Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wehrhaften Staat gegen rechten Terror gefordert
Bundespräsident Steinmeier redet zum Gedenken an den Brandanschlag in Solingen vor 30 Jahren
(dpa) - 30 Jahre nach dem rassistischen Brandanschlag von Solingen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen wachsamen und wehrhaften Staat gegen rechten Terror gefordert. „Als Bundespräsident kann ich nicht dazu schweigen, in welchem Klima diese Anschläge gediehen sind“, sagte Steinmeier am Montag bei einer Gedenkveranstaltung in Solingen.
„Unmittelbar nach dem Brandanschlag waren hier in Solingen alle Strickleitern ausverkauft“, erinnerte Steinmeier. „Die Menschen hatten Angst, sich im Notfall sonst nicht mehr aus dem oberen Stockwerk ihres Hauses retten zu können. In den Wohnungen standen damals Wassereimer bereit, um bei einem Feuer schnell löschen zu können. An den Klingelschildern und Briefkästen wurden alle fremd klingenden Namen abmontiert.“
Viel zu lange habe das Land der Behauptung von den verblendeten Einzeltätern aufgesessen, sagte Steinmeier. Die Strukturen und die Ideologie der Täter seien lange ignoriert worden. Rechtsextreme und Rassisten entmenschlichten den Einzelnen und verbreiteten damit Angst und Schrecken. „Ich nenne das: Terror. Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten hier in Solingen. Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen“, sagte der Bundespräsident.
„Ich bin fassungslos, wenn ich höre, dass einzelne Angehörige von Sicherheitsbehörden, die rechtsextreme Anschläge verhindern sollen, sich in rechten Chatgruppen organisieren. Das können und das dürfen wir nicht dulden“, forderte Steinmeier.
Vor 30 Jahren, am 29. Mai 1993, starben fünf türkische Mädchen und Frauen, als Rechtsradikale das Wohnhaus der Familie Genç anzündeten: Saime Genç (4), Hülya Genç (9), Gülüstan Öztürk (12), Hatice Genç (18) und Gürsün Ince (27). Der Anschlag gilt als eines der schwersten rassistischen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik.
Kurz nach der Tat waren vier junge rechtsradikale Solinger im Alter zwischen 16 und 23 Jahren festgenommen worden. Sie waren der rechten Szene zuzuordnen und wurden 1995 wegen Mordes verurteilt.
Solingens Bürgermeister Tim Kurzbach (SPD) erinnerte an die Worte der im vergangenen Oktober gestorbenen Mevlüde Genç, die bei dem Anschlag mehrere Familienmitglieder verlor: „Der Tod meiner Kinder soll uns dafür öffnen, Freunde zu werden.“In der Stadt war am Sonntag ein Platz nach der Bundesverdienstkreuzträgerin benannt worden.
Schließlich ergriff eine Enkelin von Mevlüde Genç am Ende der Veranstaltung das Wort: Ihre Großmutter habe Deutschland nach dem Anschlag nicht verlassen, sondern zu Liebe und Besonnenheit aufgerufen und bewusst die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt, sagte Özlem Genç. „Der Hass bringt den Tod“, habe ihre Großmutter gesagt und so den triumphalen Sieg des Guten über das Böse verkörpert.