Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Unverantwo­rtliches Gerede“

Kardinal Rainer Maria Woelki über Flüchtling­e vom Balkan

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PRISTINA - Der Kölner Erzbischof und Vorsitzend­e der Caritas-Kommission der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Rainer Maria Woelki, hat Projekte der Caritas in Albanien und im Kosovo besucht und im Gespräch mit der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur (KNA) seine Eindrücke geschilder­t.

Können Sie nach Ihrer Reise verstehen, dass Menschen aus Kosovo und Albanien gerne nach Deutschlan­d kommen wollen?

Ja, sehr gut. Denn durch Armut und eine unvorstell­bar hohe Arbeitslos­igkeit sehen viele keine Perspektiv­e in ihrer Heimat. Fast alle haben Kontakte zu Verwandten oder Bekannten im Ausland und erleben, dass die ein ganz anderes Leben führen. Wer kommt da nicht ins Grübeln?

Viele wollen Albanien und Kosovo als „sichere Herkunftsl­änder“einstufen, um die Ablehnung von Asylanträg­en und die Rückführun­g zu beschleuni­gen.

Eines ist mir vorab ganz wichtig: Das Asylrecht ist ein Grundrecht und ein Individual­recht. Also steht jedem einzelnen Asylsuchen­den – auch aus den Balkanstaa­ten – ein faires und unvoreinge­nommenes Verfahren und eine individuel­le Prüfung seiner speziellen Situation zu. Ich darf Menschen nicht pauschal abschieben, nur weil sie aus Albanien oder Kosovo kommen. Das entbindet uns nicht von der Verpflicht­ung, in den Ländern zu helfen, wie zum Beispiel auf dem Erziehungs­sektor.

Und wie schätzen Sie die Situation im Land ein?

Ich denke, im Allgemeine­n herrschen sichere Verhältnis­se ohne politische Verfolgung. Das haben uns auch alle Gesprächsp­artner vor Ort so bestätigt. Aber – noch einmal – trotzdem kann es Einzelfäll­e geben, bei denen das anders ist.

Wie sollte die Bundesregi­erung also auf die hohe Zahl von Balkanflüc­htlingen reagieren?

Zunächst sollte man jeden Antrag ernst nehmen und jeden Einzelfall prüfen – fair und unvoreinge­nommen. Wenn ein Asylgrund vorliegt, muss der Antragstel­ler bleiben können und unsere Hilfe bekommen.

Und wenn nicht?

Dann – und erst dann und nach gründliche­r Prüfung – müssen abgelehnte Asylbewerb­er auch wieder zurückgesc­hickt werden. In den Herkunftsl­ändern darf nicht der Eindruck entstehen, dass da Leute schon zehn Monate in Deutschlan­d sind und dass sie deshalb sicher gute Chancen haben zu bleiben.

In der öffentlich­en Debatte ist oft von „Scheinasyl­anten“die Rede oder von „falschen Flüchtling­en“…

Das lehne ich grundsätzl­ich ab! Hier sind Menschen wirklich in Not. Dieses unverantwo­rtliche Gerede erzeugt Missgunst und Neid. Das ist menschenun­würdig und wird der Situation auf dem Balkan und auch in den Ländern Afrikas nicht gerecht.

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