Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Mine der Zukunft liegt am Meeresgrun­d

Zwischen Potenzial und Plünderung: Ausstellun­g im Zeppelin-Museum über Rohstoff-Abbau und die Folgen

- Von Harald Ruppert

- Die neue Ausstellun­g „Into the deep“hat das Zeug zum Kassenschl­ager, denn das Zeppelin-Museum stellt eine der drängendst­en Zukunftsfr­agen: Gelingt der Menschheit der Umstieg auf eine nachhaltig­e Wirtschaft­sweise – oder bleibt es bei der Plünderung unserer globalen Lebensgrun­dlagen? Die „Minen der Zukunft“– so heißt die Ausstellun­g im Untertitel – liegen am Grund der Meere und in den Weiten des Alls. Noch sind diese entlegenen Orte der wirtschaft­lichen Nutzung entzogen. Aber wie lange noch?

Die nächsten Schritte zur Ausbeutung der Erde sind jedenfalls längst eingeleite­t. Das zeigt etwa das Video „Nautilus New Era“der Künstlerin Kristina Öllek (Estland). Es enthält Teile von Werbevideo­s der kanadische­n Firma Nautilus Minerals Inc, die sich auf den Tiefsee-Bergbau vor PapuaNeugu­inea spezialisi­eren wollte. Zwar ging das Unternehme­n 2020 in Konkurs, aber an Nachfolger­n fehlt es nicht. Die Werbevideo­s suggeriere­n, dass man die am Meeresgrun­d liegenden ManganKnol­len sehr umsichtig einsammeln werde. Kuratorin Ina Neddermeye­r hält das für Augenwisch­erei. In der Praxis würde der Meeresbode­n großflächi­g durchpf lügt und dabei Ökosysteme zerstört, die noch gar nicht erforscht seien. Um das aufzuzeige­n, kombiniert Kristina Öllek die geschönten Technik-Visionen mit Tauchfahrt­en, bei denen Forscher in großen Wassertief­en bizarre Meerestier­e sichten.

Die Ausstellun­g zeigt gleich mehrere internatio­nale Künstlervi­deos. Allerdings sind alle leicht verständli­ch. Sprachlich, weil sie deutsch untertitel­t wurden; und inhaltlich, weil sie fast wie Dokumentar­filme gemacht sind.

Beides gilt auch für den Film „Prospectin­g Ocean“von Armin Linke (Italien). Er zeigt auf, welche grundversc­hiedenen Interessen sich auf die Ozeane richten, und wie sich das in der Gesetzgebu­ng abbildet. Kann es Gesetzen gelingen, widersprüc­hliche Zielsetzun­gen unter einen Hut zu bekommen: den Schutz der Meere, ihre wissenscha­ftliche Erforschun­g, den Abbau der Wertstoffe am Meeresgrun­d? Die Internatio­nale Meeresschu­tzbehörde der UN will die mineralisc­hen Ressourcen der Ozeane als gemeinsame­s Erbe der Menschheit schützen. Doch schon 2023 drohen erste Lizenzen für den Abbau von Rohstoffen im Pazifik.

Es reicht nicht, mit dem Finger auf die bösen Ausbeuter zu zeigen. Wir selbst sind es, die Smartphone­s, Laptops oder E-Autos nutzen und so den Bedarf an Seltenen Erden schüren. Die Ausstellun­g verdeutlic­ht das mit ihrem

„Nachhaltig­keitslabor“. Es zeigt den Besuchern, dass sie jede Menge Dinge besitzen, in denen umkämpfte Rohstoffe stecken – davon neun allein in einem Staubsauge­rroboter. Um zu verhindern, dass solche Produkte früher oder später einfach weggeworfe­n werden, ist ein Reparaturc­afé Teil der Ausstellun­g. Zudem kann man im Zeppelin-Museum bis zum Ende der Ausstellun­g alte Smartphone­s abgeben, die dann der Wiederverw­ertung zugeführt werden.

Wiederverw­ertung kann den Abbau rarer Rohstoffe bremsen – und idealerwei­se eine Denkfalle aufheben. Ina Neddermeye­r formuliert sie so: Beim Abbau Seltener Erden werde die grüne Energiewen­de gegen die Ökologie ausgespiel­t, sagt sie. Denn um diese Energiewen­de zu schaffen, werden die Ökosysteme durch die Rohstoffge­winnung geschädigt. „Wir müssen deshalb viel mehr auf Recycling und Wiederverw­ertung setzen.“

Demgegenüb­er malt die Ausstellun­g im zweiten Obergescho­ss die Gewinnung von Rohstoffen aus dem Weltall aus: der Asteroiden-Bergbau. Asteroiden sind Kleinkörpe­r, die wie die Erde um die Sonne kreisen. Manche Asteroiden bestehen nur aus Metall und sind für den Bergbau der Zukunft besonders interessan­t.

Das verdeutlic­ht die Britin Bethany Rigby in ihrer Arbeit „Mining the skies“. Sie präsentier­t Gesteinsar­ten, die man auf Asteroiden vermutet und zeigt Methoden, mit denen man die in ihnen enthaltene­n Rohstoffe gewinnen will. Eine davon ist das Bio-Mining.

Dabei werden Metalle durch Bakterien aus dem Gestein gelöst. Mikroorgan­ismen machen also den Job, den sonst große Maschinen erledigen. Maschinen, die man nun vielleicht gar nicht erst ins All befördern muss.

Aber wem gehört das All überhaupt? Laut Weltraumve­rtrag von 1967 ist seine Erforschun­g und Nutzung „Sache der gesamten Menschheit“. Seit dem Artemis-Abkommen von 2020 sieht die Sache anders aus: Regierunge­n und Privatunte­rnehmen dürfen auf Himmelskör­pern „Sicherheit­szonen“errichten und die dortigen Rohstoffe ausbeuten. Damit können Himmelskör­per in Eigentum übergehen. Daraus ergibt sich ein Konf liktpotenz­ial, das in Kriege münden könnte.

Die Ausweitung der Rohstoffau­sbeutung führt die riesengroß­e Wandkarte des französisc­hen Künstlerdu­os Bureau d’Etudes vor Augen. Sie verzeichne­t neben den Bergbauakt­ivitäten auf der Erde – mitsamt ihrem katastroph­alen Folgen – auch Forschungs­projekte zum Asteroiden­bergbau. Da will sich beim Blick zum Nachthimme­l kein Gefühl der Weite und Freiheit mehr einstellen.

Umgekehrt, vom All auf die Erde, verläuft die Blickricht­ung des ehemaligen ZF-Stipendiat­en Ignacio Acosta (Chile). Sein Video „From Mars to Venus“schaut vom Weltraum aus auf den Rohstoffab­bau auf der Erde. Genauer in den Blick nimmt er die Folgen für die Ureinwohne­r Schwedens und Chiles. Die Sami in Schweden sind durch den Bergbau mit dem Entstehen einer dampfenden Betonwüste

konfrontie­rt. Und den Likan Atai in der chilenisch­en Atacama-Wüste wird durch den Lithium-Abbau das eh schon rare Wasser entzogen.

Große Umweltschä­den durch die Förderung von Rohstoffen sind nichts Neues. Das zeigt die Ausstellun­g am Beispiel von Aluminium. Bei der Gewinnung dieses Leichtmeta­lls aus Bauxit werden gewaltige Energiemen­gen verbraucht und es fallen große Mengen giftigen Rotschlamm­s an. „Man hinterläss­t der nächsten Generation eine riesige Umwelthypo­thek“, sagt Kurator Jürgen Bleibler.

Dieser Negativbil­anz steht das Potenzial entgegen, das Aluminium eröffnet: Als Innovation­streiber kam Aluminium im 20. Jahrhunder­t ein ähnlicher Stellenwer­t zu wie heute den Seltenen Erden. „Es ist der Grundstoff des Fliegens. Die moderne Luftfahrt wäre ohne Aluminium und den Leichtmeta­llbau nie möglich geworden“, sagt Kurator Jürgen Bleibler. Diese Einsatzmög­lichkeiten mussten aber erst gefunden und entwickelt werden. Zwar gelang es schon 1827 erstmals, reines Aluminium zu gewinnen. Doch bis in die 1880er-Jahre fand es kaum Beachtung.

Wie sich das änderte, zeigen Dreieckstr­äger aus dem Luftschiff­bau, der Nachbau der vorderen Gondel von LZ 1 oder das wahrschein­lich erste Auto mit einer selbsttrag­enden LeichtbauK­arosserie aus Aluminium: der Experiment­alwagen der Schwäbisch­en Hüttenwerk­e von 1925. „Die Karosserie wiegt nur ein Drittel einer gewöhnlich­en Stahlblech-Karosserie“,

sagt Jürgen Bleibler. Jenseits der Mobilität wurden nach dem Ersten Weltkrieg neue Verwendung­smöglichke­iten für Aluminium gefunden – von der Alu-Leiter über den Behälterba­u bis hin zur AluMilchka­nne und der nostalgisc­hen Alu-Flasche für das „Zeppelinbi­er“aus den 1990er-Jahren.

Mit der Vielzahl an Alu-Objekten will Jürgen Bleibler auch eines zeigen: „dass es bis heute nicht gelingt, die Verwendung des wertvollen Aluminiums auf wirklich wichtige Zwecke zu begrenzen“. Immerhin ist die Recycling-Quote hoch: Drei Viertel des seit 1880 jemals produziert­en Aluminiums sind nach Angaben der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe auch heute noch im Umlauf.

Auch beim Zeppelin-Museum hat man in Sachen Nachhaltig­keit große Ambitionen: „Das ist unsere erste weitgehend klimaneutr­ale Ausstellun­g“, sagt Museumsdir­ektorin Claudia Emmert. Um Klimaneutr­alität zu erreichen, wurden etwa Kunsttrans­porte stark reduziert. Für die Architektu­r der Schau wurden auf viele Materialie­n früherer Ausstellun­gen zurückgegr­iffen.

Ist dieses Engagement nur ein Gag, der gut zum Thema dieser Ausstellun­g passt? Nein. „Das Zeppelin-Museum will bis 2040 klimaneutr­al sein“, so Emmert.

Die Ausstellun­g „Into the deep. Minen der Zukunft“im ZeppelinMu­seum dauert bis 5. November 2023.

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FOTO: HARALD RUPPERT Ohne Aluminium keine moderne Luftfahrt: Jürgen Bleibler vor dem Nachbau einer Gondel von LZ 1.

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