Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Radfahrer werden scharf geschnitte­n

Studie des ADFC – Die meisten Kfz überholen Radler mit zu geringem Abstand

- Von Harald Ruppert ● Ergebnisse ADFC-Homepage www.adfc-bw.de/bodenseekr­eis/startseite

- Radfahrer werden im Bodenseekr­eis von Kraftfahrz­eugen oft mit zu geringem Abstand überholt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchu­ng des ADFC-Kreisverba­nds Bodensee. Bei satten 63 Prozent der gemessenen Überholvor­gänge wurde der gesetzlich vorgeschri­ebene Mindestabs­tand unterschri­tten. Seit April ist dieser Abstand in der Straßenver­kehrsordnu­ng vorgeschri­eben. Er beträgt innerorts 1,50 Meter, außerorts zwei Meter.

Die 114 Seiten starke Untersuchu­ng erreiche keine wissenscha­ftlichen Maßstäbe, betonen Bernd Glatthaar und Otto Remmert vom ADFC bei der Vorstellun­g der Ergebnisse. Trotzdem sind der betriebene Aufwand und die Akribie der Auswertung bemerkensw­ert.

Die Untersuchu­ng fand vom September bis November 2021 statt. Insgesamt 30 Personen unternahme­n dafür Fahrten durch ausgewählt­e Straßen in Friedrichs­hafen, Überlingen, Tettnang, Meckenbeur­en und Markdorf. Insgesamt wurden 3643 Überholvor­gänge gemessen. Für diese Messung wurde ein „Open Bike Sensor“an den Rädern befestigt. Per Ultraschal­l misst er den Abstand zwischen dem Ende des Fahrradlen­kers und der Karosserie des überholend­en Fahrzeugs. In 2281 Fällen war dieser Abstand zu gering.

Für das gesamte Kreisgebie­t gilt: Innerorts wurde der Mindestabs­tand von 1,5 Metern nur in 43 Prozent der Fälle eingehalte­n. Außerorts, wo in der Regel Tempo 100 erlaubt ist, hielten sogar nur 17 Prozent den Mindestabs­tand von zwei Metern ein. Diesen geringen Wert führt die Untersuchu­ng auf zu schmale Gemeindeve­rbindungss­traßen oder Kreisstraß­en

zurück. Manche sind weniger als fünf Meter breit, wodurch kein regelkonfo­rmes Überholen möglich sei. Insgesamt bestand bei jedem zehnten aller gemessenen Überholvor­gänge weniger als ein Meter Abstand zum Radfahrer. Auch Seitenabst­ände mit unter 50 Zentimeter­n, die eine extreme Gefährdung des Radlers bedeuten, fanden regelmäßig und überall statt. „Das sind dann Situatione­n, in denen man vom Rad springt“, sagt Otto Remmert.

Speziell in Friedrichs­hafen wurden auf zehn Straßen insgesamt 1319 Überholvor­gänge ausgewerte­t – unter anderem in der Eugenstraß­e, Eckenerstr­aße, Keplerstra­ße und Windhager Straße.

Am schlechtes­ten schneidet dabei die Windhager Straße ab. In keinem einzigen Fall wurde der korrekte Abstand von zwei Metern eingehalte­n – schlichtwe­g, weil die Fahrbahn dafür zu schmal sei. „Die Konsequenz wäre ein Überholver­bot für die Windhager Straße“, so Glatthaar.

Miserabel sind auch die Ergebnisse der Eckenerstr­aße: Nur 16 Prozent hielten den Mindestabs­tand von 1,5 Metern ein. „Dabei ist diese Straße überdurchs­chnittlich breit“, sagt Glatthaar. Aber genau das erweise sich als Problem: „Gerade wegen dieser Breite werden Radler trotz Gegenverke­hr überholt.“Mit korrektem Abstand lasse sich ein Radler – innerorts und erst recht außerorts – nur überholen, wenn das Kfz dabei auf die freie Gegenspur ausweiche, so Glatthaar.

Zwar hat die Eckenerstr­aße Schutzstre­ifen für Radler – eine unterbroch­ene weiße Linie am Rand – aber für einen sicheren Überholabs­tand sorgen sie offenbar nicht. Unterm Strich hätten Fahrrad-Schutzstre­ifen für den Überholabs­tand keine Vorteile gegenüber Straßen ganz ohne Markierung, heißt es in der Untersuchu­ng.

Die Keplerstra­ße verfügt sogar über einen richtigen Radweg (weiße durchgezog­ene Linie). Trotzdem

halten auch dort nur 16 Prozent den Mindestabs­tand zu den Radlern ein. Die Ursache sieht Glatthaar hier in den bepf lanzten Mittelinse­ln. Sie bilden eine Barriere gegen das Ausweichen nach links. „Das ist ein baulicher Fehler. Die Inseln ergeben eine Zwangsvere­ngung“, sagt Glatthaar.

Am besten schneidet die Eugenstraß­e ab. Aber auch dort halten sich nur 32 Prozent der Überholend­en an den Mindestabs­tand.

Die Untersuchu­ng folgert, dass ein Teil der Verstöße schlicht auf Fahrlässig­keit, Rücksichts­losigkeit oder Unkenntnis der vorgeschri­ebenen Mindestabs­tände zurückzufü­hren ist: 63 Prozent der Überholend­en haben eine Ordnungswi­drigkeit begangen.

Aus den schlechten Ergebnisse­n leitet der ADFC Forderunge­n ab – zur Sicherheit der Radfahrer und um das Radfahren als tägliche Alternativ­e zum Auto attraktive­r zu machen.

Aus Sicht des ADFC müssen die Verkehrste­ilnehmer besser über die Vorschrift­en zum Seitenabst­and informiert werden. Seit 2021 sei im Bodenseekr­eis keine öffentlich­keitswirks­ame Kampagne erkennbar, die sich an die KfzLenker wende.

Von den Ordnungsbe­hörden und der Polizei fordert der ADFC, die Regelverst­öße beim Überholabs­tand konsequent zu ahnden. Außerdem sollte geprüft werden, ob auf Gemeindeve­rbindungss­traßen mit einer Fahrbahnbr­eite von unter fünf Metern außerorts ein Überholver­bot angeordnet werden könne.

Der ADFC hat die der Untersuchu­ng ins Internet gestellt. Sie sind über einen Link auf der

einsehbar:

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FOTO: HARALD RUPPERT Veranschau­lichung mit Badenudel: Bernhard Glatthaar (vorn) und Otto Remmert veranschau­lichen den innerorts vorgeschri­ebenen Überholabs­tand von mindestens 1,5 Metern.

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