Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Muskelkater ist ein Spätzünder
Beim Schmerz nach körperlicher Anstrengung helfen Wechselduschen – Was sonst noch wirkt und warum auch Ingwer und Kurkuma laut Studien eine Chance verdienen
Die Muskeln schmerzen, fühlen sich verspannt an, lassen sich nur widerwillig bewegen. Vor allem, wenn man nach dem Winter wieder untrainiert beginnt mit Joggen oder Radeln. Selbst einfaches Treppensteigen wird am nächsten Tag zur Tortur – wer kennt das nicht? Der sogenannte Muskelkater kann einem sportliche Aktionen noch im Nachhinein vergällen. Er hat schon so manche Trainingsvorsätze ausgehebelt. Dabei ist der verkaterte Muskel kein Grund zur Beunruhigung, und behandeln lässt er sich auch.
Jeweils 100 Klimmzüge, Liegestütze, Kniebeugen und Rumpfbeugen aus der Rückenlage, und alles so schnell wie möglich. Es ist ein „Hammer-Programm“, das den 39 männlichen Probanden an der Föderalen Universität von Rio de Janeiro als Trainingseinheit zugemutet wird. Hobbysportler dürften allein bei der Vorstellung erschauern. Doch die ausgewählten Probanden sind gesund, durchschnittlich 29 Jahre jung, gut trainiert – und sie leiden für die Wissenschaft. Unmittelbar nach der harten Trainingseinheit absolvieren sie entweder ein statisches Stretching, ein Übungsprogramm mit der Faszienrolle oder – zur Kontrolle – gar nichts, um 24 Stunden später untersuchen zu lassen, inwieweit sie durch die unterschiedlichen Methoden einen Muskelkater verhindern konnten.
Doch weder das Stretching noch die Faszienrollen aus Hartschaum, die in einer Art Selbstmassage über die Muskeln geführt werden, hatten einen sonderlichen Effekt auf die Leistungsfähigkeit. „Keine der drei Gruppen erreichte 24 Stunden nach der Trainingseinheit das Vortestniveau“, resümiert Sportmedizinerin
De Oliveira. Immerhin: Die Probanden mit den Faszienrollen fühlten sich individuell etwas besser und erholter als diejenigen, die sich nach dem Training gedehnt oder gar nichts getan hatten. Durch objektive Fakten untermauern ließ sich das allerdings nicht. Bildeten sich die Probanden einfach nur ein, dass ihr Muskelkater nicht so schlimm war?
Ausschließen lässt sich das nicht. „Der Placebo-Effekt spielt bei der Prävention und Therapie von Muskelkater eine große Rolle“, betont Othmar Moser vom sportwissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität Bayreuth. Denn zu den typischen Symptomen des Muskelkaters gehören Schmerzen und Leistungsabfall, und bei deren Wahrnehmung spielt die Psyche besonders stark mit.
Die physiologische Erklärung für Muskelkater lautete lange Zeit, dass bei intensivem Sport viel Milchsäure anfällt, die dann die Schmerzrezeptoren reizt. Diese
Theorie gilt mittlerweile als widerlegt. Die eigentliche Ursache des Muskelkaters liegt vielmehr in mikroskopischen Schädigungen innerhalb der Muskelfasern. „Es handelt sich dabei aber nicht, wie gerne behauptet wird, um Fasereinrisse“, betont Moser. „Sondern um Schädigungen an den Strukturen innerhalb der Faser, die schließlich zu einer Entzündung führen.“
Diese Veränderungen erklären auch den typischen Zeitverlauf der Muskelkater-Beschwerden. Denn die zeigen sich erst zwölf bis 24 Stunden nach dem Sport, um nach etwa 36 Stunden einen Höhepunkt zu erreichen. Der Muskelkater ist also ein Spätzünder. Der Grund: Die Schmerzrezeptoren sitzen am Faserrand, wo sie eine gewisse Zeit warten müssen, bis die „Unfallnachricht“aus dem Faserinnern – vor allem in Form von Entzündungsbotenstoffen – bei ihnen angekommen ist.
Risikofaktoren für einen Muskelkater sind eine schwache Muskulatur, der schlechte Trainingszustand des Sportlers, ungewohnte Bewegungen und so genannte exzentrische Belastungen, bei denen der angespannte Muskel unter Anspannung verlängert wird, quasi mit angezogener Handbremse arbeitet. „Das Hinaufgehen auf den Berg ist meistens nicht so das Problem“, erklärt Moser. „Der Muskelkater kommt eher beim Bergablaufen, weil dabei viel abfedernde, also exzentrische Arbeit geleistet werden muss.“Auch Krafttraining, bei dem die Gewichte langsam heruntergelassen werden, birgt ein großes Katerrisiko – sofern man es nicht gewohnt ist.
Für die Prävention und Behandlung kann der Sportler mittlerweile aus unüberschaubar vielen Mitteln und Methoden wählen. Zu ihnen gehören kalte Wasseranwendungen oder Wechselduschen nach
direkt
dem Training. „Der Muskelkater wird dann weniger intensiv und geht schneller wieder weg“, so Moser. Der Grund: Beim Muskelkater kommt es zu Schwellungen und damit einhergehenden Durchblutungsstörungen, die sich durch Wasseranwendungen und ihren intensiven Einf luss auf die Blutgefäße korrigieren lassen – bis zu einem gewissen Grad.
Auch das Aufwärmen vor dem Sport, etwa durch langsames Traben, behutsame Dehnungsübungen und eine Vorbereitung auf die anstehenden Bewegungsabläufe in Training oder Wettkampf, kann vor Muskelkater schützen. Der Effekt schwindet jedoch, wenn die sportliche Belastung intensiv ist und lange dauert.
Eine weitere Option ist die sogenannte Pressotherapie, bei denen die Gliedmaßen mit aufblasbaren Westen ummantelt werden. „Man sieht sie im Leistungssport immer häufiger“, berichtet Moser. Sie werden direkt nach der Belastung angelegt und wirken ähnlich wie eine Lymphdrainage, sorgen mit ihrem Wechseldruck – mal wird Luft ein-, mal wieder
abgelassen – ebenfalls für eine Anregung der Durchblutung. Die Athleten erinnern mit diesen Westen zwar an die bekannten Michelinmännchen, aber sie müssen sich dafür weniger vor Muskelkater fürchten.
Bei Mineralien, Vitaminen und anderen Nahrungsergänzungen sieht die Datenlage hingegen dürftig aus. Immerhin: Für Ingwer und Kurkuma weiß man, dass sie entzündungshemmend sind und daher bei Muskelkater helfen könnten. Ein Forscherteam der State University im USamerikanischen Georgia ließ 74 Studenten elf Tage lang intensiv trainieren und verabreichte ihnen täglich entweder zwei Gramm Ingwer oder ein Placebo. In der Gewürzgruppe fielen darauf hin die Muskelschmerzen um etwa 25 Prozent geringer aus. Dabei war es ohne Bedeutung, ob der Ingwer roh oder gekocht gegessen wurde.
Aus der US-amerikanischen Football League bekannt ist die Kryotherapie, bei der sich die Spieler in eine Eisbox oder ein Eisbad setzen. „Doch wir haben da
keine statistische Evidenz, dass es helfen würde“, betont Moser. Ein Eisschock ist eben nicht dasselbe wie die Leitungswasser-Kälte aus dem Duschkopf. Ähnlich ernüchternd ist die Datenlage für die Elektrostimulation, bei der die Muskeln durch gezielte Stromimpulse aktiviert werden. Ob Massagen zur Prävention und Behandlung von Muskelkater taugen, ist umstritten. Einerseits fördern sie die Durchblutung, andererseits sorgen sie auch für eine zusätzliche mechanische Reizung der Muskulatur. Letztendlich entscheidet über den tatsächlichen Massageeffekt wohl die Kompetenz des ausführenden Physiotherapeuten.
Moser empfiehlt ohnehin, sich nicht von einer Methode abbringen zu lassen, nur weil die Datenlage dazu dürftig ist. Denn Muskelkater und das, was gegen ihn hilft, seien sehr individuell. „Wenn jemand etwas gefunden hat, was ihm hilft, sollte er dabeibleiben“, so der Physiologe. „Und wenn er noch nichts gefunden hat, sollte er offen dafür sein, etwas Neues auszuprobieren.“