Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Wir haben Schlimmeres als den Tod erlebt“
Ein Asylbewerber aus Kamerun erzählt von seiner dramatischen Flucht durch die Wüste
- Die See ist rau an diesem 7. August 2013. Vor der Mittelmeerküste Marokkos türmen sich die Wellen auf. Ein starker Wind weht. Doch genau jetzt hat das bange Warten ein Ende. Der nächste, der letzte Versuch Europa zu erreichen, steht an. Der letzte Tag des Ramadan, der erste des Fastenbrechens, die einzige Chance zur Überfahrt nach Spanien. Die marokkanische Küstenwache patrouilliert nicht. Um zehn Uhr morgens stechen acht Männer in See. Ohne Motor, mit zwei Paddeln und jeder Menge Hoffnung. „Wir mussten es versuchen. Wir dachten: Wenn wir es schaffen, haben wir Glück, wenn wir sterben sind wir bei Gott“, erinnert sich der kamerunische Asylbewerber in Weingarten, der nicht erkannt werden möchte.
Seit Februar dieses Jahres ist er im Kloster auf dem Martinsberg untergebracht, teilt sich das Zimmer mit zwei weiteren Flüchtlingen aus Kamerun. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht. Jeder der Männer hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Seine beginnt im Februar 2011 in seiner Heimat Bafut im Nordwesten Kameruns. Zu Fuß begibt sich der damals 27-Jährige auf eine zweieinhalbjährige Reise. Am Ende werden 6600 Kilometer Luftlinie zwischen Anfangs- und Ausgangspunkt liegen.
Über Nigeria, Niger, Algerien gelangt er nach Marokko. Der Weg beschwerlich, die Umstände grausam. Die Durchquerung der Wüste Sahara mit Jeep und Fahrer wird zum Horrortrip. Eine Woche lang umhergeirrt, den Weg verloren, das Wasser aufgebraucht, bis er schließlich der Wüste entkommt. „Die meisten meiner Freunde sind gestorben. Ich hatte Glück.“
5000 Kilometer bis zum Meer
Nach 5000 zurückgelegten Kilometern geht die Tortour in Marokko dann weiter. Rassistische Übergriffe, Misshandlungen der Polizei, unzählige gescheiterte Versuche der Überfahrt. Am 7. August stachen auch viele weitere Boote in See. Die sechs anderen, von denen der heute 31-Jährige weiß, haben es wohl nicht geschafft. Und auch sein eigenes Zodiac droht im Sturm unterzugehen. Seine Mitstreiter rufen per Handy das Spanische Rote Kreuz, das bei diesem Wetter immer mit Helikoptern patrouilliert, um Flüchtlinge aus Seenot zu retten. „Wir dachten, dass wir sterben. Als ich den Helikopter sah, brach ich in Tränen aus. Ich war so glücklich“, erinnert sich der Kameruner.
Der tiefgläubige Katholik bleibt danach fünf Monate in Spanien, kommt im Februar nach Weingarten, freut sich über die Unterbringung im Kloster. „Ich fühle mich jetzt, als ob ich wieder zu Hause bin. Wie damals, als meine Eltern noch gelebt haben“, sagt er. Angekommen in Weingarten beginnt er bald Deutsch zu lernen. Französisch und Englisch spricht er bereits. Es sind die beiden offiziellen Amtssprachen Kameruns, das rund 230 nationale Sprachen aufweist. Dennoch „ist die deutsche Sprache sehr schwer für uns zu lernen“, erklärt er. Nichtsdestotrotz fühlt sich der 31-Jährige wohl in seiner neuen Heimat.
Schnell hat er Oberschwaben schätzen gelernt. Ordnung, Rechtschaffenheit, Sicherheit. Zustände, die es in seinem vorigen Leben in Kamerun nicht gab. Sicherheiten, die er so sehr herbeigesehnt hat. Doch eines geht nicht in seinen Kopf. Er bekommt keinen Job, obwohl der gelernte Elektriker offiziell arbeiten dürfte. Und das will er unbedingt, will seine Zukunft selbst gestalten, sich ein neues Leben aufbauen. Auch will er sich ablenken, die finsteren Gedanken aus seinem Kopf verbannen, seinem Dasein einen Sinn geben und nicht nur in den Tag hineinleben.
Und das kann er nur, wenn er in Deutschland arbeiten darf. Bis dahin werden der Druck in seinem Kopf, die Last auf seiner Seele wohl nicht abfallen. Die grausame Vergangenheit, die Angst vor der Zukunft. Über die Beweggründe seiner Flucht möchte er nicht sprechen. Nur eines sagt er ganz deutlich: „Niemand, der diese Reise antritt, hat Angst vor dem Tod. Wir haben Schlimmeres als den Tod erlebt.“