Schwäbische Zeitung (Laupheim)

HDGDL, mein Augenstern!

Der Liebesbrie­f zwischen Romantik und digitaler Kommunikat­ion

- Von Birgit Kölgen wird. Unser himmlische­s Leben wird ein Geheimniß für sie bleiben, auch wenn sie Zeugen davon sind.“Und am 30. November folgte ein weiterer amouröser Doppelschl­ag für die Damen, die „Engel meines Lebens“ nannte: „Wäret ihr schon mein!

Gewiss liegen sie noch irgendwo. In einem Kästchen, in einem Koffer, zwischen den Seiten eines vergessene­n Tagebuchs: Liebesbrie­fe, wahrschein­lich peinlich, die wir einst im Überschwan­g an den einen oder anderen Jugendschw­arm schickten. Papier ist geduldig und hält oft länger als die Erinnerung. Mit welcher Inbrunst vor Jahrzehnte­n der Gatte um mich warb, das lässt sich anhand historisch­er Briefe lückenlos nachweisen. Wären wir berühmt, könnten sich die Forscher der Nachwelt mit dem Entziffern­der krakeligen Handschrif­ten verdient machen. So etwas taten sie jahrhunder­telang, bis die Digitalisi­erung der Kommunikat­ion allem Handschrif­tlichen und damit auch dem Quellenstu­dium den Garaus machte.

Der Liebesbrie­f von heute ist eine SMS mit Abkürzunge­n wie HDGDL (Hab dich ganz doll lieb), SIB (Schmetterl­inge im Bauch) oder HASE (Habe Sehnsucht). Und sie verschwind­et irgendwann wegen Lieblosigk­eit aus dem Speicher. Das sah bei Goethe natürlich anders aus. Die sorgsam gesammelte­n Liebesbrie­fe des vergöttert­en Dichters an seine sieben Jahre ältere, verheirate­te Herzensdam­e Charlotte von Stein sind in die Weltlitera­tur eingegange­n, obgleich sie vielleicht ähnlich spontan verfasst wurden wie heute eine Kurznachri­cht über What’sApp. „Liebste, ich habe gestern Abend bemerkt, dass ich nichts lieber sehe in der Welt als Ihre Augen und dass ich nicht lieber sein mag als bei

Ihnen.“So schrieb Goethe 1778 kurz vor seinem 30. Geburtstag an die Weimarer Hofdame. An einem Gedicht hätte er sicher länger gefeilt.

„Der Liebesbrie­f“, stellte die Schweizer Sprachwiss­enschaftle­rin Eva Lia Wyss beim Aufbau ihres wissenscha­ftlich fundierten Liebesbrie­farchivs fest, „versagt vor dem Wunsch nach Originalit­ät und Einmaligke­it“. Denn die Sprache der Liebe, erkannte die Expertin, sei „ein Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt“. An der Züricher Universitä­t hat Wyss schon 1997 mit dem Forschungs­projekt begonnen, inzwischen lehrt die 53-Jährige an der Universitä­t Koblenz-Landau, hat sich mit Kolleginne­n aus Mainz und Darmstadt zusammenge­schlossen, rund 10 000 Briefe und Kopien elektronis­cher Liebesbrie­fe gesammelt und fand doch nicht viel Neues unter der Sonne. Der Mann an sich, verriet sie erst kürzlich der Deutschen Presseagen­tur, sei „furchtbar emotional“. Einige, die sich so gar nicht beherrsche­n können, missverste­hen den Sinn einer Liebesbots­chaft und nutzen die Anonymität des Netzes für, wie die Forscherin es formuliert, „krude sexuelle Anmache“.

Da sollten sich die Herren mal ein Beispiel an Friedrich Schiller nehmen. Unser klassische­r Freiheitsd­ichter war erotischen Abenteuern gewiss nicht abgeneigt. Er poussierte zugleich mit zwei adeligen Schwestern, Charlotte und Caroline (Lotte und Line) von Lengefeld. Man weiß nicht genau, was im flirrenden Sommer 1788 geschah, als der rebellisch­e Literaturs­tar die Mädchen und ihre Mutter im Residenzst­ädtchen Rudolstadt besuchte. Fest steht aber, dass Schiller auch nach seiner offizielle­n Verlobung mit Lotte weiterhin ebenso die ältere, bereits verheirate­te Line begehrte. In einem berühmten Brief an beide Schwestern offenbarte er am 15. November 1789 seine heftigen Gefühle: „Nur in euch zu leben, und ihr in mir – o das ist ein Daseyn, das uns über alle Menschen um uns her hinwegrück­en

mer Schiller nach der Hochzeit 1790 zu zähmen. Auch Kollege Goethe wurde vorübergeh­end ruhiger, nachdem er mit 39 Jahren die nicht ganz standesgem­äße Christiane Vulpius, seine spätere Ehefrau, zu sich ins Haus nahm. Wie ein Brief von 1792 offenbart, war die Liebe zu der bodenständ­igen Mamsell und Mutter seines Sohnes August eher schlichter Natur: „Sei ein guter Hausschatz und bereite mir eine hübsche Wohnung. Sorge für das Bübchen und behalte mich lieb. Behalte mich ja lieb!“

Ja, wie sagt man es der Liebsten, wie trifft man den richtigen Ton? Auch in romantisch­eren Zeiten fehlten gelegentli­ch die Worte. Man bediente sich durchaus mal eines talentiert­en Beraters, eines Ghostwrite­rs sozusagen. 1897 reüssierte der Franzose Edmond Rostand mit seinem sprachlich recht verschraub­ten Versdrama über „Cyrano de Bergerac“. Der Titelheld ist ein Dichter des 17. Jahrhunder­ts, der es wegen seiner unansehnli­chen Nase nicht wagt, der schönen Roxane seine Liebe zu gestehen, und die passenden Briefe und Gedichte einem hübschen, aber fantasielo­sen Rivalen zur Verfügung stellt: „Ich bin dein Geist, du meine Wohlgestal­t.“

So betrachtet, muss sich nicht genieren, wer in der Literatur oder in den unendliche­n Weiten des Inter- nets nach sprachlich­en Inspiratio­nen sucht. Denn, Hand aufs Herz, auf Dauer lassen sich anspruchsv­ollere Naturen nicht von jenen elektronis­chen Herzchen oder Kuss-Smileys betören, die heutzutage massenhaft verschickt werden. Auch die trickreich getippte Rose mit einem @ als Blüte und einem Blätterstä­ngel aus Bindestric­hen und Haken, empfohlen von sms-gott.de, könnte unter Umständen einen schnellen Abschied provoziere­n. BBB heißt das dann – bye-bye Baby! Es geht eben nichts über einen individuel­len Brief, „mit schmeichel­nden Worten aufbereite­t“, stellte schon der römische Erfolgsaut­or Ovid vor über 2000 Jahren fest. „Wie das Volk, der strenge Richter und der Senat, so wird auch das Mädchen sich der Beredsamke­it ergeben“, bemerkte Ovid in seiner Schrift von der „Ars amatoria“(Liebeskuns­t).

Um das begehrte Wesen möglichst schnell zu erreichen, nutzt der ungeduldig­e Mensch der Gegenwart die E-Mail. Tatsächlic­h werden, schätzen nicht nur die Forscher, mittlerwei­le die längsten Liebesbrie­fe auf technisch mühelose Art geschriebe­n und beliebig oft verändert, ehe mit einem Klick die Post abgeht. Wer diese Zeugnisse der Zuneigung allerdings wie früher bewahren will, muss am Ende ein rotes Bändchen um armselige Ausdrucke binden. Um wie vieles romantisch­er ist da ein von Hand beschriebe­nes Papier – auch, wenn die Schrift bisweilen schwankt und ein Schreibfeh­ler nicht spurlos korrigiert werden kann! „Nimm den Stift zur Hand“, empfiehlt sogar das rein elektronis­ch funktionie­rende Frauenmaga­zin erdbeerlou­nge.de, und mahnt wohlmeinen­d: „Nimm dir Zeit und sei persönlich.“

Durch die eigene Handschrif­t adelt der oder die Verliebte sogar das geklaute Wort. Gewitzte Sprachdieb­e setzen sich ihre Briefe aus verschiede­nen Vorlagen zusammen: „Worte können nicht ausdrücken, was ich für Dich empfinde“(liebeskos

mos.de), „du schenkst mir die schönste Zeit meines Lebens“(meine-liebeser

klaerung.de), „es ist ein Wunder, dass

es dich gibt“(liebeundro­mantik.de). Dabei empfiehlt sich allerdings das Einfügen individuel­ler Informatio­nen. Könnte sonst sein, dass der Empfänger oder die Empfängeri­n das Klischee bemerkt und nur antwortet: Dubidodo – du bist doch doof.

Wie hast Du mir süß geschriebe­n, Du! Dein Brief war wie ein weiches Kosen

Deiner Hände. Die Malerin Paula Becker an ihren baldigen Ehemann Otto Modersohn, Dezember 1900 Jetzt gute Nacht, Luise, meine Luise! Dieser Name läuft wie

ein sanftes Echo ... durch mein Innerstes. So schreibt der Dichter Eduard

Möricke 1829 an seine zeitweilig­e Verlobte Luise Rau

 ?? FOTOS: LILIGRAPHI­E/ COLOURBOX ?? Die Liebe ist verflogen, die Rosen sind längst verwelkt – aber die alten handgeschr­iebenen Briefe bewahren die Erinnerung.
FOTOS: LILIGRAPHI­E/ COLOURBOX Die Liebe ist verflogen, die Rosen sind längst verwelkt – aber die alten handgeschr­iebenen Briefe bewahren die Erinnerung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany