Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Geheimnis von Saddleworth
Ein Todesfall in einem Moor bei Manchester beschäftigt die Briten
Der Tote sah friedlich aus. Ausgestreckt auf dem feuchten Boden, der Körper unversehrt, den Blick in den Himmel gerichtet, so fand ein Radfahrer den weißen Mann im Rentenalter auf dem berühmten Saddleworth Moor beim nordenglischen Oldham (Greater Manchester). Seither ist es um den Frieden der dortigen Kriminalpolizei geschehen: Mit akribischer Kleinarbeit versuchen die Beamten vom Kommissariat Todesermittlungen die Identität des Toten zu klären, Spuren führten nach London und sogar nach Nordirland. Die Ermittlungen haben landesweites Aufsehen erregt – und bei mindestens zwei Familien schmerzhafte Erinnerungen geweckt.
Mag Saddleworth vielen Menschen im Großraum Manchester als Naherholungsgebiet dienen – vielen älteren Briten läuft bei der Erwähnung des düsteren Moorgebiets ein Schauer den Rücken hinunter. Sie denken an die Moor-Morde. Benannt sind diese nach einem jungen Pärchen, Ian Brady und Myra Hindley, das von 1963 bis 1965 fünf Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren ermordete und im Saddleworth-Moor vergrub. Eine Leiche ist bis heute verschwunden. Hindley starb hinter Gittern, der 78-jährige Brady sitzt bis heute in Haft.
Was den am 12. Dezember gefundenen Toten mit Saddleworth verbindet, ist bisher unklar. In den Ta- schen des ordentlich und dem Winterwetter entsprechend gekleideten Mannes fand die Polizei 130 Pfund (171 Euro) in bar, den leeren Behälter für ein Schilddrüsen-Medikament sowie drei Bahnfahrkarten. Daraus ließ sich rekonstruieren: Der Unbekannte war am Morgen des Vortages im West-Londoner Vorort Ealing aufgebrochen und hatte am Bahnhof Euston den Zug nach Manchester bestiegen mit Rückfahrticket in der Tasche. Am frühen Nachmittag erkundigte er sich bei der Wirtin des Clarence-Pubs im Weiler Greenfield, am Rand des Moores, nach dem besten Weg zur 457 Meter hoch gelegenen Erhebung Indian’s Head (Indianerkopf). Warnungen wegen schwierigen Terrains und unfreundlichen Wetters ignorierte der Mann, Wanderer sahen ihn zuletzt lebend bei Einbruch der Dunkelheit gegen 16.30 Uhr. Die Obduktion erbrachte keine eindeutige Todesursache und keine Anzeichen von Fremdverschulden.
Spur führte nach Nordirland
Hatte der Unbekannte dennoch bewusst den Tod gesucht, wenige Hundert Meter vom Schauplatz einer anderen Tragödie entfernt? Im August 1949 stürzte im dichten Nebel eine zweimotorige Douglas-Dakota auf dem Flug von Belfast nach Manchester über Saddleworth ab. 24 Menschen starben, acht überlebten, darunter auch zwei Buben, zwei und fünf Jahre. Hatte sich einer dieser Überlebenden auf eine Pilgerfahrt begeben und die Nähe von damals umgekommenen Verwandten gesucht? Neue Arbeit für die Kripo von Oldham.
Schnell stand fest: Der damals zweijährige Michael Prestwich war schon als Jugendlicher bei einem Zugunglück ums Leben gekommen. Blieb Stephen Evans übrig, der beim Absturz seinen jüngeren Bruder verloren hatte. Ein Anruf aus Southampton an der englischen Südküste beendete die Spekulation: Evans lebt als Pharmakologie-Professor im Ruhestand, vom Oldhamer Leichenfund hatte er in der Zeitung gelesen.
Zwischenzeitlich setzte die Kripo Oldham auf eine Spur, die nach Nordirland führte. Dort war im Februar 1994 der Bauarbeiter Hugh Toner, 56, barfuß und im Pyjama aus einer psychiatrischen Klinik verschwunden. In der britischen Unruheprovinz tobte damals noch der Bürgerkrieg, der Fall des Verschwundenen geriet rasch in Vergessenheit. Nur nicht bei Toners einzigem Sohn Sean, heute 49.
Als Toner aus den Medien von dem ungeklärten Todesfall hörte, stieg seine Hoffnung. Denn das Aussehen des Toten stimmte mit alten Fotos von Toner überein, auch das Alter hätte gepaßt. Von einer Verbindung zu Saddleworth wusste niemand. Eine DNA-Probe brachte die ernüchternde Erkenntnis: Auch Hugh Toner ist nicht der Tote von Saddleworth. Für die Kripo geht die mühsame Kleinarbeit weiter.