Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Mehr Kinder, aber nicht genug
In Deutschland werden wieder mehr Babys geboren – Forscher: Demografischer Wandel trotzdem nicht zu stoppen
WIESBADEN (dpa/KNA) - So viele Geburten wie seit zehn Jahren nicht mehr: Laut Statistischem Bundesamt entscheiden sich in Deutschland so viele Paare wie lange nicht mehr für Kinder. Ob das eine Trendwende ist, bleibt aber ungewiss.
Bevor junge Menschen eine Familie gründen, ist einiges zu erledigen. „Die Menschen in Deutschland haben einen hohen Anspruch an Elternschaft“, sagt Soziologe Harald Rost vom Bamberger Staatsinstitut für Familienforschung: Sie wollen materielle Sicherheit, eine große Wohnung, einen guten Job. Sie wollen sich ausgelebt haben und viel gereist sein – und suchen den perfekten Partner. Bis das alles steht, sind sie relativ alt und bekommen dann oft weniger Kinder als geplant.
Trotzdem sind in Deutschland 2014 so viele Kinder geboren worden wie seit zehn Jahren nicht mehr: 715 000 Babys. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Neugeborenen um fast fünf Prozent, wie die erste Schätzung des Statistischen Bundesamtes belegt. Zudem starben auch weniger Menschen: 868 000 Tote, fast drei Prozent weniger. Damit schrumpfte der Abstand zwischen Geburten und Todesfällen: 2014 star- ben 153 000 mehr Menschen als geboren wurden; im Jahr davor betrug die Differenz noch 212 000 Köpfe.
Wie viele Kinder geboren werden, hängt vor allem davon ab, wie viele Frauen im gebärfähigen Alter es gibt. Seit 2008 hat sich diese Zahl stabilisiert, erklären die Statistiker. Jedoch werde nach 2020 die Zahl der Frauen zwischen 26 und 35 Jahren voraussichtlich deutlich schrumpfen, wodurch ein erneutes Geburtentief entstehen könne.
Um die Schere zwischen Geburten und Todesfällen zu schließen, gibt es nur zwei Wege: mehr Kinder pro Frau oder mehr Zuwanderung. Heute kriegen Frauen ihr erstes Kind mit 30 Jahren und bringen durchschnittlich 1,4 Babys zur Welt. Wollte man allein durch „mehr Kinder pro Frau“die Lücke schließen, müsste jede Frau im Schnitt 2,1 Kinder bekommen, haben die Statistiker errechnet.
Auch Zuwanderung reicht nicht
Die Kurve zeigt zwar nach oben: Nach 1,25 Kindern im Jahr 1995 waren es 2005 schon 1,34 Kinder pro Frau. Auch danach stieg die Zahl Jahr für Jahr an. Aber ein Durchschnittswert über zwei sei „in einem modernen Industrieland nicht realistisch“, sagt Soziologe Rost. EU-Spitzenreiter ist Frankreich mit 1,99 Babys.
Die Politik habe wenig Optionen, sagt der Bamberger Familienforscher. Natürlich müsse sie dafür sorgen, dass Familie und Beruf so gut wie möglich zu vereinbaren seien. Der Ausbau der Betreuung und das Elterngeld hätten Hürden abgebaut. Aber man müsse sehen, dass diese demografische Entwicklung nicht gestoppt werden kann – außer durch massive Einwanderung.
Jürgen Dorbritz vom Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung glaubt, dass das nicht ausreichen wird. „So viel Zuwanderer kann Deutschland vermutlich nicht aufnehmen, um so einen Effekt zu erreichen.“Weder Familienpolitik noch Einwanderungspolitik sind aus Sicht des Bevölkerungsforschers in der Lage, das Problem zu lösen, dass in Deutschland mehr Menschen sterben als geboren werden: „Diese Lücke ist nicht schließbar“, sagt Dorbritz. Für ihn ist klar: „Wir müssen es hinnehmen, dass die Bevölkerung weiter altert – mit all den Konsequenzen, die das hat: für das Rentensystem, für das Gesundheitssystem, für den Arbeitsmarkt.“