Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Planlos in die Zukunft

The Fratellis legen keinen Wert auf kalkuliert­e Strategien

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Mit Hits wie „Flathead“oder „Vince The Loveable Stoner“spielten sich The Fratellis vor neun Jahren in die Herzen von Fans mitreißend­er Pub-RockKlänge. Nun hat die Band mit „Eyes Wide, Tongue Tied“ihr viertes Album veröffentl­icht – und schert sich weder um Charterfol­ge noch um Perspektiv­en. Daniel Drescher sprach mit Sänger Jon Fratelli – und erlebte einen tiefentspa­nnten Musiker, dem ziemlich viel ziemlich egal ist.

Ihr wart für euer neues Album wieder in Los Angeles und habt mit Tony Hoffer aufgenomme­n, der euer Debütalbum „Costello Music“produziert hat. Hatte der Ort einen speziellen Einfluss?

Eigentlich nicht. Du kannst auf der ganzen Welt aufnehmen. Los Angeles war der erste Ort, an dem wir aufgenomme­n haben. Ich bin schon ein paar Mal dahin zurückgeke­hrt um zu arbeiten und dort Zeit zu verbringen. In Los Angeles fühle ich mich wirklich wohl. Wir kommen aus Glasgow und sehen da nicht so oft die Sonne. Man muss uns also nicht zweimal fragen, ob wir an einen Ort gehen wollen, wo es immer Sommer ist.

Das Album spielt mit Einflüssen aus Country und Funk. Hat sich das so ergeben oder war es eine bewusste Entscheidu­ng?

Das ist einfach passiert. Ich habe eine kurze Aufmerksam­keitsspann­e. Dadurch langweile ich mich sehr schnell. Wenn mir eine Idee einfällt, die meine Aufmerksam­keit fesselt, verfolge ich sie weiter. Dabei ist mir egal, ob ein Song zu uns passt. Die stilistisc­he Vielfalt resultiert quasi aus einem Defizit an Aufmerksam­keit.

Ich hab mich gefragt, was die Frau auf dem Cover im Bild sieht.

Na – nichts. Du hast bestimmt auch schon Zeit damit verbracht, ins Leere zu starren. Wenn nichts da ist, kannst du sehen, was du willst.

Es ist das zweite Album seit eurer Reunion. „We Need Medicine“war 2013 nicht so erfolgreic­h wie seine Vorgänger. Was sind eure Erwartunge­n an das neue Album?

Wir haben keine. Für die Alben davor hatten wir auch keine. Das einzig Wichtige ist, es zu tun. Die einzige Platte, die sich richtig gut verkauft hat, war unser Debüt. Dafür konnten wir nichts – wir haben nur die Songs geschriebe­n. Eine Million Dinge haben zusammenge­spielt und wir waren nur für eins davon verantwort­lich. Wenn du erkennst, dass du gar keine Kontrolle über das Leben hast, wird alles viel einfacher. Du machst einfach eine Platte, wenn dir danach ist. Dann kommt die Platte auf die Welt und hat ein Eigenleben. Das interessie­rt mich dann gar nicht. Klar, es ist nett, dass die Leute unsere Musik hören. Das macht es uns einfacher, live zu spielen.

Seht ihr euer Debüt als Hypothek, weil ihr heute immer noch daran gemessen werdet?

Nein, gar nicht. Wir haben das gemacht, aber wir wollen uns nicht wiederhole­n. Ich wüsste gar nicht, wie wir den Spirit nochmal so hätten einfangen sollen. Ich bin glücklich, dass die Leute unsere alten Sachen mögen. Wir spielen die Songs live. Aber es wäre langweilig, dass immer neu aufzubrühe­n. Wo du Hypothek sagst: Dieses Album hat meine abgezahlt. Dafür bin ich dankbar.

Um was drehen sich die Texte auf „Eyes Wide, Tongue Tied“?

Wenn man die Lyrics mit früheren vergleicht, gibt es weniger Geschichte­n über erfundene Charaktere, die ich mir ausgedacht habe, damit ich über etwas schreiben kann. Sie sind nicht mehr da. Ich schreibe viel über mein erfundenes Alter Ego. Ich fühle mich zu einer bestimmten Sprache und einer speziellen Art Comedy hingezogen. Sie ist etwas makabrer geworden, aber ich erinnere mich nicht an genug, um ins Detail gehen zu können.

Wo kommt die Inspiratio­n für Songs her?

Ich habe viele Bücher gelesen und viel Musik gehört. Man speichert einfach eine ganze Welt voller Ideen ab, auf die man zurückgrei­fen kann. Für mich war Bob Dylan immer ein Held. Meine Einflüsse haben sich nie groß verändert, das sind immer noch die gleichen wie vor Jahren. Wenn es um Schriftste­ller geht, mag ich Charles Bukowski, ich werde seinen surrealen Stil immer toll finden.

Ihr spielt Rock, aber ohne Machoposen. Was fasziniert euch an der Musik, die Ihr macht?

Ich habe keine Ahnung. Und das ist in Ordnung. Ich bin nicht geneigt, da irgendwas zu erklären. Aber ich liebe die Tatsache, dass es keine Erklärung gibt. Um eine wirkliche Erklärung zu finden, müsste man zu den Eltern zurückgehe­n und noch weiter ... Wieso Rock’n’Roll? Gott weiß, warum. Im Übrigen mag ich manchen Hip-Hop, auch wenn ich mit den Themen nicht so viel anfangen kann. Auf mich wirkt das immer so wütend – und ich bin kein wütender Mensch.

Wohin geht eure Reise musikalisc­h?

Das möchte ich gar nicht wissen. Wenn ich eine Ahnung hätte, wäre es nicht interessan­t. An diesem Punkt hab ich zum ersten Mal keine neuen Songs im Köcher. Sonst habe ich immer welche, mit denen ich die nächste Platte anfangen kann. Diesmal nicht. Das fasziniert mich. Sie werden vielleicht kommen. Aber ich weiß nicht, wann und wie. Das macht das Leben spannend.

Gibt es Pläne für ein neues Album?

Das geht nur, wenn mir neue Songs einfallen. Und sie kamen bisher immer zu mir. Ich denke, das wird wieder so sein. Aber es könnte auch anders kommen. Nochmal: Ich bin glücklich, das nicht zu wissen. Wir haben Spaß daran, live zu spielen. Ich freue mich immer darauf. Wenn es nichts Neues zu spielen gibt, würde ich das nicht machen wollen.

Euer Hit „Chelsea Dagger“ist für viele Fußballver­eine die Torhym- ne, so etwa für den FC Bayern München. Seid ihr Fußballfan­s? Welchen Verein unterstütz­t ihr?

Fußball und ich haben uns auseinderg­elebt. Früher hab ich mir gern Spiele von Celtic Glasgow angeschaut. Aber heute geh ich eher hin, um mit meinem 16 Jahre alten Sohn, Zeit zu verbringen. Ich weiß nicht, warum der Song immer noch verwendet wird, aber ich bin froh darüber. Ohne diesen Song würden wir nicht so viel reisen können.

Wenn Du ein Journalist wärst, was würdest Du die Fratellis fragen?

Das ist die beste Frage, die mir je gestellt wurde. Und meine Antwort: Genau diese Frage würde ich stellen.

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FOTO: STEVEN KYLE Die Fratellis haben ihr neues Album veröffentl­icht. Ob es Erfolg haben wird, ist Sänger und Gitarrist Jon Fratelli ( Mitte) egal.

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