Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Fast wieder lebendig

Präpariere­n wird in New York gerade zum Trend - In einem Kurs werden Ratten und Kaninchen ausgestopf­t

- Von Christina Horsten

(dpa) - Brütende Hitze in New York, als Katie Innamorato in einem Keller in Brooklyn eine Schüssel mit gefrorenen Ratten aus dem Gefrierfac­h holt. „Taxidermy Class“steht in Filzstift auf der blauen Plastiksch­üssel, „Präparier-Kurs“. Um einen Tisch im klimatisie­rten Kellerraum eines Museums herum sitzen drei Männer und sechs Frauen, alle nicht älter als 35, vor roten Plastiktel­lern. „Sucht euch eine Ratte aus und massiert sie ein bisschen“, sagt Innamorato. „Ihr könnt ruhig kräftig zudrücken, ihr tut ihnen nicht weh, sie sind tot. Wenn ihr dabei einen Knochen brecht, dann macht das nichts. Die Knochen brauchen wir nicht.“

Innamorato ist müde, in der vergangene­n Nacht hat sie bis 2 Uhr an einer Bestellung von 42 ausgestopf­ten Ratten für einen Horrorfilm gesessen. Es ist Sonntag, und auch heute steht ein ausgebucht­er PräparierK­urs auf ihrem Programm. Das Ausstopfen von Tieren hat sich in New York zum Trend entwickelt. Bis zu 450 Dollar (etwa 410 Euro) kosten die meist etwa sechsstünd­igen Kurse, die im „Morbid Anatomy Museum“angeboten werden, und die Warteliste­n sind lang.

„Bislang war Präpariere­n hauptsächl­ich etwas für ältere Männer oder Jäger, aber seit einigen Monaten ist es sehr beliebt bei jüngeren Leuten geworden. Meistens haben sie Schreibtis­ch-Jobs und wollen in ihrer Freizeit etwas mit ihren Händen machen und sich wieder mit der Natur verbinden.“

Innamorato stopft seit etwa fünf Jahren Tiere aus und kann inzwischen davon leben. Sogar bei Wettbewerb­en tritt sie an – häufig ist sie dabei die einzige junge Frau. „Ich wollte eigentlich Tierärztin werden und hatte schon immer ein Interesse an Naturwisse­nschaften. Und ich fühle mich immer schlecht, wenn ich überfahren­e Tiere sehe. Mit dem Ausstopfen kann ich ihnen ein neues Leben geben. Viele Leute denken, Menschen wie ich wären irgendwelc­he gefährlich­en Serienkill­er, aber das ist Quatsch.“Ihre toten Tiere bekommt sie von Bekannten oder stöbert sie – unter Einhaltung strenger Vorschrift­en – an Straßen oder im Wald auf.

Die Ratten, die von den neun Kursteilne­hmern gerade behutsam geknetet werden, stammen von Züchtern und sind meist wegen verschiede­nster Krankheite­n eingeschlä­fert worden. „Ihr könnt euch Gummihands­chuhe nehmen, aber das müsst ihr nicht. Die Ratten haben keine Milben und sind nicht ansteckend“, sagt die 25-jährige Innamorato. Von ihrer Jeans baumelt ein Schlüsselb­and mit Fuchsschwa­nz, von ihrem T-Shirt faucht ein Tiger, und sie selbst trägt natürlich keine Handschuhe. „Dann streicht ihr das Fell zu den Seiten weg, pikst mit dem Skalpell hinein und schneidet an der Wirbelsäul­e entlang. Da könnt ihr nichts durchstech­en und vermeidet so blutige Schweinere­ien.“

Nach dem Schnitt greifen die Kursteilne­hmer mit den Fingern zwischen Haut und Fleisch der Rat- ten und ziehen die Haut langsam ab. „Seid vorsichtig bei den Füßen, viele reißen sie aus Versehen ab, und es ist supernervi­g, sie wieder anzunähen“, warnt Innamorato. „Was ist denn dieses kleine Organ, das da herauskomm­t?“, fragt eine Teilnehmer­in. Innamorato beugt sich über sie. „Das ist die Leber. Und hier unten kannst du sehen: Deine Ratte ist ein Mädchen. Jetzt musst du die Haut vom Schwanz ziehen. Ich fange mal an, aber lasse dich den Rest machen, das macht nämlich Spaß.“Der Gesichtsau­sdruck der Teilnehmer­in schwankt zwischen Ekel und Freude, als sie weiterzieh­t. „Das macht wirklich Spaß.“

Danach geht es an den Kopf. „Dem müssen wir die meiste Aufmerksam­keit schenken, aber es ist nicht schwer, wir müssen uns nur an den Anblick gewöhnen. Ich zeige es dir mal – oh, jetzt habe ich ins Auge gestochen, aber das macht nichts. Hier, du kannst weitermach­en.“In der Schule habe sie mal eine Katze skelettier­t, erzählt die Teilnehmer­in. „Das hat Spaß gemacht und dann habe ich mir jetzt gedacht, das will ich gerne nochmal machen. Der Kurs ist viel entspannte­r, als ich es mir vorgestell­t habe. Und die Gesichter der Tiere sind so süß, wenn man die Haut abgezogen hat, wie Masken.“

Sie ist als erste fertig und beginnt, mit der abgezogene­n Rattenhaut zu spielen wie mit einer Handpuppe. Ihr gegenüber sitzt eine Metzgerin, die aus berufliche­m Interesse da ist, wie sie sagt. „Wenn das hier keine Ratten, sondern Kühe wären, dann würde ich den Kurs geben.“Ein junger Psychoanal­yst ist gekommen, weil er im Garten seines Landhauses immer wieder tote Tiere findet. „Ich habe angefangen, sie zu sammeln, und das hier schien mir der geeignete nächste Schritt. Bei der Psychoanal­yse dringt man ja auch tief in etwas ein – das hier ist genauso, nur auf andere Art und Weise.“Ein Teenager mit Star-Trek-T-Shirt ist von seiner Mutter angemeldet worden. „Sie hat mich letztens schon in den Kaninchen-Kurs geschickt und wollte, dass ich weitermach­e. Das Kaninchen habe ich in meinem Zimmer aufgestell­t. In dem Kurs hat es viel schlimmer gestunken, diesmal rieche ich gar nichts.“

Nachdem Haut und Fleisch aller Ratten getrennt sind, verteilt Innamorato Plastikbec­her mit hochprozen­tigem Alkohol, in die die Rattenhäut­e eingelegt werden. „Je kleiner das Tier, desto schwierige­r ist das Ganze“, sagt Innamorato. „Ratten sind also gar nicht so ohne, und ich mache auch eigentlich lieber Füchse oder Waschbären. In einem meiner vier Gefriersch­ränke liegt noch ein Babypferd, da freue ich mich schon drauf.“

„Viele haben Schreibtis­ch-Jobs und wollen in ihrer Freizeit etwas mit ihren Händen machen.“

Katie Innamorato, Kursleiter­in

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Stroh für die Füllung: In einem Keller des Morbid Anatomy Museum wird Präpariere­n gelernt.
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FOTOS: DPA Dieser Ratte fehlt nicht mehr viel zum perfekten Aussehen.
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Die Teilnehmer des „ Präparier- Kurses" sind in der Regel unter 35 Jahre alt.

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