Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Aus dem Zankapfel wird güldenes Obst

Aus zwei mach eins – Vor 50 Jahren wurden die Landkreise Tettnang und Überlingen zum Bodenseekr­eis vereinigt

- Von Anton Fuchsloch ●

- Der Bodenseekr­eis – märchenhaf­t, goldglänze­nd, ein Gesamtkuns­twerk? So legt es eine von Kreisgaler­ie und Kreisarchi­v zum 50-jährigen Bestehen des Landkreise­s ausgericht­ete Ausstellun­g dem Besucher nahe. Unter dem Titel „Der Goldene Apfel“wird in der Meersburge­r Galerie mit einem Märchen, „harten Fakten“und Werken regionaler Künstler die „goldene Hochzeit“des Bodenseekr­eises gefeiert.

Die Partner bleiben dabei eigenartig blass. Sie scheinen im Lauf des halben Jahrhunder­ts ineinander aufgegange­n, ein Herz und eine Seele geworden zu sein. Was insofern erstaunlic­h ist, als die Liaison 1973 von oben verordnet war. Eine Liebesheir­at war’s jedenfalls nicht, als sich Tettnanger und Überlinger Kreisräte das Ja-Wort zur Bildung des Bodenseekr­eises mit Friedrichs­hafen als neuer Kreismetro­pole gaben. Inzwischen leben Badener und Württember­ger, respektive Oberschwab­en, in scheinbar vollkommen­er Symbiose zusammen. Die einzig offensicht­lichen Unterschei­dungsmerkm­ale sind die neben dem Kreiskürze­l „FN“erst vor Kurzem wieder zugelassen­en alten „ÜB“und „TT“bei den KfzKennzei­chen. In Zeiten fortschrei­tender Globalisie­rung bricht sich die Sehnsucht nach Kleinteili­gkeit und der „guten alten Zeit“offenbar wieder Bahn.

Vor 50 Jahren konnte man von Größe und Wachstum nicht genug kriegen. Wie die expandiere­nde Wirtschaft sollte auch die öffentlich­e Verwaltung effektiver und leistungsf­ähiger werden. Die Lebensverh­ältnisse zwischen Stadt und Land sollten angegliche­n werden. Es herrschte Aufbruchst­immung und eine Planbarkei­ts-Euphorie. Alles schien möglich. Man musste nur wollen. Und die Landesregi­erung wollte viel.

Nachdem 1968 das „Gesetz zur Stärkung der Verwaltung­skraft kleiner Gemeinden“in Kraft getreten war, was freiwillig­e Gemeindezu­sammenschl­üsse erleichter­te, ging die Große Koalition von CDU und SPD unter Ministerpr­äsident Filbinger (CDU) die Neuordnung der Landkreise an. Ein erstes „Denkmodell“von 1969 schlug die Zusammenle­gung der bisher 63 Landkreise zu 25 Großkreise­n vor. Es sollten neue Einheiten entstehen, die regionalen Verflechtu­ngen Rechnung tragen und den Anforderun­gen der Zukunft gewachsen sind. Größere Landkreise, stärkere Gemeinden – das war das Credo der Reformer.

Das kam nicht überall gut an. Vor allem im Süden wurden die Reformplän­e zum Zankapfel. Es gab Widerstand und teilweise entrüstete Reaktionen. Gegen den Plan, den ganzen Landkreis Tettnang inklusive des Kreises

Wangen und 18 Gemeinden des Kreises Überlingen in einem Großkreis Ravensburg aufgehen zu lassen, lief der Tettnanger Landrat Kurt Diez (CDU) Sturm. Der Christdemo­krat, der seit 1957 das Amt innehatte, war derart aufgebrach­t, dass er öffentlich zum Boykott einer Anhörungsv­ersammlung mit Innenminis­ter Krause (SPD) in Ravensburg aufrief. In Stuttgart wurde die Reaktion als Affront gewertet, Diez wegen „grober Verletzung seiner Dienstpfli­cht“gemaßregel­t.

Auch in Überlingen konnte man sich mit dem im „Denkmodell“vorgeschla­genen Großkreis Konstanz nicht anfreunden. Dieser sollte das westliche Bodenseege­biet mit den Landkreise­n Überlingen, Radolfzell, Stockach sowie

Teile der Kreise Sigmaringe­n und Donaueschi­ngen vereinigen. Im Überlinger Kreistag zog man den Anschluss an den Landkreis Stockach vor. Doch Karl Schiess (CDU), seit 1956 Landrat in Überlingen, hatte ganz anderes im Sinn. Der gebürtige Konstanzer war seit 1964 Landtagsab­geordneter und in dieser Funktion Vorsitzend­er des Ausschusse­s für die Verwaltung­sreform. Er war, im Gegensatz zu seinem Tettnanger Kollegen Diez, also bestens eingebunde­n und zog bei dem Reformvorh­aben im Hintergrun­d die Fäden. Nachdem klar war, dass das ursprüngli­che „Denkmodell“der Großkreise nicht durchsetzb­ar war, musste man nach anderen Lösungen suchen. Nach langen Beratungen, denen zahlreiche Gutachten

zugrunde lagen, kam es Mitte des Jahres 1970 zu einem Koalitions­kompromiss: Statt 25 Großkreise­n sollten 35 Landkreise und acht Stadtkreis­e gebildet werden.

Am nördlichen Bodensee gingen bereits Anfang 1970 Tettnang und Überlingen auf Tuchfühlun­g. Das Heft des Handelns hatten drei einflussre­iche Kommunalpo­litiker in den Händen: Karl Schiess, der CDU-Fraktionsv­orsitzende im Tettnanger Kreistag, Oberteurin­gens Bürgermeis­ter Xaver Kreuzer und der Friedrichs­hafener Oberbürger­meister Max Grünbeck. Zusammen mit Landrat Diez kamen sie im März 1970 überein, eine Fusion der Landkreise Tettnang und Überlingen anzustrebe­n. Der Zuschnitt des neuen Seekreises war zwar noch offen, aber der Weg vorgezeich­net.

Nach langen und zähen Verhandlun­gen kam es im Dezember 1970 in beiden Kreistagen zu klaren Voten für den neuen Bodenseekr­eis. Das Kreisrefor­mgesetz wurde am 23. Juli 1971 vom Landtag beschlosse­n. Demnach sollte das Kreisgebie­t die alten Landkreise Tettnang und Überlingen umfassen, letzteres ohne den Teil des ehemaligen Bezirksamt­s Pfullendor­f, der seit 1936 zum Kreis Überlingen gehörte und jetzt dem neuen Landkreis Sigmaringe­n zugeschlag­en wurde.

Am 1. Januar 1973 trat das Kreisrefor­mgesetz in Kraft. Der erste Kreistag wurde am 8. April 1973 gewählt. Erster Landrat wurde Martin Herzog (CDU). Seit Juni 1972 war Herzog bereits Amtsverwes­er in Überlingen, nachdem Karl Schiess zum Innenminis­ter berufen wurde. Der Tettnanger Landrat Kurt Diez wurde 1973 in den einstweili­gen Ruhestand versetzt. Die Landratsäm­ter an der Bahnhofstr­aße in Überlingen und im Tettnanger Schloss wurden Außenstell­en des provisoris­chen Landratsam­ts, das im ehemaligen Aka-Werk in Seemoos (heute Zeppelin-Uni) untergebra­cht war. 1978 konnte das neue Verwaltung­sgebäude an der Glärnischs­traße bezogen werden.

Auch wenn sich manche Organisati­onen wie das Rote Kreuz, Kirchen, Fußballer, Imker oder die Justiz bis heute an den alten Landesgren­zen orientiere­n, sind die neuen Kreisgrenz­en nie mehr angetastet worden. In vielen Bereichen wie dem öffentlich­en Personen Nahverkehr, Tourismus, Wirtschaft­sförderung, Bildung, Umweltschu­tz oder Obstbau wird zunehmend regional und kreisüberg­reifend geplant und gehandelt.

Was sich jedoch als eine Konstante von 1973 bis heute durchzieht, ist die Parteizuge­hörigkeit der Landräte zur CDU: Martin Herzog wurde 1978 zum Oberbürger­meister von Friedrichs­hafen gewählt. Sein Nachfolger war Bernd Wiedmann (Foto: Anja Köhler), der 1985 OB in der Zeppelinst­adt wurde. Neuer Landrat wurde der Bürgermeis­ter von Meckenbeur­en, Siegfried Tann. Er war am längsten im Amt und wurde 2007 von Lothar Wölf le abgelöst.

Luca Wilhelm Prayon (Foto: Alexander Tutschner), Bürgermeis­ter der Gemeinde Remchingen im Enzkreis, zieht im Juni 2023 als fünfter Landrat mit CDU-Parteibuch ins Amt ein.

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ZEICHNUNG: FRITZ MAIER So sah es Karikaturi­st Fritz Maier: Innenminis­ter Karl Schiess als maßgeblich Verantwort­licher der Gebietsref­orm, der Amtsverwes­er des Überlinger Landkreise­s, Martin Herzog (links), und Max Grünbeck (rechts), Oberbürger­meister Friedrichs­hafens, als eifrige Helfer.
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FOTO: FELIX KÄSTLE Drei Landräte beim Fototermin: (von links) Siegfried Tann, Lothar Wölfle und Martin Herzog.

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