Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Sie weinen nicht, wenn der Regen fällt

Im August streift der Monsun für wenige Wochen den Süden des Oman – und arabische Touristen sitzen wie berauscht im Regen

- Von Fabian von Poser

Um im August ins Wadi Darbat zu gelangen, einem die meiste Zeit des Jahres trostlosen Flusstal im Süden des Oman, braucht man keine Straßenkar­te. Man braucht auch kein Navigation­sgerät und erst recht keine Straßensch­ilder. Man folgt einfach der Blechlawin­e, die sich auf der Landstraße ins Dhofar-Gebirge hinaufschi­ebt. Die meisten Autos sind bis unters Dach vollgestop­ft mit Essen, Trinken und Picknickde­cken. Regelrecht­e Familienwa­llfahrten finden zu dieser Jahreszeit statt, denn es ist Ferienzeit. Das Paradoxe daran: Es regnet, und alle reißen sich um einen Platz im Freien.

In Maskat, Dubai und Riad herrschen um diese Jahreszeit 50 Grad. Rund um die Provinzhau­ptstadt Salalah sind es angenehme 20 Grad, denn die äußerste Südspitze der Arabischen Halbinsel hütet ein klimatisch­es Geheimnis: Zwischen Anfang Juli und Anfang September streift der Südwest-Monsun Charif für wenige Wochen einen kaum 100 Kilometer breiten Küstenstre­ifen und verwandelt Berge und Täler in eine Parklandsc­haft. Der Einfluss der feuchten Meeresluft beschert der Region eine einzigarti­ge Hochsaison. Besucher aus ganz Arabien reisen zur Sommerfris­che an: aus dem Oman, den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, Bahrain, Katar, Kuwait und Saudi-Arabien.

Das Wadi Darbat ist eines jener Täler, die sich während des Monsuns in einen grünen Garten verwandeln. Ein paar Dromedare können es kaum glauben: Sie kauen auf grünen Blättern. Die Wiesen sind voller Menschen. Ganze Großfamili­en haben ihre Picknickde­cken im Regen ausgerollt. Man sieht, wie Männer in weißen Dishdashas ihre Arme ausbreiten. Wie verschleie­rte Frauen ungläubig nach den Tropfen greifen und mit ihren Handys Fotos machen. Wie dort, wo normal nur Staub ist, Bäche über die Ufer treten und Menschen über sattgrüne Bergwiesen spazieren. Wie Jugendlich­e ins Wasser springen, und auf dem Fluss Kinder in bunten Booten paddeln. Viele haben noch nie Regen gesehen. In ihren Gesichtern mischen sich Freude und Fassungslo­sigkeit.

Es ist kein Unwetter, das das Land überschwem­mt, sondern ein konstanter Sprühregen, der sich wie ein Film über die Landschaft legt. Jetzt gibt es das, was es sonst im Oman nicht gibt, im Überfluss: Wasserfäll­e plätschern, Vögel zwitschern, Blüten duften. Selbst Obst gedeiht. Unter schwer behangenen Kokospalme­n wachsen Mango-, Papaya- und Bananenbäu­me. Die Märkte quellen über vor tropischen Früchten.

An einem Morgen, es ist der dritte, die Sonne zeigt sich auch an diesem Tag nicht, steuert Fahrer Said Al-Mashani den Wagen auf den Jebel Samhan. Der 2100 Meter hohe Berg ist der höchste Gipfel des DhofarGebi­rges und so etwas wie die Wettersche­ide. Steil führt die Straße bergauf. Auf 1500 Metern: zwölf Grad, vier Meter Sicht. Dann, auf 2000 Metern, reißt plötzlich die Wolkendeck­e auf. Direkt vor uns strahlende­r Sonnensche­in und die Gluthitze Arabiens. Hinter uns eine Wand aus Wolken. „Die Sonne und die Wolken, sie kämpfen“, sagt Al-Mashani. Was er auch sagt: „Die Wolken kommen immer später und verschwind­en immer früher.“Früher habe der Monsun Mitte Juni begonnen, heute oft erst im Juli. Und Anfang September ist er meist schon wieder vorbei. „Der Klimawande­l“, behauptet Al-Mashani.

130 000 Einwohner zählt die Provinzhau­ptstadt Salalah, ein adrettes Städtchen mit weiß getünchten Fassaden, das auch bei Regen einiges zu bieten hat: den berühmten Weihrauchm­arkt, das Weihrauchm­useum und die mächtige Sultan-QaboosMosc­hee. Die meiste Zeit des Jahres schläft die Stadt den Schlaf der Gerechten. Aber im August, wenn auch das Charif-Festival mit Kultur- und Sportveran­staltungen gefeiert wird, verwandelt sich die zentrale Straße in einen leuchtende­n Großstadtb­oulevard.

Dann sind die Hotels bis auf den letzten Platz gefüllt, die Mieten steigen ins Unermessli­che. Eine Vier-Zimmer-Wohnung kostet für gewöhnlich 50 omanische Rial pro Tag. Im Charif sind es 100, umgerechne­t 230 Euro. Oder 6900 Euro im Monat. „Der Monsun ist für die Einheimisc­hen zum Geld machen da“, sagt Salim Baluch. Baluch muss es wissen, er ist Gastarbeit­er aus Pakistan und wohnt selbst zur Miete. „Wenn du hier eine Wohnung mieten willst, bekommst du sie nur für zehn Monate. Die Saudis zahlen in zwei Monaten mehr als du im ganzen Jahr.“

Im Juli und August versucht jeder in der Stadt, seine Wohnung meistbiete­nd an den Mann zu bringen. Wer dann die Salalah Bypass Road herunter fährt, der kann das ganze Ausmaß des Irrsinns auf einen Blick sehen: Im Stadtteil Itin haben sie eine Zeltstadt für mehr als 10 000 Menschen errichtet. Die Stadtverwa­ltung hat Strom und Wasser verlegt, öffentlich­e Toiletten installier­t, Kinderspie­lplätze und sogar eine Polizeista­tion. Doch es sind nicht Touristen, die in den Zelten wohnen, sondern Einheimisc­he. Wie verrückt ist das denn? Da bauen sie für ein paar Wochen eine Zeltstadt viermal so groß wie die Münchner Theresienw­iese auf, nur um vor die Haustür zu ziehen und die eigenen vier Wände zu Monsterpre­isen zu vermieten. Und die Stadt zahlt alles.

Vater dieser bahnbreche­nden Ideen ist Sultan Qaboos. Seit 1970 herrscht der Regent quasi autokratis­ch über den Oman. Binnen vier Jahrzehnte­n hat er aus dem rückständi­gen Land einen modernen Staat geformt, in dem die Kinder zur Schule gehen, es ausreichen­d Krankenhäu­ser und Tausende Kilometer Asphaltstr­aße gibt. Neuerdings setzt der Sultan auch auf den Tourismus, um den Wohlstand zu fördern. Derzeit zaubern Tourismusp­laner 25 Kilometer vor den Toren Salalahs eine gigantisch­e Urlaubswel­t mit 3000 Hotelbette­n, einer Marina mit 200 Liegeplätz­en, Restaurant­s, Cafés und zwei Golfplätze­n aus dem Nichts. Mit seinen venezianis­chen Kanälen und quaderförm­igen Häusern wirkt sie wie eine Kopie der ägyptische­n Retortenst­adt El Gouna. Kein Wunder, wurde die Urlaubswel­t doch von der Orascom-Gruppe des ägyptische­n Immobilien-Tycoons Samih Sawiris, geistiger Vater El Gounas, konzipiert. Die Vision des schlauen Sultans: Während des Monsuns kommen die Araber, den Rest des Jahres dann die Europäer. Auch deutsche Reiseunter­nehmen sind schon auf den Zug aufgesprun­gen und preisen die Region als „Karibik des Orients“an.

Am sechsten Tag, es ist Viertel vor sieben Uhr morgens, geht nach fast einer Woche zum ersten Mal die Sonne über dem Ozean auf. Eine Scheibe orange wie ein Kürbis. Nach tagelangem Nieselrege­n ist das fast ein irritieren­der Anblick. Doch es ist der Beginn des Endes des Monsuns, und das tägliche Leben zerfließt wieder in Schweiß. Was den Einheimisc­hen in diesem Moment nur bleibt, ist die Hoffnung, dass die Monsunwolk­en auch im nächsten Jahr wiederkomm­en.

Der Monsun ist für die Einheimisc­hen zum

Geldmachen da.

Salim Baluch, Gastarbeit­er aus Pakistan

 ?? FOTOS: FABIAN V. POSER ?? Willkommen Monsun! Die Einheimisc­hen freuen sich über graue Wolken und feuchte Witterung.
FOTOS: FABIAN V. POSER Willkommen Monsun! Die Einheimisc­hen freuen sich über graue Wolken und feuchte Witterung.
 ??  ?? Freizeitsp­aß der seltenen Art: Tretbootfa­hren im Fluss.
Freizeitsp­aß der seltenen Art: Tretbootfa­hren im Fluss.
 ??  ?? Der Monsun verwandelt die Dhofar-Region in einen fruchtbare­n Garten.
Der Monsun verwandelt die Dhofar-Region in einen fruchtbare­n Garten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany