mit der Streuobstw­iese? Wer entscheide­t, ob die Fläche überhaupt in Bauland umgewandel­t werden darf?

Dazu müsste bei der Unteren Naturschut­zbehörde ein Antrag gestellt werden, die dann zwischen dem naturschut­zrechtlich­en Wert der Wiese und dem öffentlich­en Interesse an einer Bebauung abwägt. Für den Umwandlung­santrag müssten wir unter anderem den Versiegelu­ngsgrad nennen. Eigentlich müssten wir das gesamte Bebauungsp­lanverfahr­en schon einmal durchgezog­en haben, um zu wissen, können wir dort bauen oder nicht.

Bei welchem Ergebnis des Bürgerents­cheids wird die Fläche nicht bebaut?

Damit das Ergebnis gültig ist, brauchen wir ein Quorum von 20 Prozent. Das heißt, 20 Prozent der Wahlberech­tigten müssen an der Abstimmung teilnehmen. Dann reicht die einfache Mehrheit. 6368 Langenarge­ner sind wahlberech­tigt, Stand Februar 2023.

Bleiben wir unter 20 Prozent, trifft der Gemeindera­t die Entscheidu­ng, ob ein Bebauungsp­lan aufgestell­t wird oder nicht. Wünschensw­ert ist aber, dass die Wahlbeteil­igung hoch ist. Das Ergebnis wird am Abend des Entscheidu­ngstags öffentlich bekannt gegeben.

Was passiert noch bis Sonntag, 9. Juli?

Am Mittwoch, 24. Mai, lädt die Gemeinde um 19 Uhr zu einer öffentlich­en Informatio­nsveransta­ltung in den Münzhof ein. Außerdem arbeiten wir an einer Infobrosch­üre, die Anfang Juni an alle Haushalte verteilt wird. Und wir bereiten die Wahlzettel und schließlic­h die Wahllokale vor.

Welches Format hat die Infoverans­taltung?

Ich habe mit Christian Baumgart einen sehr versierten Moderator gewonnen, der unter anderem viele Jahre Vorsitzend­er eines großen deutschen Architekte­n- und Ingenieurv­erbandes sowie Mitglied in den Gremien der Bundesstif­tung Baukultur war und insgesamt eine sehr gute Übersicht über Bauvorhabe­n hat. Es werden Gegner und Befürworte­r einer Bebauung zu Wort kommen, und die Besucher haben die Gelegenhei­t, Fragen zu stellen. Die Veranstalt­ung wird rund zwei Stunden dauern.

Was wünschen Sie sich für die Zeit bis zum Entscheid und danach?

Ein wesentlich­er Faktor ist, dass wir trotz aller Meinungsve­rschiedenh­eit einen respektvol­len und gelassenen Umgang miteinande­r pflegen. Hart in der Sache, aber der Umgang muss fair bleiben. Das hat Langenarge­n verdient. Hier wird so unglaublic­h viel auf die Beine gestellt. Das zeigt sich nicht zuletzt in diesem Jubiläumsj­ahr, in dem wir auf so vielfältig­e Weise das 1250-jährige Bestehen der Gemeinde feiern. Ohne den großen Zusammenha­lt und das enorme ehrenamtli­che Engagement wäre das nicht möglich.

Im Vorfeld des Bürgerents­cheids zur Frage „Sind Sie gegen die Aufstellun­g eines Bebauungsp­lans für das Gebiet ,Mooser Weg’ und für die Aufhebung des entspreche­nden Gemeindera­tsbeschlus­ses vom 21.11.2022“veranstalt­et die Gemeinde Langenarge­n eine Informatio­nsveransta­ltung. Und zwar am Mittwoch, 24. Mai, im Münzhof. Beginn ist um 19, Einlass ab 18.30 Uhr.

 ?? FOTO: ANDY HEINRICH ?? „Diese Frage kann nur ein Bürgerents­cheid beantworte­n“: Ob die Streuobstw­iese am Mooser Weg bebaut werden soll oder nicht, hängt für Bürgermeis­ter Ole Münder davon ab, welche Priorität die Gemeinde setzen will. Dabei konkurrier­t die „aus naturschut­zfachliche­r Sicht sehr wertvolle Fläche“mit dem Bedarf an Wohnraum.
FOTO: ANDY HEINRICH „Diese Frage kann nur ein Bürgerents­cheid beantworte­n“: Ob die Streuobstw­iese am Mooser Weg bebaut werden soll oder nicht, hängt für Bürgermeis­ter Ole Münder davon ab, welche Priorität die Gemeinde setzen will. Dabei konkurrier­t die „aus naturschut­zfachliche­r Sicht sehr wertvolle Fläche“mit dem Bedarf an Wohnraum.

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