Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wo die Blechtrommel schlug
Der historisch wertvolle „Adler“in Großholzleute steht leer und droht zu verkommen – Investoren fürchten den Sanierungsbedarf
GROSSHOLZLEUTE - Das Jahrhunderte alte Holz der Treppe knirscht leicht beim Hochsteigen. Dies gehört zum Ambiente des Adlers, einem Wirtshaus in Großholzleute bei Isny – dort, wo das württembergische Allgäu am Rande der Adelegg-Höhen zu Ende geht. Der Adler ist etwas Besonderes. Selbst im regional zuständigen, aber fernen Regierungspräsidium Tübingen interessiert man sich für ihn. Es ließ den Gebäudekomplex vor drei Jahren zu einem Denkmal von besonderer Bedeutung erklären. Regierungspräsident Hermann Strampfer meinte seinerzeit: „So einen Gasthof gibt es kein zweites Mal im Land.“
Die Eindrücke vor Ort scheinen dies zu bestätigen. Nach den nächsten Schritten auf der Treppe ist der Saal im ersten Stock einsehbar: gotisches Gebälk, ehrwürdiges Täfer, historisches Parkett, alte Wandmalerei, Geschichte pur. Hier war die Gerichtslaube. In ihr saßen am 19. April 1525 örtliche aufständische Bauern zusammen. Wie anderswo in den deutschen Landen wollten sie gegen ihre Herren losschlagen. Durch das Treffen wurde der Adler Teil des Konflikts, den die Nachgeborenen als Bauernkrieg kennen.
Knapp 500 Jahre später ist dies im Wirtshaus nur noch eine Erinnerung. Aber selbst sie ist bedroht. Dies hat mit dem Zustand des Gebäudekomplexes zu tun. Vor zweieinhalb Jahren haben die Eigentümer alles stehen und liegen gelassen. Es war ein Pärchen von auswärts gewesen: Stefan Alt und Adelheid Schmid. Sie hatten aus dem Adler ein Bio-Restaurant gemacht. Anfangs erfolgreich. Dann scheiterten sie trotz aller Anstrengungen. Am Schluss stand die Auswanderung nach Südafrika. Seitdem steht der Adler leer. Zugleich wird er an immer mehr Stellen marode. Mauern, Stuben und Säle verkommen. Es bröckelt. Die Küche ist ein Fall für die Entrümplung. Im heimeligen, mehrteiligen Gastraum mit seinen Holzbänken, alten Bildern, Jagdtrophäen und bunten Glasfenstern kann man sich zwar noch vorstellen, auf die Schnelle ein Bier zu ordern. Aber lüften täte Not.
Fünf Millionen Euro Kosten
Die Stadt Isny, zu der Großholzleute gehört, hat kürzlich ein Gutachten über die Kosten einer Sanierung erstellen lassen. „Wir wollten Zahlen in der Hand haben, wenn sich jemand für den Adler interessiert“, sagt Bürgermeister Rainer Magenreuter. Das Ergebnis war ein Schock. Rund fünf Millionen Euro wären an Investitionen nötig, um das Ensemble aus Hauptgebäude und Festsaal weiter als Wirtshaus zu betreiben. Eine Zahl, die brutal im Raum steht – auch wenn sie nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ist. Jedenfalls erschwert die Summe das Suchen nach einem Adler-Retter.
Längst wirkt die mit HistorienBildern versehene Vorderfront wie ein zuwachsendes DornröschenSchloss. Wer öfters zwischen Isny und Kempten auf der B 12 unterwegs ist, kennt die traurige Szenerie – auch weil beim Adler einprägsam ein Blitzer steht. Noch denkt aber niemand an den Abriss. Dass das Wirtshaus erhalten bleiben soll, gilt als ausgemacht. Sogar der Chef des badenwürttembergischen Amtes für Denkmalpflege, Claus Wolf, wirft ein Auge auf den Adler. Wobei ihm dies leichtfällt, hat er doch ein Ferienhaus bei Großholzleute.
Günter Grass’ Anfänge
Selbst bundesweit ist das AdlerSchicksal bereits beachtet worden. Dies liegt am unlängst verstorbenen Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Vor zwei Jahren sprach er sich für den Erhalt des Wirtshauses aus. Im Festsaal hatte seine schriftstellerische Karriere Fahrt aufgenommen. Dies hängt damit zusammen, dass der Adler von der Literatenvereinigung Gruppe 47 im Herbst 1958 als Tagungsstätte auserkoren worden war. Grass las erstmals aus der „Blechtrommel“vor, seinem später bekanntesten Werk. Die Schriftsteller-Kollegen waren begeistert. Was den Adler angeht, erinnert daran noch Grass’ Unterschrift im Gästebuch. Auf der Bühne, wo er las, kleben dagegen bloß Bäbber längst vergessener Musikkapellen: der Allgäuer Bergvagabunden, der 4 Silverstone’s und so weiter. Sie stammen aus der Zeit, als hier noch Fasnet gefeiert wurde, als Tanz war – vor 30 oder 40 Jahren. Alteingesessene erinnern sich gerne: „Da war immer etwas los.“
Zuletzt gab es im Saal einen Flohmarkt. Die Ware liegt noch herum: Brüchige Vasen, verstaubte Filmkassetten, Kitsch. Vom muffigen Keller zieht Feuchtigkeit die dünnen, ungedämmten Mauern hoch. Der SaalBau ist gerade 95 Jahre alt und im Vergleich zum Ur-Adler deutlich schlechter konstruiert. Dieser scheint wenigstens in seiner baulichen Grundsubstanz gesund zu sein. Er war im frühen 15. Jahrhundert als Amtshaus entstanden. 1714 wurde die Wirtshaustradition begründet. Damals war das Gebäude Poststation und erhielt Ställe für Postpferde. Bei deren Wechsel sollten Reisende verpflegt werden können.
Prominente Gäste
1768 machte hier Kaiserin Maria Theresia Station, 1770 ihre Tochter Marie Antoinette, die spätere französische Königin. Im monarchistischen Nachklapp war im März 1987 noch Prinzessin Anne da, Tochter von Queen Elizabeth. Sie verbrachte einige Tage Winterurlaub in Großholz- leute – heutzutage trotz der renovierten Hasenbergschanze wegen all der alpinen Konkurrenz-Orte kaum noch vorstellbar. Anders dagegen früher. Zwischen den beiden Weltkriegen galt das Dorf sogar als ein Zentrum des schwäbischen Skilaufs – mit dem Standquartier Adler. Paul Dinkelacker aus der gleichnamigen Stuttgarter Brauereidynastie war führend daran beteiligt. Auch ihm ist im Adler ein Denkmal gesetzt.
So viel Glanz! Wie konnte da das Wirtshaus so herunterkommen? In Großholzleute hat man durchaus Antworten darauf. Man will aber nicht zu viel dreckige Wäsche waschen. Nur so viel sei gesagt: 1988 waren noch Dach und Fassade des Adlers saniert worden. Danach machte sich bemerkbar, dass nicht jeder Wirt ein glückliches Händchen hat. Das Geld wurde knapp. Um das Jahr 2000 herum kam es zum Verkauf des zugehörigen Bettenhauses für Übernachtungsgäste. Das Wirtshaus verlor eine zentrale Einkommensquelle. 2005 erwarben die späteren Südafrika-Auswanderer Stefan Alt und Adelheid Schmid den Adler. Ihm wird heute im Dorf nachgesagt, er habe es manchmal nicht so richtig mit den Gästen gekonnt.
Es braucht regionale Strahlkraft
Alt gehört das Wirtshaus noch. Er will es jedoch rasch loswerden. 250 000 Euro sind sein Preis. Ernsthafte Interessenten hat es zwischenzeitlich gegeben, darunter eine regionale Brauerei und Unternehmer aus der Gegend. Es blieb bei Diskussionen – etwa über ein Nutzungskonzept. Als Dorfwirtshaus kann der Adler in einem Mini-Ort wie Großholzleute nicht überleben. „Es müsste eine Gastronomie mit mindestens regionaler Strahlkraft sein“, glaubt Ortsvorsteher Franz Mayer. Ein Problem neben dem teuren Sanierungsbedarf ist dabei gelöst: Die bisher fehlenden Parkplätze wurden jüngst von der Isnyer Stadtverwaltung organisiert. Als weiterhin störend betrachtet aber mancher die B 12. Sie führt mit ihrem Schwerlastverkehr unschön direkt am Gebäude vorbei. Der Bau einer Ortsumgehung ist zwar anvisiert. Ob er kommt, weiß niemand.
Isny fehlt das Geld
Trotz aller Widrigkeiten halten einzelne Interessenten ein Engagement letztlich für möglich. Sie fordern jedoch, Isny solle sich an den Sanierungskosten beteiligen. Die Stadt hübscht jedoch gerade ihr Zentrum auf, muss demnächst das Schulzentrum richten und kann sich deshalb eine Beteiligung nicht leisten. Aus dem Rathaus kommt aber der Hinweis, ein Käufer könne mit rund 1,2 Millionen Euro Zuschüssen aus diversen öffentlichen Töpfen rechnen.
Ein Geschäftsmann meinte, er würde einsteigen, wenn ein Abriss des besonders desaströsen Festsaals möglich wäre – zumal sich der Riesenraum schlecht nutzen ließe. Der Denkmalschutz zögert. Es gibt aber Signale, dass er sich vom Saal verabschieden könnte, sollte dafür der Erhalt des Wirtshauses gesichert sein. „Schon würden die Kosten sinken“, sagt Markus Koch. Der Gastronomie-Berater und ehemalige AdlerStammgast hat von Besitzer Alt die Hausschlüssel erhalten, um einen Verkauf über die Bühne zu bringen. Er hält die fünf Millionen Euro Sanierungskosten aus dem städtischen Gutachten für überzogen. Damit sei eine komplette Luxusinstandsetzung gemeint, erklärt Koch. Es würde auch billiger gehen. Trotzdem traut sich gegenwärtig niemand an das Projekt. „Vielleicht kommt ja mal ein Liebhaber alter Häuser“, lautet eine Hoffnung in Großholzleute. Gemeint ist offenbar ein Prinz, der den Adler wach küsst.