Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Erleben Regionalflughäfen eine Renaissance?
Claus-Dieter Wehr über neue Chancen und das aktuell schmale Flugangebot am Bodensee-Airport
- Der Nachholbedarf an Urlaubsreisen ist in Deutschland nach den coronabedingten Einschränkungen der vergangenen drei Jahre offenbar sehr groß. So war aus der Reisebranche schon früh im Jahr zu vernehmen, dass 2023 sogar ein Rekordjahr werden könnte. Trotz gestiegener Energiekosten, trotz Inflation. Das Flugangebot am Bodensee-Airport ist mit acht Zielen allerdings weiterhin überschaubar. Warum das so ist, erklärt Claus-Dieter Wehr im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Darin äußert sich der Geschäftsführer des Flughafens Friedrichshafen auch zu Billigfliegern, zur Entwicklung der Geschäftsreisen und zu den Chancen eines Comebacks früherer Inlandsverbindungen.
Die Nachfrage nach Urlaubsreisen ab Friedrichshafen war laut Auskunft der TUI im vergangenen Jahr sehr gut. Trotzdem ist das TUI-Angebot in diesem Sommer etwas kleiner. Auch Corendon hat sein Programm etwas gekürzt. Woran liegt das?
Die Nachfrage ist nach Angaben der Airlines und Veranstalter auch dieses Jahr sehr gut. Corendon fliegt aber in ganz Europa weniger, da man gegenüber 2022 die Flotte aus operationellen und wirtschaftlichen Gründen nahezu halbiert hat. Grundsätzlich fehlt es europaweit an Flugzeugen und Crews. So fliegt zum Beispiel Condor mit zehn Subcharter-Flugzeugen in dieser Saison und auch Eurowings setzt fremdes Fluggerät ein. Ebenso fehlt es der TUI an Flugzeugen, was Folgen für das Angebot insbesondere an kleineren Flughäfen hat.
Der Allgäu Airport hat verkündet, dass von Memmingen in diesem Sommer mehr als 50 Flugziele erreichbar sind. Wie lässt sich erklären, dass sich die übergeordneten Probleme der Branche in Memmingen scheinbar gar nicht auswirken?
Ryanair hatte genug Kapitalpuffer, um in der Pandemie weder Personal zu entlassen noch Flugzeuge stillzulegen. Ebenso WizzAir. Beide Airlines konnten sofort wieder durchstarten, wovon besonders die Low-Cost-Standorte profitieren. Zudem profitiert Memmingen vom Ballungsraum München, da es dort kein großes Low-Cost-Angebot gibt. Die Fahrzeit von München-West nach Memmingen beträgt nur rund 60 Minuten. Aber auch nicht jede Strecke hat dort lange Bestand. So hat Ryanair nach wenigen Monaten die Verbindungen nach Tuzla und Billund wieder eingestellt. Das heißt, dass es zwar immer viele neue Strecken gibt, aber entsprechend auch einige Einstellungen.
Memmingen setzt ausschließlich auf Billigflieger. Selbst wenn Sie wollten, dürfte der Bodensee-Airport ein ähnliches Programm gar nicht neu aufbauen – eine Auflage der EU bei der Zustimmung zum Umstrukturierungsplan des Häfler Flughafens. Erschwert auch diese Auflage den Ausbau des touristischen Angebots?
Für Friedrichshafen ist der gesamte Verkehrsmix aus Drehkreuzverbindungen, weiteren Linienund Charterverbindungen und der allgemeinen Luftfahrt wichtig. Eine Kopie des Memminger Modells ist nicht geplant und wäre auch nicht wirtschaftlich. Dennoch können Low-Cost-Angebote auch ab Friedrichshafen Sinn ergeben, da wir vor allem das Schweizer Einzugsgebiet besser bedienen können. Erstes Ziel für uns ist die Wiederherstellung der Verkehre von 2019, inklusive der damaligen Low-Cost-Verkehre. Und da stehen die EU-Auflagen nicht entgegen, sie begrenzen uns nicht. Sicherlich kann es dennoch auch Angebotsüberschneidungen mit Memmingen bei neuen Flugstrecken geben. In diesen vermutlich eher seltenen Fällen würden wir bei der Kommission versuchen, im Interesse der Kunden und der Fluggesellschaft eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen.
Mit Blick auf Kostensteigerungen, Klimaschutzziele, Fachkräftemangel: Wird das Geschäftsmodell der Billigflieger langfristig überhaupt noch funktionieren?
Der Bedarf an touristischen Flügen wird immer da sein. Die Flugscham spielt offensichtlich kaum eine Rolle. Die Passagiere sind sich zwar des Klimathemas bewusst, wollen aber dennoch in den Urlaub fliegen. Beim Luftverkehrsstandort Deutschland wirken sich eher hohe Kosten aus – zum Beispiel für Luftsicherheit, Flugsicherung. Das wird beim Vergleich der Entwicklungen mit anderen europäischen Ländern sichtbar. Das Angebot an Pointto-Pointund Low-Cost-Verkehren in Deutschland hinkt im Vergleich zu anderen europäischen Märkten hinterher. Anpassungen in der Strategie der Billigflieger zeigen sich beim Fokus auf neue wachstumsstärkere Märkte – zum Beispiel Wizz Air im Mittleren Osten. Wie sich 2022 gezeigt hat, kann auch der Fachkräftemangel ein Problem für Fluggesellschaften und Flughäfen werden. Den Einfluss dieser vielen komplexen Effekte auf die Entwicklung der Billigflieger zu prognostizieren, ist aber schwierig.
Lufthansa fliegt mittlerweile viermal täglich vom Bodensee nach Frankfurt. Liegt die Nachfrage hier schon wieder auf Vor-Corona-Niveau?
Noch nicht, aber die Entwicklungen sind positiv. Die Nachfrage des Geschäftsreiseverkehrs ist wie erwartet noch nicht auf dem früheren Niveau. Das wird sicherlich wegen Teams/Zoom-Meetings und Homeoffice noch dauern. Man spürt aber dennoch eine schrittweise Zunahme, da nicht
alle Kontakte über elektronische Medien funktionieren. Ein weiterer Grund für die zurückhaltende Entwicklung bei den Geschäftsreisen sind die Sparmaßnahmen vieler Unternehmen. Auf den Flügen sind aber auch etliche Privatund Urlaubsreisende, die Frankfurt zum Umsteigen, zum Beispiel auf Fernreiseziele, nutzen.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass frühere Inlandsverbindungen wiederbelebt werden können? Düsseldorf, Hamburg, vielleicht sogar Berlin? Woran scheitern solche Verbindungen momentan?
Es gibt kaum Anbieter mit passendem Fluggerät. Regionalfluggesellschaften sind mehr als rar. Außerdem ist im Geschäftsreiseverkehr die Nachfrage gesunken – aufgrund des Kostendrucks und auch aufgrund von Reiserichtlinen der Unternehmen, wonach für innerdeutsche Ziele eher die Bahn genutzt werden soll. Der Flughafen ist dennoch mit einigen Fluggesellschaften zu Direktverbindungen nach Düsseldorf, Hamburg oder Berlin im Austausch.
Nur mit Frankfurt und sieben Zielen in Osteuropa und am Mittelmeer könnte es langfristig schwierig werden, den ohnehin gesunkenen Rückhalt in der Kommunalpolitik zu behalten. Wie schätzen Sie das ein?
Das Jahr 2022 war mit diesen Verbindungen erfolgreich. Die Nachfrage lag über den Erwartungen. Relevante ICE-Verbindungen (Hochgeschwindigkeitsstrecken)
wird es am Bodensee auch in der Zukunft nicht geben. An der verkehrlichen Anbindung der Region hat und wird sich in absehbarer Zeit keine wesentliche Verbesserung ergeben. Und dass die Wirtschaft den Flughafen braucht, hat sich nicht geändert, wie das Engagement des Fördervereins zeigt. Wichtige Faktoren sind zudem die Verkehre der Allgemeinen Luftfahrt – zum Beispiel Weltwirtschaftsforum, Aero-Messe, Firmenjets, Privatflieger. Die viel beschworenen direkten Regionalverbindungen haben auch in der Vergangenheit nicht den wesentlichen Teil der Passagierzahlen gebracht. Sie sind nicht unwichtig, benötigen aber für eine nachhaltige Reaktivierung die richtigen Partner.
Wo sehen Sie Chancen und vielleicht auch neue, zukunftsfähige Märkte für den BodenseeAirport?
Die Angebote zu klimaneutralen beziehungsweise CO2-neutralen Flügen werden als erstes im Regionalflugverkehr beginnen. Das wird mittelfristig zu einer Renaissance der Regionalflughäfen führen. Allerdings ist dafür eine Anpassung der Infrastruktur erforderlich (Elektro-Lademöglichkeiten, Wasserstoff). Der Flughafen ist hier im regen Austausch mit Entwicklungsunternehmen und Start-Ups, die sich mit dieser Technologieentwicklung befassen. Für Kontakte in diese Richtung haben wir auch rege die Aero genutzt. Ein weiteres Entwicklungsfeld sind unbemannte Frachtdrohnen.