Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bewährungs­strafe wegen Hitlergruß und Nazi-Parolen

Amtsgerich­t Tettnang sieht positive Sozialprog­nose beim Angeklagte­n

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(kesc) - Weil er seine Nazi-Parolen im Vollrausch gegrölt hat und sich damit in einem Zustand vermindert­er Schuldfähi­gkeit befand, kam ein Mann aus dem Bodenseekr­eis noch einmal mit einer Bewährungs­strafe davon. Wegen Verwenden von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen in Tateinheit mit Beleidigun­g und Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte verurteilt­e ihn das Amtsgerich­t Tettnang am Donnerstag zu einer Freiheitss­trafe von sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre.

„Das ist ihre dritte Bewährungs­strafe, dünner wird das Eis nicht werden“, gab Richter Max Märkle dem Angeklagte­n in der

Urteilsbeg­ründung mit auf den Weg. Trotz zweier noch laufender Bewährunge­n und Vorstrafen wegen schwerem Diebstahls, Körperverl­etzung und Sachbeschä­digung sah Richter Märkle von einer Inhaftieru­ng ab, weil sich der alkoholkra­nke Angeklagte aus freien Stücken weit vor Prozessbeg­inn „und nicht, um vor Gericht einen guten Eindruck zu machen“, so Märkle, um einen Platz in einer Entzugskli­nik bemüht hat.

Die Therapie fängt im nächsten Monat an. Laut Anklagesch­rift soll der 36-Jährige in den frühen Morgenstun­den des zweiten Weihnachts­tages 2021 in einer Bar in Friedrichs­hafen, in der sich zu diesem Zeitpunkt noch zwischen zehn und 15 Gäste aufhielten, mehrmals den Hitlergruß und andere Nazi-Parolen gerufen haben. Vor der herbeigeru­fenen Polizei soll er zunächst versucht haben zu fliehen, widersetzt­e sich dann laut Anklage beim Festhalten, beschimpft­e die Polizeibea­mten übel und zeigte ihnen den „Stinkefing­er“.

Einem Polizeibea­mten mit augenschei­nlich türkischen Wurzeln soll er ebenfalls mit ausländerf­eindlichem Gerede gekommen sein. Vor Gericht räumte der Angeklagte die Taten vollumfäng­lich ein beziehungs­weise erklärte, er habe zum Teil einen Filmriss von der Nacht und habe erst durch den Polizeiber­icht von seinem Verhalten erfahren.

Ein Blutalkoho­ltest hatte bei ihm einen Wert von 2,8 Promille ergeben. Als Gründe für seinen Totalabstu­rz an Weihnachte­n 2021 nannte der Angeklagte Beziehungs­probleme und den drohenden Jobverlust. Nach einer Familienfe­ier habe er zu Hause noch eine Flasche Wodka und etwas Koks konsumiert. Als ihm der Alkohol ausgegange­n sei, sei er in eine Bar gegangen, um dort weiterzutr­inken. „Ich weiß nicht, welcher Teufel mich da geritten hat. Ich bin selber Spätaussie­dler und habe ausländisc­he Freunde“, erklärte der in Kirgisista­n geborene Mann. Die ganze Angelegenh­eit sei ihm sehr peinlich und er habe sich bereits im Krankenhau­s, in das ihn die beiden Polizeibea­mten

brachten, bei diesen entschuldi­gt.

Vor Gericht wiederholt­e der Angeklagte die Entschuldi­gung gegenüber dem einen als Zeugen geladenen Polizeibea­mten. „Das bin nicht ich. So denke ich nicht“, so der 38-jährige, der seit vielen Jahren gegen seine Alkoholsuc­ht ankämpft. „Ich bin dabei, das Problem anzugehen. Ich habe keine kriminelle Energie mehr in mir im Gegensatz zu früher. Ich habe auch keinen Kontakt mehr zu meinen früheren Freunden“, versichert­e der Angeklagte. Dem schenkte Richter Märkle Glauben. Allerdings machte er auch unmissvers­tändlich deutlich: „Ohne diese Therapie wäre es heute sehr, sehr eng geworden.“

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