Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Tierrechtler und Ministerium debattieren über Kükentöten
Nach Protestbrief von Peta zu geplanten Gesetzesänderungen lädt Haus von Özdemir zum Austausch ein
- Ab wann empfindet ein Küken im Ei Schmerzen? Um diese Frage ist eine Debatte entbrannt. Sie ist entscheidend, um künftige Regeln zum Töten männlicher Küken zu treffen. Nach einem Protestbrief der Tierrechtsorganisation Peta hat das Bundesagrarministerium (BMEL) von Cem Özdemir (Grüne) zu einem Gespräch eingeladen.
Mehr als 40 Millionen männliche Küken wurden bis 2022 pro Jahr in Deutschland getötet, in der Regel mit Gas. Aufgezogen wurden nur die Hennen, um später Eier zu legen. Die Hühnerrassen sind so gezüchtet, dass sie entweder viele Eier legen oder sich gut zur Mast eignen. Daher gab es für die männlichen Nachkommen von Legehennen keine Verwendung. Diese Praxis ist in Deutschland seit 2022 verboten. Auch, weil das Bundesverwaltungsgericht dieses Vorgehen nicht mit dem Grundgesetz und dem Tierschutzgesetz zu vereinbaren hielt.
Weiter erlaubt ist es, nach einem Gentest Küken im Ei zu töten. Diese Vorgabe soll 2024 verschärft werden, das Töten wäre nur noch bis zum siebten Bebrütungstag erlaubt. Allerdings bezweifeln
Kritiker, ob es bis dahin verlässliche Methoden gibt, das Geschlecht so früh zu bestimmen. Das BMEL hat die Entwicklung solcher Verfahren nach eigenen Angaben seit 2008 mit rund 8,8 Millionen Euro unterstützt. Erst zwischen dem siebten und dem 15. Tag entwickle ein Embryo Schmerzempfinden; wann genau, sei noch nicht zu bestimmen – das galt zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung als Stand der Wissenschaft. Das BMEL hat nun eine neue Studie bei der TU München in Auftrag gegeben. Die Forscher
sind sich sicher: Die Fähigkeiten, Schmerz zu empfinden, entwickele sich nicht vor dem 12. Tag. Wann genau danach, sei weiter nicht abschließend geklärt. Darum will das BMEL nun das Tötungsverbot im Ei erst ab dem 13. Bebrütungstag in Kraft setzen.
Dagegen hatte sich die Organisation Peta gewehrt. In einem Brief an das Ministerium zweifeln die Tierschützer an der Studie aus München. Diese reiche nicht aus, um darauf die geplante Verlängerung des Kükentötens im Ei zu stützen. Ohnehin seien die gängigen Methoden der Geflügelhaltung weiter nicht tierwohlgerecht. Weder Fleisch noch Eier könnten Verbraucher guten Gewissens essen.
Eine Sprecherin von Bundesagrarminister Özdemir weist die Kritik zurück. Initiativen zur Aufzucht der männlichen Küken, die Bruderhahnzucht oder Zweitnutzungshühner, die sowohl als Legehennen als auch zur Mast geeignet sind, seien vielversprechend. Deshalb würden sie vom BMEL auch mit rund 14,6 Millionen Euro gefördert. Nach den neuen Studienergebnissen sei es nur konsequent, die für 2024 geplanten Regeln noch einmal anzupassen: „Die Forscher und Forscherinnen sagen uns, dass bis einschließlich Tag 12 nicht davon auszugehen ist, dass das Gehirn der Hühnerembryonen Stimuli zu Empfindungen wie Schmerz verarbeiten kann. Auf Grundlage dieser Evidenz ist die Änderung von Tag sieben zu Tag 13 geboten, weil die Begründung für Tag sieben weggefallen ist. Die bestehende Regelung ist nicht mehr verhältnismäßig, weil die Brütereien das bislang vorgesehene Tierschutzniveau auch aufrechterhalten können, indem sie die Bebrütung bis einschließlich Tag 12 abbrechen“.
In Berlin setzt man außerdem darauf, dass die EU in den kommenden Jahren wie von der Kommission angekündigt, ebenfalls ein schrittweises Verbot einführt. Darauf hatten Deutschland und Frankreich gedrungen. Denn Landwirte sehen sich durch die Tierschutzvorgaben in Deutschland unter Druck: Während sie ihre Betriebe umstellen und oft teurere Haltungsformen einführen müssen, kann die Konkurrenz aus dem Ausland weiter arbeiten wie bisher – und Produkte günstiger in Deutschland anbieten. Denn so ist zum Beispiel der Import von Eiern nach Deutschland auch aus Ländern erlaubt, in denen männliche Küken weiter getötet werden dürfen.