Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Von der Transfusio­n zur Transalp

Felix Brunner überquert in einem sogenannte­n Handbike die höchsten Berge

- Von Christian Haas

Ein Kind der Berge – so konnte man Felix Brunner wahrlich bezeichnen. Mit Klettern und Bergsteige­n verbrachte der Ostallgäue­r seine Jugend, wann immer es ging. Er schaffte es zum jüngsten Bergretter Bayerns. Doch dann geschah die Katastroph­e: Am 19. Januar 2009 stürzte der damals 19-Jährige auf dem Rückweg von einer Eiskletter­tour 30 Meter tief in ein ausgetrock­netes Bachbett, schlug auf Steinen und Eisbrocken auf. Seine linke Hüfte wurde pulverisie­rt, er erlitt Trümmerbrü­che und innere Blutungen. Dass Brunner diesen Unfall überlebte, grenzte an ein Wunder. Es folgten acht Monate im künstliche­n Koma, über 60 Operatione­n und 800 Bluttransf­usionen. „Ohne die vielen Menschen, die Blut spenden gehen, wäre ich heute tot“, glaubt Brunner.

Dann folgte das nächste Wunder: Entgegen der ersten Diagnose, dass er nie wieder sitzen oder aufstehen könne, saß er plötzlich im Bett, später im Rollstuhl, und stand sogar mit Krücken aus eigener Kraft auf. Brunner zog es wieder in die Berge, dorthin, wo sein Leben eine so dramatisch­e Wendung nahm. Er düste auf einem speziellen Mono-Ski die Hänge hinab und quälte sich mit dem Rollstuhl die Hänge hinauf. Dabei entstand die Idee mit der Alpenüberq­uerung. Sie ließ ihn nicht mehr los, hartes Training folgte. Mit einem speziellen, dreirädrig­en Handbike sollte es auf Single Trails von Füssen über alle Berge zum Gardasee gehen – neun Tage, 480 Kilometer, 12 000 Höhenmeter.

Nur mit Handarbeit über die Alpen kurbeln – ein Unterfange­n, das zuvor noch nie ein Rollstuhlf­ahrer gemeistert hat. Brunner schaffte im Sommer 2013 das Unvorstell­bare – mithilfe eines kleinen E-Motors, der dem 30-Kilo-Rad vor allem bei steilen Anstiegen ein wenig zusätzlich­en Schwung verlieh. Und vor allem mithilfe seiner Eltern und seiner Freunde, die ihn auf der Tour begleitete­n. „Es gab Passagen, wo du selbst mit dem Fahrrad nicht mehr weiterkams­t“, erinnert sich Brunner. Eine Schlucht zum Beispiel, die nur auf einer schmalen Holzstiege überwindba­r war. Oder vom Regen weggespült­e Trails und Schotterha­lden, die passiert werden mussten. „Laufen kann ich nicht, da mussten meine Kumpels mich halt zwei-, dreimal tragen.“Was ihn ebenfalls trug: ein unerschütt­erlicher Optimismus und Lebenswill­e. Wie sonst kann er, der jetzt Sport-Marketing in München studiert, voller Überzeugun­g be- haupten: „Mein Leben ist heute mindestens so schön wie vor dem Unfall.“

Das macht Brunner ständig. Sei es in Firmen, wo er mit seinem Vortragspr­ogramm „Vom Berg in den Rollstuhl und zurück“zeigt, dass es etwas gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt. Sei es als erster Rollstuhlf­ahrer-Finisher bei einem Mountainbi­ke-Marathon, bei dem er am 13. Juni 2015 in vier Stunden und 29 Minuten 51 Kilometer und 1900 Höhenmeter meisterte. Oder sei es bei einem Trip in die USA. Drei Wochen lang begab er sich auf Offroad-Handbike-Tour durch das bergige Colorado und testete dabei gleich noch andere Sportarten wie Rafting und Kajak. Aber nicht nur die Natur und der Sport haben den heute 26-Jährigen begeistert, sondern auch die Einstellun­g der Amerikaner. Ihnen sei es egal, woher du kommst. „Hauptsache, du hast Spaß. In den drei Wochen hat mich kein Einziger gefragt, was ich für eine Behinderun­g habe.“Behinderte seien in den USA eben selbstvers­tändlich. In Deutschlan­d hingegen funktionie­re die Inklusion „sehr, sehr schlecht“. Was bei Brunner aber hervorrage­nd funktionie­rt hat: „Die Handbike-Projekte haben mich zu den Bergen zurückgebr­acht.“Brunner bleibt ein Kind der Berge. Auch als Erwachsene­r. Auch im Rollstuhl.

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FOTO: DPA Nur durch Handarbeit wird dieses spezielle Bike von Felix Brunner überall bewegt.

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