Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Sag zum Abschied musikalisc­h ’Servus’

Am Sonntag wird Sönke Wittnebel als Kantor der Schlosskir­che verabschie­det

- Von Harald Ruppert

Seit fast 32 Jahren ist Sönke Wittnebel Kantor der Schlosskir­che. Nun wird er in den Ruhestand verabschie­det: Am Sonntag, 28. April, um 9.30 Uhr im Rahmen eines Festgottes­dienstes. Wenn dabei die BachKantat­e „Erschallet, ihr Lieder“erklingt, wird Wittnebel ein letztes Mal als Dirigent „seiner“Kantorei am Pult stehen. „Dieser Tag ist für mich noch ein riesiger Berg“, sagt Wittnebel. Nach eine kleinen Pause fügt er an: „Wegen der Gefühle, die damit zusammenhä­ngen.“

Der Abschied, vor dem er steht, wird von tiefer Dankbarkei­t getragen. Ab 1992 hat der 1958 geborene Schleswig-Holsteiner die evangelisc­he Kirchenmus­ik auf den hohen Rang gehoben, den sie in Friedrichs­hafen heute einnimmt. Die eigentlich­e Kantorei gab es bereits, als Wittnebel seine Stelle antrat. Sonst aber keinen der Chöre, die er seither aufgebaut hat: den Kinderchor für die Kleinsten ab drei Jahren; die Jungen- und Mädchenkan­torei, in den die Kinder wechseln, wenn sie fünf bis sechs Jahre alt sind. Schließlic­h die Jugendkant­orei und der Gospelchor „Almost Heaven“. Die Fülle der Aufgaben, die Wittnebel teils über Gebühr wahrnahm, war nur mit der Hilfe seiner Ehefrau Gabriele zu bewältigen. „Sie hat über Jahrzehnte ehrenamtli­ch eine ganze Stelle ausgefüllt“, sagt Sönke Wittnebel.

Manuel Mader, der im September Wittnebels Nachfolge als Kantor antritt, hat bereits zugesagt, sämtliche Chöre übernehmen zu wollen. Überdies ist der 31-Jährige auch bereit, Wittnebel als Vorsitzend­er des Vereins „Freundeskr­eis für evangelisc­he Kirchenmus­ik“zu folgen; als Kandidat steht er jedenfalls bereit. Wittnebel hat den Freundeskr­eis 1995 initiiert. „Das war eine der besten Ideen, die ich je hatte“, sagt er.

Der Freundeskr­eis mit seinen zeitweise bis zu 300 Mitglieder­n signalisie­rt, dass die geistliche Musik in der Schlosskir­che nicht nur von den Mitglieder­n der Schlosskir­che allein getragen wird. Außerdem senkt der Freundeskr­eis durch finanziell­e Zuwendunge­n das Risiko, die konzertant­e Aufführung­en in der Schlosskir­che mit sich bringen: Orchester und Gesangssol­isten wollen nun einmal bezahlt werden.

Der „Freundeskr­eis“gab Sönke Wittnebel den Freiraum, nicht nur wohlfeile populäre Werke aufzuführe­n, sondern auch experiment­elle und riskante Wege zu gehen. Zum Beispiel hat er mit der Kantorei die „Erntefeier“von Heinrich von Herzogenbe­rg (1843-1900) aufgeführt. Das Riesenwerk eines Komponiste­n aus der Region, der „im Dornrösche­nschlaf lag“, wie Wittnebel sagt - und somit keine volle Schlosskir­che garantiert­e. Sönke Wittnebel war es zudem immer auch wichtig, zeitgenöss­ische Werke aufzuführe­n, wie die „Missa Profana“von Heinz-Werner Zimmermann oder die „Jesus-Passion“von Johann Gottlieb Blarr. „Man betritt ja in emotionale­r, theologisc­her und musikgesch­ichtlicher Hinsicht neue Räume, wenn man solche Kompositio­nen aufführt“, sagt er. „Alles andere hätte ich auch als total langweilig empfunden.“

Trotz der Vielzahl der aufgeführt­en Werke in diesen einunddrei­ßigeinhalb Jahren, hat Sönke Wittnebel noch offene Wünsche auf seiner Liste. „Die ’Marienvesp­er’ von Monteverdi hätte ich gern gemacht. Und Mendelssoh­ns Oratorien ’Elias’ und ’Paulus’. Aber, meine Güte“, fügt er an: „Es geht auch ohne!“Zumal

Wittnebel seine Aufgabe als Kantor darin sieht, sich nicht nur um die Musik zu kümmern, sondern auch um die Menschen. Das beginnt bei seiner Funktion als Mittler zwischen Gott und der Gemeinde: „Ich habe immer überlegt, was ich tun muss, um nicht im Weg zu sein – bei der Begegnung zwischen den Musizieren­den und dem Publikum auf der einen Seite, und Gott auf der anderen.“Geistliche Musik ist ein Instrument, um Gemeinscha­ft zwischen Gott und der Gemeinde zu schaffen; und diese spirituell­e Grundlage hat Sönke Wittnebels Tätigkeit als Dirigent und sein Orgelspiel im Rahmen der Gottesdien­ste auch immer geprägt.

Überdies wollte er den Mitglieder­n der Chöre über die Musik und die Begegnung miteinande­r ein Zuhause bieten. „In den Chören haben sich viele Menschen schätzen und sogar lieben gelernt“, erzählt Wittnebel. „Es sind auch vielfach Leute in die evangelisc­he Kirche eingetrete­n, weil ihnen die Arbeit in den Chören stimmig erschienen ist.“

Vom altmodisch­en Begriff der „Lauterkeit“wird Sönke Wittnebel treffend beschriebe­n. Wer ihn kennt, schildert ihn als fair, ehrlich und offen. Umstandslo­s sagt er über den bevorstehe­nden Lebensabsc­hnitt: „Ich weiß, dass es nicht selbstvers­tändlich ist, diese Vollbremsu­ng in den Ruhestand gut hinzukrieg­en.“Dafür auch „an sich arbeiten“zu müssen, gibt er zu.

Trotzdem soll sein Abschied als Kantor ein wirklicher Abschied sein. „Zum taktvollen Verhalten gehört, dass ich mich musikalisc­h jetzt ganz raushalte“, sagt er zu seiner künftigen Rolle in der Schlosskir­che. Darüber hinaus will Sönke Wittnebel mit seinen musikalisc­hen Plänen einen gehörigen Abstand zu Friedrichs­hafen wahren. Projekte in Konstanz etwa hat er schon im Auge. „Zwischen Friedrichs­hafen und Konstanz liegt ja auch das Meer“, meint er mit einem Lachen.

Freilich scheidet mit Sönke Wittnebel auch der größte Kenner der neuen digitalem Schlosskir­chen-Orgel. In ihre Konzeption war er intensivst mit eingebunde­n. Daher hat er einen großen Wunsch: „dass mir die Kirchengem­einde auch weiterhin die Möglichkei­t bietet, auf der Orgel zu üben. Und nur für mich darauf die Werke zu spielen, die ich immer schon mal spielen wollte. Das wäre eine schöne Perspektiv­e.“

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FOTO: HARALD RUPPERT Sönke Wittnebel ist glücklich mit seiner Vergangenh­eit als Kantor und neugierig auf den neuen Lebensabsc­hnitt.

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