Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kunststück
Frauen studieren Kunstgeschichte, Männer leiten Museen – Doch nun zeichnet sich eine Trendwende ab
Zwei Vorkämpferinnen
Helga Gutbrod und Barbara Stark gehören in unserer Region zu den Vorkämpferinnen. Sie gehörten nicht nur zu den ersten Museumsleiterinnen, sondern haben auch jeweils ein Haus aufgebaut. Stark ist seit 1994 Chefin der Wessenberg-Galerie in Konstanz, während Gutbrod seit 1999 für das Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm zuständig ist. „Historisch betrachtet, sind wir die Nachfolgerinnen aus den einstigen Salons, in denen die Frauen als charmante und geistreiche Gastgeberinnen glänzten“, sagt die 52-jährige Direktorin aus Neu-Ulm scherzend. Ihrer Erfahrung nach bringen Frauen zwar viel mehr Know-how und Kreativität als Männer mit, sind aber „leider immer noch zu selbstkritisch“. Sie weiß, wovon sie redet, denn bis auf wenige Ausnahmen sind und waren die meisten Praktikanten in ihrem Das Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin hat für das Jahr 2014 verschiedene Daten zur Museumslandschaft in Deutschland erhoben, die im November 2015 veröffentlicht wurden. Insgesamt sind in die Studie mit einbezogen worden – von der Heimatkunde über die Naturwissenschaft bis zur Bildenden Kunst. Hinzu kommen 470 Häuser, die zwar keine eigene Sammlung besitzen, aber überwiegend nicht kommerzielle Ausstellungen mit musealem Charakter zeigen. Ein Kapitel in dieser Studie beschäftigt sich ausführlich mit der Frage, wie hoch der Anteil der Frauen ist, die Leitungsfunktionen in Museen innehaben. Nach der Haus weiblich. Auch Stark aus Konstanz hat über die Jahre hinweg diese Erfahrung gemacht. Dass beide Kunsthistorikerinnen nach wie vor in Konstanz und Neu-Ulm wirken, stört sie nicht. „Männer sind sicher offener für einen Jobwechsel, aber leitende Stellen sind rar“, erklärt die 57-jährige Chefin der WessenbergGalerie. Zudem brauche man Jahre, bis man sich in die hauseigene Sammlung eingearbeitet und Kontakte zu Sponsoren oder Sammlern vor Ort aufgebaut habe. „In einem großen Haus ist man eine unter vielen, in einem kleinen hat man viel mehr Gestaltungsfreiraum“, ergänzt sie. Diesen Vorteil weiß auch Nicole vorliegenden Auswertung lässt sich sagen, dass es im Jahr 2014 fast gleich viele Museumsleiterinnen ( 45,8 Prozent) gab wie Museumsleiter ( 48,9 Prozent). Hier zeigt sich eine deutliche
denn bei der letzten Erhebung 2002 wurde nur etwas mehr als jedes dritte Museum von einer Frau geleitet. Auch fiel in 2014 erstmalig auf, dass ein Museum von zwei Personen geführt wurde. In einigen Fällen wurde diese Doppelspitze weiblich und männlich besetzt. Ein Beispiel dafür sind die Städtischen Museen in VillingenSchwenningen. Trotz dieser offensichtlichen Veränderung in den Leitungsebenen Fritz, Leiterin des Kunstmuseums in Ravensburg, zu schätzen. „Mir macht es Spaß, die bestehende Sammlung Selinka mit zeitgenössischen Positionen in Verbindung zu bringen“, sagt sie. Außerdem sei sie froh, die Chance zu haben, das Profil eines jungen Hauses, das 2013 eröffnet wurde, mit ihren Ideen prägen zu können. Ihre männlichen Kollegen erlebt die 46-Jährige als tolerant und kooperativ. „Wo wir aber noch nicht so geübt sind: Netzwerke aufzubauen und sich dann die Bälle zuzuspielen.“Das könnte ein Grund dafür sein, dass in den großen Museen in München, Hamburg, Berlin oder Dresden nach wie vor deutlich mehr zeigen sich deutliche Unterschiede einerseits bei der Wochenarbeitszeit bei Museumsleiterinnen und Museumsleitern und andererseits auch im Anstellungsverhältnis. So sind hauptamtlich geführte Museen mit unbefristeten Vollzeitstellen für die Leitung mehrheitlich mit Männern ( 53,9 Prozent) besetzt, während Frauen hier auf einen Anteil von 40,9 Prozent kommen. In 1,3 Prozent gibt es eine Doppelspitze ( männlich/ weiblich) und 3,3 Prozent machten keine Angaben zum Geschlecht. Die Teilzeitstellen – ob unbefristet oder befristet – haben dagegen mehrheitlich Museumsleiterinnen inne. Nur etwa jede dritte Teilzeitstelle wird von einem Mann wahrgenommen. (amma) Männer als Frauen an der Spitze sitzen. Laut Fritz sind Frauen in Führungspositionen aber flexibler, kommunikativer und integrativer als die männliche Konkurrenz. Wesentliche Impulse in Sachen Kunstvermittlung für Kinder und Jugendliche zum Beispiel seien von weiblicher Seite gekommen.
Dabei verzichten viele Museumsleiterinnen in Vollzeit bewusst auf Kinder. „Wer seinen Job sehr gut machen will, kann nicht alles haben“, meint Fritz. Stefanie Dathe, Chefin der Villa Rot bei Laupheim, sieht das zwar anders, muss aber bestätigen: „Die Kolleginnen, die richtig Karriere gemacht haben, sind alle kinderlos.“Wenn Männer sich dagegen für Familie entscheiden, spielt das keine Rolle im Job. Ja, sie werden erst gar nicht danach gefragt. In diesen Zusammenhang passt auch die Geschichte, die der zweifachen Mutter vor vier Jahren passiert ist: Damals hatte eine große Institution in Norddeutschland Dathe die Führungsposition angeboten. „Doch als ich im ersten Moment meiner Kinder wegen gezögert habe, war ich in Nullkommanix weg vom Fenster.“
Kinder verändern den Blick
Ein bisschen ärgert das die 48-jährige Kunsthistorikerin noch immer. Denn sie engagiert sich zu 100 Prozent in ihrem Beruf. „Wenn man Kinder hat, ändert sich der Blick auf die Welt – und zwar zum Vorteil“, betont Dathe, „Kinder schulen das Bewusstsein für aktuelle, gesellschaftliche und oft auch unbequeme Themen.“Entsprechend thematisch sind auch immer die Ausstellungen in der Villa Rot angelegt. Anna-Maria EhrmannSchindlbeck, Chefin der Städtischen Galerie in Tuttlingen und Mutter einer Tochter, kann diese Erfahrungen nur bestätigen. Eine, die Karriere ge- macht hat, ist Christiane Lange. Die Direktorin der Stuttgarter Staatsgalerie hat selber keinen Nachwuchs, bewundert aber Kolleginnen, denen es gelingt, Kind und Beruf miteinander zu verbinden. „Da gehört nämlich eine ungeheure Disziplin dazu“, sagt sie. Lange leitet ein Team, dass zu 60 Prozent aus weiblichen Angestellten besteht. Die Zeiten, als man noch aus dem Vollen schöpfen konnte, sind in der Staatsgalerie allerdings vorbei. Die 51-jährige Chefin betrachtet das als Herausforderung: „Frauen haben den Vorteil, dass sie gern Tacheles reden, dass sie aufräumen und Dinge anpacken, die unangenehm sind.“
Der Reiz einer großen Sammlung
Als Leiterin der Münchner HypoKunsthalle hatte Lange schon einen tollen Job. Dennoch wechselte sie 2013 nach Stuttgart. Der Grund dafür war, „mit einer großen Sammlung arbeiten zu dürfen“. Womit Lange nicht gerechnet hatte, sind die Herausforderungen im öffentlichen Dienst. Deshalb ist sie froh, einen kaufmännischen Spezialisten an ihrer Seite zu haben. Christiane Lange sorgt sich um die Zukunft der öffentlichen Museen und hat deshalb im Herbst ein Symposion mit Experten in Stuttgart veranstaltet. Mit der Frage, ob es Sinn mache, weiterhin auch kleine Häuser zu betreiben, stieß sie in der Kunstszene auf massive Kritik.
Gabriele Holthuis vom Ulmer Museum verteidigt dagegen die Stuttgarter Museumschefin: „Frau Lange hat mit der Veranstaltung bewiesen, dass Frauen in Führungspositionen Probleme nicht scheuen, sie offen angehen und sich dem Dialog stellen.“Ihrer Erfahrung nach stehen die kommunalen Museen tatsächlich an einem Wendepunkt. Die 59-jährige Kunsthistorikerin selbst ist jedoch an ihren Aufgaben in Ulm gescheitert. Nach langen Querelen verlässt die Leiterin im Sommer das Museum. Eine Auszeit kommt für sie danach nicht infrage. „Ich habe bereits eine interessante Option“, sagt Holthuis. Mehr will sie momentan nicht verraten.
Ulrike Groos, seit sechs Jahren Direktorin des Kunstmuseums in Stuttgart, freut sich über mehr Frauenpower in der Museumslandschaft. Zugleich befürchtet sie, dass Frauen in leitenden Positionen vor allem dann zum Zug kommen, wenn es finanzielle Probleme gibt. „Was viele von uns auszeichnet, sind mangelnde Eitelkeit, diplomatisches Geschick und flache Hierarchien“, sagt die 52-Jährige. Hinzu komme, dass Frauen in der Regel extrem belastbar und selbstausbeuterisch veranlagt seien. Von einer Marginalisierung des Jobs will sie aber, anders als ihre Kollegin Christiane Lange, nicht sprechen. Gemeint ist damit: Einst hoch angesehene Berufe wie Lehrer, Sekretär oder Arzt haben durch den Geschlechterwechsel an Ansehen verloren und sind schlechter bezahlt als früher. Groos: „Wir sind alle gut ausgebildet und können über unsere Gehälter entsprechend verhandeln.“
Leidenschaft ist wichtig
Bleibt die Frage, worauf es ankommt, um in der Ausstellungsszene Karriere zu machen. Laut den Stuttgarter Direktorinnen sollte man sich schon während des Studiums breit aufstellen und neben dem Museumsbetrieb auch in andere Bereiche wie den Kunsthandel oder das Verlagswesen hineinschnuppern. „Und man muss Leidenschaft für die Kunst mitbringen“, ergänzt Nicole Fritz aus Ravensburg. Denn in diesem Job seien die Antennen immer auf Sendung – auch in der Freizeit.