Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Und raus sind wir

Bei den „Live Escape Games“müssen sich Spieler aus einem geschlosse­nen Raum rätseln

- Von Daniel Drescher

KONSTANZ - Sechs Sekunden länger, und die Terroriste­n hätten ihren Sprengsatz in Berlin hochgehen lassen. Auf einem Display formen sich Buchstaben zur Entwarnung: „Ihr habt die Bombe entschärft.“Wir jubeln, klopfen uns auf die Schultern, atmen auf. In den zurücklieg­enden 60 Minuten sah es nicht so aus, als ob wir fünf die Aufgabe meistern.

Aber von vorne. Die Bombe ist nicht echt, die Terroriste­n sind ausgedacht. Sie sind Bestandtei­l eines sogenannte­n „Live Escape“-Spiels, bei dem man sich innerhalb einer vorgegeben­en Zeit aus einem geschlosse­nen Raum hinausräts­eln muss. Ihren Ursprung haben diese Spiele im Internet, wo es unzählige Varianten davon gibt. Weil sich die kniffelige­n Minispielc­hen mit jedem Browser aufrufen lassen und man dafür nicht eigens Software installier­en muss, sind sie bei der Netzgemein­de sehr beliebt (siehe Kasten).

Inzwischen haben die auch als „Exit the Room Games“bezeichnet­en Rätsel ihren Weg ins reale Leben gefunden. Der Erlebnis-Internetpl­attform Cool Places zufolge gibt es Live Escape Games in Deutschlan­d seit Ende 2013. Köln war die erste Stadt, in der ein Anbieter auf den Plan trat. Inzwischen sollen es rund 50 Veranstalt­er bundesweit sein. Hamburg, Düsseldorf, Berlin – die Liste der Spielorte liest sich dabei wie eine Übersicht der wichtigste­n deutschen Großstädte. Doch ganz so weit muss man dann doch nicht fahren, wenn man im Süden Deutschlan­ds lebt.

Seit knapp einem Jahr sind Diana und Béla Takács mit „Trap Konstanz“ in der Universitä­tsstadt am Bodense ansässig. „Trap“(Englisch für Falle) ist die Abkürzung für „Time Race against Puzzles“, was übersetzt so viel wie „Puzzle-Wettlauf mit der Zeit“bedeutet. Die beiden kommen ursprüngli­ch aus Ungarn. In Budapest boomt die Escape-Games-Szene: „Dort gibt es ungefähr 150 Räume“, sagt Diana Takács. In Konstanz haben sie sich als Franchisen­ehmer der ungarische­n „Trap“-Kette selbststän­dig gemacht. Bei regnerisch­em Wetter kommen mehr Besucher, beliebt sind dafür vor allem die Wochenende­n. 50 Euro kostet die Stunde insgesamt. Davon leben können die Betreiber allerdings nicht, hauptberuf­lich arbeiten beide in der Gastronomi­e.

Hilfe per Walkie-Talkie

Einsperren lassen sich die unterschie­dlichsten Menschen: „Kürzlich waren ein paar junge Männer zum Junggesell­enabschied hier“, erzählt Diana Takács. Aber auch ältere Menschen haben offenbar Spaß am Rätseln: „Der älteste Besucher bisher war ein 80-Jähriger.“Mindestens zu zweit sollte man sein, maximal können zehn Personen mitmachen. Bevor wir in den Raum gesperrt werden, drückt uns Diana Takács ein kleines Funkgerät in die Hand. Damit können wir um Hilfe rufen, wenn wir bei den Rätseln gar nicht weiterkomm­en sollten.

Die Tür schließt sich, das Rätsel beginnt. Wir jagen die Terroriste­n rund um den Globus, müssen dafür von Stadt zu Stadt reisen. Zu den Metropolen gehören jeweils abgeschlos­sene Boxen, in denen wir Schlüssel oder weitere Puzzleteil­e finden. Wir müssen Schlösser knacken, manchmal mit einem Schlüssel, der versteckt ist, manchmal mit einer Zahlen- oder Buchstaben­kombinatio­n, die es herauszufi­nden gilt.

Wir stürzen uns auf die ersten Prüfungen, hängen an einer mathematis­chen Aufgabe mit einem Dreieck, die Zeit läuft, verdammt, wie war das nochmal mit Pythagoras und seiner Hypotenuse? Wie im Flug sind 20 Minuten vergangen, Nervosität macht sich breit, „Das schaffen wir nie“, ruft Olga, „Nicht aufgeben“, versuche ich zu motivieren. Schon kurios: Es sind eigentlich nur Holzboxen, darin liegen Puzzleteil­e, Zettel, ein kleiner Handspiege­l an einer Stange, ein defektes Mobiltelef­on. Es sind simple Zutaten, aber das Team ist elektrisie­rt und ehrgeizig. Wobei wir wohl ein etwas unorganisi­ertes Team sind: Es gibt niemanden, der die Führung übernimmt, immer wieder arbeiten wir in unterschie­dlichen Konstellat­ionen an den Rätseln. An einigen Stellen beißen wir uns so fest, dass wir über Tipps der TrapBetrei­ber via Monitor oder WalkieTalk­ie wirklich froh sind. Oft sind die Rätsel im Grunde einfach, aber man denkt zu viel und zu komplizier­t. Dass ein Ventilator versucht, die brütende Sommerhitz­e zu vertreiben, macht unsere Hirnleistu­ng wohl auch nicht besser. Bettina beginnt, eine vierstelli­ge Buchstaben­kombinatio­n in Zahlen zu übersetzen, wieviele Buchstaben hat das Alphabet nochmal? „Das ist aber ein Schloss mit Buchstaben­kombi“, fällt Srdjan auf, oh genau, naja, kann passieren. Die dramatisch­e Musik im Hintergrun­d bräuchten wir gar nicht, das Adrenalin wird auch so zur Genüge ausgeschüt­tet.

Am Ende sind wir selbst verblüfft, dass wir es geschafft haben. Und vor allem froh, dass wir nur die Verantwort­ung für eine fantasiert­e Bombenschä­rfung hatten.

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FOTOS: DANIEL DRESCHER Rätsel lösen, Schlösser knacken: Geschickli­chkeit und rasches Auffassung­svermögen sind bei den Live Escape Games gefragt.
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