Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gut jeder zehnte Betrieb von Rente mit 63 betroffen

Hälfte der frei werdenden Stellen besetzen die Unternehme­n neu

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(dpa) - „Die Rente mit 63 kommt zur Unzeit.“So beschreibt Ralf-Michael Fuchs ein Jahr nach dem Start die Folgen für sein Unternehme­n. „Wir haben die Bücher voll, weil die Konjunktur recht gut läuft, gleichzeit­ig gehen wichtige Know-how-Träger relativ kurzfristi­g aus dem Unternehme­n“, sagt der Geschäftsf­ührer des Maschinenb­auers Schenck Rotec in Darmstadt. „Einige können direkt in den Ruhestand gehen. Andere sagen, okay, ich habe noch einige Überstunde­n angesammel­t, ich komme jetzt noch einen Monat, dann bin ich weg.“

Seit dem 1. Juli 2014 kann in Deutschlan­d ohne Abschlag in den Ruhestand gehen, wer mindestens 45 Jahre in die Rentenvers­icherung eingezahlt hat. Bis Ende April sind bei der Deutschen Rentenvers­icherung insgesamt 300 000 entspreche­nde Anträge eingegange­n, bewilligt wurden bis Ende vergangene­n Jahres 136 000. Auch auf dem Arbeitsmar­kt dürfte das bereits Spuren hinterlass­en haben – zumindest ging zwischen Juli 2014 und März 2015 die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten ab 63 Jahren um etwa 40 000 zurück, sagt ein Sprecher der Bundesagen­tur für Arbeit (BA). „Das ist ein untypisch hoher Rückgang.“

Verlust von Fachwissen

Arbeitgebe­rverbände fürchten einen Verlust wichtigen Know-hows in Deutschlan­ds Firmen. „Es war und ist ein Fehler, in Zeiten zunehmende­n Fach- und Arbeitskrä­ftemangels teure Anreize zur Frühverren­tung zu schaffen“, erklärt Alexander Gunkel von der Hauptgesch­äftsführun­g der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA). Der Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll klagt, in der Metall- und Elektroind­ustrie seien in den ersten drei Monaten nach Start der Rente ab 63 fast 3000 Arbeitnehm­er von heute auf morgen in den Ruhestand gegangen. Die Zahl der über 63-jährigen Mitarbeite­r in der Branche sei damit um rund fünf Prozent gesunken – nachdem der Anteil seit über zehn Jahren stetig gestiegen war.

„Die Unternehme­n verlieren Fachkräfte mit langer Berufserfa­hrung und spezifisch­em Wissen über das Unternehme­n und die Kunden, die sich nicht so einfach durch nachrücken­de Mitarbeite­r ersetzen lassen“, erklärt Geschäftsf­ührer Michael Stahl. „Außerdem bleibt den Unternehme­n nicht genug Zeit für die Qualifizie­rung und Einarbeitu­ng der Nachrücker, weil die Entscheidu­ng der Mitarbeite­r zur Rente mit 63 oft sehr kurzfristi­g gefallen ist.“Mit den Folgen hätten vor allem kleine und mittelstän­dische Betriebe zu kämpfen.

Schenck Rotec ist Weltmarktf­ührer in der Auswuchtte­chnik und beschäftig­t am Standort Darmstadt rund 450 Menschen. „In unserer Firma ist es Tradition, Mitarbeite­r auszubilde­n. Viele Mitarbeite­r haben ihr gesamtes Berufslebe­n danach in unserer Firma verbracht“, sagt Fuchs. Im Laufe der Jahre seien diese Beschäftig­ten in Führungspo­sitionen hineingewa­chsen. „Sie haben sich hochgearbe­itet und sind zum Beispiel Vorarbeite­r oder Montagelei­ter geworden.“

Anders als ein Ingenieur mit Hochschuls­tudium bekommen Mitarbeite­r mit einer solchen Erwerbsbio­grafie mühelos die erforderli­chen 45 Beitragsja­hre zusammen. „In Verbindung mit einem Altersteil­zeitmodell haben wir jetzt eine Situation, wo ein deutlicher Anteil der über 60-Jährigen ohne zeitlichen Vorlauf auf einen Schlag in Ruhestand geht.“

Beim Technologi­eriesen Bosch ist die Lage anders. Eine Schätzung des Unternehme­ns im vergangene­n Jahr habe ergeben, dass nur ein bis zwei Prozent der damals 105 000 Beschäftig­ten überhaupt die Voraussetz­ungen erfüllen würden, sagt Personalsp­recher Sven Kahn. „Bei Bosch stellen wir uns grundsätzl­ich eher auf ein längeres Erwerbsleb­en der Beschäftig­ten ein.“Das Unternehme­n hat vor Jahren sogar eine Tochter gegründet, die pensionier­te Mitarbeite­r für zeitlich befristete Beratungs- oder Projektauf­gaben in den Konzern vermittelt. Die Nachfrage ist groß: 1600 Ruheständl­er haben im vergangene­n Jahr rund 55 000 Einsatztag­e geleistet.

Doch nicht jeder kann und will in diesem Alter noch arbeiten. Für die Gewerkscha­ften ist die Rente ab 63 daher zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. „Wer 45 und mehr Jahre die Knochen hingehalte­n hat, hat sich seine Rente einfach verdient“, sagt DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach. Diese Menschen sollten nicht durch Abschläge dafür bestraft werden, „wenn in den letzten Jahren vor der Rente die Kraft nicht mehr reicht.“

Keine Lösung für alle Probleme

Für Hans-Jürgen Urban, geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied der IG Metall, bietet die Rente ab 63 Schutz vor einem sozialen Absturz am Ende eines langen Arbeitsleb­ens. Den Jüngeren eröffne sie zudem bessere Chancen am Arbeitsmar­kt, da mehr Stellen frei würden und neu zu besetzen seien. Die Gewerkscha­ften sehen aber Nachbesser­ungsbedarf. „Die Rente ab 63 ist keine Lösung für alle Probleme und alle Arbeitnehm­er bei den flexiblen Übergängen in die Rente“, sagt Buntenbach. „Wir brauchen daher ein ganzes Instrument­enbündel.“

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FOTO: DPA Am stärksten nutzen Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst die Möglichkei­t, schon im Alter von 63 Jahren ohne Abschläge in den Ruhestand gehen zu können.

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