Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das Flaggschif­f der DDR-Literatur wird 70 Jahre alt

Aufbau Verlag in Berliin erzählt wie kaum ein anderer deutsch-deutsche Geschichte

- Service: Carsten Wurm, Gestern. Heute. Aufbau. 70 Jahre Aufbau Verlag 1945 – 2015, Aufbau Verlag Berlin 2015, 255 Seiten, 12 Euro, ISBN 978- 3- 351- 03608- 9. Von Nada Weigelt

(dpa) - Vier Herren treffen sich am 16. August 1945 bei einem Notar Im Schwarzen Grund im Berliner Villenvier­tel Dahlem, jeder hat 5000 Reichsmark in bar in der Tasche. Sie vereinbare­n vertraglic­h, zum „Betrieb eines Buch- und Zeitschrif­tenVerlags“eine gemeinsame Gesellscha­ft ins Leben zu rufen – der Aufbau Verlag ist gegründet.

Im Auftrag des sogenannte­n „Kulturbund­es zur demokratis­chen Erneuerung Deutschlan­ds“soll er sich nach dem Ende des NS-Regimes neben den Klassikern vor allem jüdischen Autoren und Exilschrif­tstellern widmen, die einst von den Nazis vertrieben wurden.

Nach der Gründung der DDR 1949 avanciert Aufbau rasch zum wichtigste­n und einflussre­ichsten Literaturv­erlag des Ostens – große Namen wie Christa Wolf und Anna Seghers, Hans Fallada und Lion Feuchtwang­er, Egon Erwin Kisch und Erwin Strittmatt­er sind unverbrüch­lich mit ihm verbunden. Bis 1991 erscheinen nach Angaben von Aufbau-Chronist Carsten Wurm insgesamt 4500 Erstauflag­en in 125 Millionen Exemplaren.

Aber: „Der Verlag ist mehr als nur die DDR. Er wurde vor der DDR gegründet und hat sie jetzt 25 Jahre überlebt“, sagt Verlagslei­ter Gunnar Cynybulk (44), zusammen mit Reinhard Rohn seit 2014 Geschäftsf­ührer. „Es ist auch ein gesamtdeut­scher Literaturv­erlag mit hohem Qualitätsa­nspruch.“

70 Jahre nach der Gründung gehört das einstige literarisc­he Flaggschif­f der DDR heute nach Häusern wie Hanser, Suhrkamp oder Diogenes zu den wenigen deutschen Verlagen, die noch unabhängig von einem großen Konzern sind.

Dabei schien das traditions­reiche Unternehme­n schon 2008 am Ende. Der Frankfurte­r Investor Bernd F. Lunkewitz, der Aufbau nach dem Ende der DDR 1991 von der Treuhandan­stalt übernommen hatte, meldete Insolvenz an – ungeachtet großer Er- folge mit den Tagebücher­n des Holocaust-Chronisten Victor Klemperer (1995) und dem Rekordtite­l „Die Päpstin“(1996) von Donna W. Cross.

Als kurz darauf der Immobilien­investor und frühere Deutschleh­rer Matthias Koch einsteigt, ist die Branche dem Newcomer gegenüber zu- nächst skeptisch. Doch innerhalb von wenigen Jahren schafft es der Kaufmann, das Unternehme­n aus den roten Zahlen zu bringen und in einer größeren Verlagsgru­ppe neu aufzustell­en.

„Der Aufbau Verlag ist die stärkste Marke der Gruppe und erzielt mehr als zwei Drittel der Erlöse, er ist sozusagen das Mutterschi­ff“, sagt Koch, der 2011 im Berliner Stadtteil Kreuzberg das neue „Aufbau Haus“als Kultur- und Kreativzen­trum eröffnete – und derzeit noch weiter ausbaut.

Für dieses Jahr rechnet Verlagslei­ter Cynybulk mit einem Umsatz von rund 13 Millionen Euro. „Im Bestseller-Ranking des Buchreport­s stehen wir nach Bestseller­punkten auf Platz 14, das ist schon beachtlich“, sagt er. Nach der Trennung von den langjährig­en Geschäftsf­ührern René Strien und Tom Erben will er „neue starke Stimmen“als Autoren gewinnen, aber auch die Tradition nicht vergessen. Denn selbst zu DDR-Zeiten hatte das Haus seiner Einschätzu­ng nach eine gewisse Eigenständ­igkeit. „Natürlich war der Verlag als Kulturunte­rnehmen in einer Diktatur nicht völlig frei. Aber es gab hier viel Zivilcoura­ge und Mut und auch eine subtile Form der Renitenz.“So wurde 1956 der damalige Verlagslei­ter Walter Janka verhaftet, weil er sich für eine Abschaffun­g der Vorzensur eingesetzt hatte.

Übrigens: Zu den vier Herren, die an jenem 16. August 1945 den Aufbau Verlag ins Leben gerufen hatten, gehörte auch der antifaschi­stische Widerstand­skämpfer Klaus Gysi, Vater von Linken-Fraktionsc­hef Gregor Gysi. Nicht zuletzt deshalb wird der Sohn bei der offizielle­n Jubiläumsf­eier am 5. September den Festvortra­g halten – Motto: „Gestern. Heute. Aufbau.“

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FOTO: DPA Gunnar Cynybulk ist einer der Verlagslei­ter.

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