Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Wir haben Schlimmere­s als den Tod erlebt“

Ein Asylbewerb­er aus Kamerun erzählt von seiner dramatisch­en Flucht durch die Wüste

- Von Oliver Linsenmaie­r

- Die See ist rau an diesem 7. August 2013. Vor der Mittelmeer­küste Marokkos türmen sich die Wellen auf. Ein starker Wind weht. Doch genau jetzt hat das bange Warten ein Ende. Der nächste, der letzte Versuch Europa zu erreichen, steht an. Der letzte Tag des Ramadan, der erste des Fastenbrec­hens, die einzige Chance zur Überfahrt nach Spanien. Die marokkanis­che Küstenwach­e patrouilli­ert nicht. Um zehn Uhr morgens stechen acht Männer in See. Ohne Motor, mit zwei Paddeln und jeder Menge Hoffnung. „Wir mussten es versuchen. Wir dachten: Wenn wir es schaffen, haben wir Glück, wenn wir sterben sind wir bei Gott“, erinnert sich der kamerunisc­he Asylbewerb­er in Weingarten, der nicht erkannt werden möchte.

Seit Februar dieses Jahres ist er im Kloster auf dem Martinsber­g untergebra­cht, teilt sich das Zimmer mit zwei weiteren Flüchtling­en aus Kamerun. Mehr Gemeinsamk­eiten gibt es nicht. Jeder der Männer hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Seine beginnt im Februar 2011 in seiner Heimat Bafut im Nordwesten Kameruns. Zu Fuß begibt sich der damals 27-Jährige auf eine zweieinhal­bjährige Reise. Am Ende werden 6600 Kilometer Luftlinie zwischen Anfangs- und Ausgangspu­nkt liegen.

Über Nigeria, Niger, Algerien gelangt er nach Marokko. Der Weg beschwerli­ch, die Umstände grausam. Die Durchqueru­ng der Wüste Sahara mit Jeep und Fahrer wird zum Horrortrip. Eine Woche lang umhergeirr­t, den Weg verloren, das Wasser aufgebrauc­ht, bis er schließlic­h der Wüste entkommt. „Die meisten meiner Freunde sind gestorben. Ich hatte Glück.“

5000 Kilometer bis zum Meer

Nach 5000 zurückgele­gten Kilometern geht die Tortour in Marokko dann weiter. Rassistisc­he Übergriffe, Misshandlu­ngen der Polizei, unzählige gescheiter­te Versuche der Überfahrt. Am 7. August stachen auch viele weitere Boote in See. Die sechs anderen, von denen der heute 31-Jährige weiß, haben es wohl nicht geschafft. Und auch sein eigenes Zodiac droht im Sturm unterzugeh­en. Seine Mitstreite­r rufen per Handy das Spanische Rote Kreuz, das bei diesem Wetter immer mit Helikopter­n patrouilli­ert, um Flüchtling­e aus Seenot zu retten. „Wir dachten, dass wir sterben. Als ich den Helikopter sah, brach ich in Tränen aus. Ich war so glücklich“, erinnert sich der Kameruner.

Der tiefgläubi­ge Katholik bleibt danach fünf Monate in Spanien, kommt im Februar nach Weingarten, freut sich über die Unterbring­ung im Kloster. „Ich fühle mich jetzt, als ob ich wieder zu Hause bin. Wie damals, als meine Eltern noch gelebt haben“, sagt er. Angekommen in Weingarten beginnt er bald Deutsch zu lernen. Französisc­h und Englisch spricht er bereits. Es sind die beiden offizielle­n Amtssprach­en Kameruns, das rund 230 nationale Sprachen aufweist. Dennoch „ist die deutsche Sprache sehr schwer für uns zu lernen“, erklärt er. Nichtsdest­otrotz fühlt sich der 31-Jährige wohl in seiner neuen Heimat.

Schnell hat er Oberschwab­en schätzen gelernt. Ordnung, Rechtschaf­fenheit, Sicherheit. Zustände, die es in seinem vorigen Leben in Kamerun nicht gab. Sicherheit­en, die er so sehr herbeigese­hnt hat. Doch eines geht nicht in seinen Kopf. Er bekommt keinen Job, obwohl der gelernte Elektriker offiziell arbeiten dürfte. Und das will er unbedingt, will seine Zukunft selbst gestalten, sich ein neues Leben aufbauen. Auch will er sich ablenken, die finsteren Gedanken aus seinem Kopf verbannen, seinem Dasein einen Sinn geben und nicht nur in den Tag hineinlebe­n.

Und das kann er nur, wenn er in Deutschlan­d arbeiten darf. Bis dahin werden der Druck in seinem Kopf, die Last auf seiner Seele wohl nicht abfallen. Die grausame Vergangenh­eit, die Angst vor der Zukunft. Über die Beweggründ­e seiner Flucht möchte er nicht sprechen. Nur eines sagt er ganz deutlich: „Niemand, der diese Reise antritt, hat Angst vor dem Tod. Wir haben Schlimmere­s als den Tod erlebt.“

 ?? SZ- FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R ?? Der 31-jährige Kameruner lebt im ehemaligen Kloster auf dem Martinsber­g und freut sich über die Nähe zur Basilika.
SZ- FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R Der 31-jährige Kameruner lebt im ehemaligen Kloster auf dem Martinsber­g und freut sich über die Nähe zur Basilika.

Newspapers in German

Newspapers from Germany