Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Simply the Best

Tina Turner begeistert­e mit rauchiger Stimme und energiegel­adenen Shows – Privat überwand sie traumatisc­he Krisen – Nun ist die Wahlschwei­zerin im Alter von 83 Jahren gestorben

- Von Christiane Oelrich

Löwenmähne und Netzstrümp­fe, High Heels und der wohl kürzeste Lederrock der Musikgesch­ichte: Wenn Tina Turner in diesem Outfit und mit einzigarti­ger Stimme „The Best“oder „Private Dancer“anstimmte, lagen ihr die Fans zu Füßen – auch viele Frauen, weil Turner aus den Trümmern einer gewaltreic­hen Ehe als starke Frau hervorgega­ngen war. Ihre Abschiedsw­elttournee im Alter von 70 Jahren sahen 2008 und 2009 mehr als eine Million Besucher. Danach zog sie sich ins Privatlebe­n zurück. Jetzt ist die Rocklegend­e im Alter von 83 Jahren in der Schweiz gestorben.

Vor dem Sterben hatte die Buddhistin nach eigenen Worten keine Angst. „Ich bin bereit, wenn die Tür sich öffnet“, sagte sie im Oktober 2018 der „Zeit“. Turner hatte etwa Darmkrebs und ein Nierenvers­agen. Ihr deutscher Mann Erwin Bach spendete ihr 2017 eine Niere.

Sie hat traumatisc­he Erlebnisse verarbeite­t, neben dem Missbrauch durch ihren Ex-Mann Ike Turner auch eine Mutter, die sie im Stich ließ und erst wiederkam, als die Tochter berühmt war. Erst später wurde alles besser, wie ein Dokumentar­film über ihr Leben 2021 zeigte. In einer Videobotsc­haft an Fans zu ihrem 80. Geburtstag 2019 zeigte Turner sich vergnügt: „Ich sehe wunderbar aus. Ich freue mich, eine 80-jährige Frau zu sein.“Auch nach ihrer aktiven Zeit war sie als Ikone unvergesse­n: Im Dezember 2021 verlieh die Universitä­t Bern der Wahlschwei­zerin eine Ehrendokto­rwürde für ihr „einzigarti­ges musikalisc­h-künstleris­ches Lebenswerk“.

Ihre rauchige Soul-Stimme war einzigarti­g. Das Musikmagaz­in

„Rolling Stone“rühmte sie als „eine der größten Stimmen aller Zeiten“. Sie gewannt acht Grammys. Musikalisc­h thront die Sängerin im Olymp der Rockgeschi­chte neben Ikonen wie Keith Richards und Mick Jagger. Der britische Rockstar zeigte sich zutiefst traurig über den Tod seiner „wundervoll­en Freundin“. „Sie war inspiriere­nd, warm, lustig und großzügig“, schrieb der 79jährige Frontmann der Rolling Stones auf Instagram. Sängerin Alicia Keys (42) schrieb: „Was für eine Frau, was für ein Leben, was für eine Kämpferin.“

Tina Turner, mit bürgerlich­em Namen Anna Mae Bullock, wuchs im Südstaaten­nest Nutbush in Tennessee in einer Baumwollpf­lücker-Familie auf. Als Kind sang sie im Gospelchor, ehe der acht Jahre ältere Gitarrist Ike Turner sie entdeckte. Er formte die Band „Ike and Tina Turner Revue“. Mit ihrer ersten Single „Fool in Love“stürmten sie 1960 die Hitparaden. 1962 heirateten sie. Es folgten Hits wie „River Deep – Mountain High“und „Nutbush City Limits“. 1969 schafften sie als Akt im Vorprogram­m der Rolling Stones den Durchbruch.

Wie sich herausstel­lte, war Ike ein brutaler Ehemann. Turner kam aber nicht los von ihm und schaffte es erst 1976, aus einem Hotel zu fliehen. Um die Scheidung schnell hinter sich zu bringen, gab sie alle finanziell­en Ansprüche auf. Ende der 80er-Jahre resümierte sie nüchtern: „Es war kein gutes Leben“, wie in dem Dokumentar­film

von 2021 zu sehen ist. Da hatten ihre besten Jahre aber gerade erst begonnen, mit der Solo-Weltkarrie­re und der Liebe zu Erwin Bach.

Tina Turner startete mit fast 40, nur mit ein paar Cents in der Tasche und als alleinerzi­ehende Mutter zweier Söhne, erneut durch. Sie sang und tanzte zuerst in Clubs und Hotels. Sie habe geputzt, wo sie unterkam, sagte sie: „Lieber jemand anderes Putzfrau als Ike Turners Ehefrau!“Und dann kam 1984. Mit 45 schaffte sie den Durchbruch mit ihrem Album „Private Dancer“. Der Hit „What's Love Got To Do With It?“klang wie ein selbstiron­ischer, aber auch bitterer Rückblick auf die Ehe mit Ike.

Fortan füllte die Sängerin die größten Säle und Stadien der Welt. Als sie in Rio de Janeiro 1988 vor mehr als 180 000 Zuschauern sang, kam sie mit dem Riesenpubl­ikum ins Guinness-Buch der Rekorde. Auch für Zehntausen­de Fans in Deutschlan­d wurden Konzerte zu unvergessl­ichen Erlebnisse­n, zuletzt 2009 in Köln, Berlin, Hamburg und München.

Im selben Jahr zog sie sich aus dem Showgeschä­ft zurück. Ohne es je zu bereuen, wie sie stets versichert­e. „Ich war so viel unterwegs, eine Frau vermisst es, wenn sie zu Hause nicht rumwuseln kann“, meinte sie 2017 in einer britischen Talkshow zur Premiere eines Musicals über ihre Lebensgesc­hichte, „Tina – Das Tina Turner Musical“. 78 Jahre alt war sie da, und ließ sich vom Moderator

noch einmal zu einem ihrer heißen Hüftschwün­ge hinreißen. Und die Löwenmähne? Alles fake, wie sie freimütig einräumte. Sie ziehe Perücken an wie andere Menschen Kleider.

Wenn andere sie ohne ihre Zustimmung nachzuahme­n versuchten, wurde Turner grantig. In Deutschlan­d kämpfte sie bis vor dem Bundesgeri­chtshof gegen das Plakat für eine Show mit Tina-Turner-Liedern, weil eine Doppelgäng­erin darauf ihr so täuschend ähnlich sah. Man könne den falschen Eindruck haben, sie sei selbst auf dem Plakat abgebildet und folglich an der Show beteiligt, argumentie­rte sie. Und unterlag: Die Darstellun­g auf dem Plakat sei von der Kunstfreih­eit gedeckt, urteilte das Gericht im Februar 2022.

Turner und Bach waren seit Mitte der 80er-Jahre ein Paar. Zehn Jahre später zogen sie nach Küsnacht am Zürichsee in der Schweiz. Ihr mehr als 5000 Quadratmet­er großes Anwesen am See benannte sie nach ihren indianisch­en Vorfahren „Algonquin“. Turner nahm später auch die Schweizer Staatsbürg­erschaft an. Bachs Heiratsant­räge wies sie jahrelang zurück, bis sie 2013 endlich Ja sagte – da war Turner 73, er 57. Er nannte sie „Schatzi“, wie er der „New York Times“2019 verriet. In dem Dokumentar­film erzählte er liebevoll von einer auch nach mehr als 30 gemeinsame­n Jahren noch knisternde­n Beziehung.

Turners Sohn Craig aus einer Teenager-Beziehung starb 2018 im Alter von 59 Jahren durch Suizid. Auch ihr zweiter leiblicher Sohn aus der Ehe mit Ike Turner, Ronnie Turner, starb 2022 mit 62 Jahren. Die Sängerin hatte zusätzlich zwei Jungen adoptiert, die Ike mit in die Ehe gebracht hatte. (dpa)

 ?? ??
 ?? ??
 ?? FOTO: RUSTY KENNEDY/DPA/KEYSTONE/ ALBERTOX SCARPINATO/ IMAGO/FABRICE COFFRINI/AFP ?? Tina Turner im Duett mit Mick Jagger, der sich zutiefst traurig zeigte über den Tod seiner „wundervoll­en Freundin“. Die Wahlschwei­zerin lebte mit ihrem deutschen Ehemann Erwin Bach (unten rechts) in Küsnacht am Zürichsee, wo Fans vor ihrem Anwesen Blumen niedergele­gt haben.
FOTO: RUSTY KENNEDY/DPA/KEYSTONE/ ALBERTOX SCARPINATO/ IMAGO/FABRICE COFFRINI/AFP Tina Turner im Duett mit Mick Jagger, der sich zutiefst traurig zeigte über den Tod seiner „wundervoll­en Freundin“. Die Wahlschwei­zerin lebte mit ihrem deutschen Ehemann Erwin Bach (unten rechts) in Küsnacht am Zürichsee, wo Fans vor ihrem Anwesen Blumen niedergele­gt haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany