Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Aus dem Zankapfel wird güldenes Obst
Aus zwei mach eins – Vor 50 Jahren wurden die Landkreise Tettnang und Überlingen zum Bodenseekreis vereinigt
- Der Bodenseekreis – märchenhaft, goldglänzend, ein Gesamtkunstwerk? So legt es eine von Kreisgalerie und Kreisarchiv zum 50-jährigen Bestehen des Landkreises ausgerichtete Ausstellung dem Besucher nahe. Unter dem Titel „Der Goldene Apfel“wird in der Meersburger Galerie mit einem Märchen, „harten Fakten“und Werken regionaler Künstler die „goldene Hochzeit“des Bodenseekreises gefeiert.
Die Partner bleiben dabei eigenartig blass. Sie scheinen im Lauf des halben Jahrhunderts ineinander aufgegangen, ein Herz und eine Seele geworden zu sein. Was insofern erstaunlich ist, als die Liaison 1973 von oben verordnet war. Eine Liebesheirat war’s jedenfalls nicht, als sich Tettnanger und Überlinger Kreisräte das Ja-Wort zur Bildung des Bodenseekreises mit Friedrichshafen als neuer Kreismetropole gaben. Inzwischen leben Badener und Württemberger, respektive Oberschwaben, in scheinbar vollkommener Symbiose zusammen. Die einzig offensichtlichen Unterscheidungsmerkmale sind die neben dem Kreiskürzel „FN“erst vor Kurzem wieder zugelassenen alten „ÜB“und „TT“bei den KfzKennzeichen. In Zeiten fortschreitender Globalisierung bricht sich die Sehnsucht nach Kleinteiligkeit und der „guten alten Zeit“offenbar wieder Bahn.
Vor 50 Jahren konnte man von Größe und Wachstum nicht genug kriegen. Wie die expandierende Wirtschaft sollte auch die öffentliche Verwaltung effektiver und leistungsfähiger werden. Die Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land sollten angeglichen werden. Es herrschte Aufbruchstimmung und eine Planbarkeits-Euphorie. Alles schien möglich. Man musste nur wollen. Und die Landesregierung wollte viel.
Nachdem 1968 das „Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleiner Gemeinden“in Kraft getreten war, was freiwillige Gemeindezusammenschlüsse erleichterte, ging die Große Koalition von CDU und SPD unter Ministerpräsident Filbinger (CDU) die Neuordnung der Landkreise an. Ein erstes „Denkmodell“von 1969 schlug die Zusammenlegung der bisher 63 Landkreise zu 25 Großkreisen vor. Es sollten neue Einheiten entstehen, die regionalen Verflechtungen Rechnung tragen und den Anforderungen der Zukunft gewachsen sind. Größere Landkreise, stärkere Gemeinden – das war das Credo der Reformer.
Das kam nicht überall gut an. Vor allem im Süden wurden die Reformpläne zum Zankapfel. Es gab Widerstand und teilweise entrüstete Reaktionen. Gegen den Plan, den ganzen Landkreis Tettnang inklusive des Kreises
Wangen und 18 Gemeinden des Kreises Überlingen in einem Großkreis Ravensburg aufgehen zu lassen, lief der Tettnanger Landrat Kurt Diez (CDU) Sturm. Der Christdemokrat, der seit 1957 das Amt innehatte, war derart aufgebracht, dass er öffentlich zum Boykott einer Anhörungsversammlung mit Innenminister Krause (SPD) in Ravensburg aufrief. In Stuttgart wurde die Reaktion als Affront gewertet, Diez wegen „grober Verletzung seiner Dienstpflicht“gemaßregelt.
Auch in Überlingen konnte man sich mit dem im „Denkmodell“vorgeschlagenen Großkreis Konstanz nicht anfreunden. Dieser sollte das westliche Bodenseegebiet mit den Landkreisen Überlingen, Radolfzell, Stockach sowie
Teile der Kreise Sigmaringen und Donaueschingen vereinigen. Im Überlinger Kreistag zog man den Anschluss an den Landkreis Stockach vor. Doch Karl Schiess (CDU), seit 1956 Landrat in Überlingen, hatte ganz anderes im Sinn. Der gebürtige Konstanzer war seit 1964 Landtagsabgeordneter und in dieser Funktion Vorsitzender des Ausschusses für die Verwaltungsreform. Er war, im Gegensatz zu seinem Tettnanger Kollegen Diez, also bestens eingebunden und zog bei dem Reformvorhaben im Hintergrund die Fäden. Nachdem klar war, dass das ursprüngliche „Denkmodell“der Großkreise nicht durchsetzbar war, musste man nach anderen Lösungen suchen. Nach langen Beratungen, denen zahlreiche Gutachten
zugrunde lagen, kam es Mitte des Jahres 1970 zu einem Koalitionskompromiss: Statt 25 Großkreisen sollten 35 Landkreise und acht Stadtkreise gebildet werden.
Am nördlichen Bodensee gingen bereits Anfang 1970 Tettnang und Überlingen auf Tuchfühlung. Das Heft des Handelns hatten drei einflussreiche Kommunalpolitiker in den Händen: Karl Schiess, der CDU-Fraktionsvorsitzende im Tettnanger Kreistag, Oberteuringens Bürgermeister Xaver Kreuzer und der Friedrichshafener Oberbürgermeister Max Grünbeck. Zusammen mit Landrat Diez kamen sie im März 1970 überein, eine Fusion der Landkreise Tettnang und Überlingen anzustreben. Der Zuschnitt des neuen Seekreises war zwar noch offen, aber der Weg vorgezeichnet.
Nach langen und zähen Verhandlungen kam es im Dezember 1970 in beiden Kreistagen zu klaren Voten für den neuen Bodenseekreis. Das Kreisreformgesetz wurde am 23. Juli 1971 vom Landtag beschlossen. Demnach sollte das Kreisgebiet die alten Landkreise Tettnang und Überlingen umfassen, letzteres ohne den Teil des ehemaligen Bezirksamts Pfullendorf, der seit 1936 zum Kreis Überlingen gehörte und jetzt dem neuen Landkreis Sigmaringen zugeschlagen wurde.
Am 1. Januar 1973 trat das Kreisreformgesetz in Kraft. Der erste Kreistag wurde am 8. April 1973 gewählt. Erster Landrat wurde Martin Herzog (CDU). Seit Juni 1972 war Herzog bereits Amtsverweser in Überlingen, nachdem Karl Schiess zum Innenminister berufen wurde. Der Tettnanger Landrat Kurt Diez wurde 1973 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die Landratsämter an der Bahnhofstraße in Überlingen und im Tettnanger Schloss wurden Außenstellen des provisorischen Landratsamts, das im ehemaligen Aka-Werk in Seemoos (heute Zeppelin-Uni) untergebracht war. 1978 konnte das neue Verwaltungsgebäude an der Glärnischstraße bezogen werden.
Auch wenn sich manche Organisationen wie das Rote Kreuz, Kirchen, Fußballer, Imker oder die Justiz bis heute an den alten Landesgrenzen orientieren, sind die neuen Kreisgrenzen nie mehr angetastet worden. In vielen Bereichen wie dem öffentlichen Personen Nahverkehr, Tourismus, Wirtschaftsförderung, Bildung, Umweltschutz oder Obstbau wird zunehmend regional und kreisübergreifend geplant und gehandelt.
Was sich jedoch als eine Konstante von 1973 bis heute durchzieht, ist die Parteizugehörigkeit der Landräte zur CDU: Martin Herzog wurde 1978 zum Oberbürgermeister von Friedrichshafen gewählt. Sein Nachfolger war Bernd Wiedmann (Foto: Anja Köhler), der 1985 OB in der Zeppelinstadt wurde. Neuer Landrat wurde der Bürgermeister von Meckenbeuren, Siegfried Tann. Er war am längsten im Amt und wurde 2007 von Lothar Wölf le abgelöst.
Luca Wilhelm Prayon (Foto: Alexander Tutschner), Bürgermeister der Gemeinde Remchingen im Enzkreis, zieht im Juni 2023 als fünfter Landrat mit CDU-Parteibuch ins Amt ein.