Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Gauck spricht von Begrenzung
Bundespräsident: Staat muss in der Flüchtlingspolitik handlungsfähig bleiben
- Mahnende Worte vom Staatsoberhaupt: Man müsse die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen, fordert Joachim Gauck und spricht sich für eine offene Debatte über die Begrenzung des Flüchtlingszuzuges aus. Gerade in dem Bemühen, möglichst vielen Menschen helfend zur Seite zu stehen, könne begründet sein, „dass man nicht allen hilft“, hatte der Bundespräsident in einem Interview erklärt. Es sei sinnvoll, über Strategien der Begrenzungen zu reden. Diese könnten „moralisch und politisch geboten“sein.
Rückt der Bundespräsident jetzt von der Kanzlerin und ihrer Linie ab? Schließt er sich jenen an, die eine Kurskorrektur in der Flüchtlingspolitik fordern? Gauck will seine Äußerungen ausdrücklich nicht als Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel verstanden wissen. Die Regierungschefin lehnt die von der CSU und Teilen der CDU geforderten Flüchtlings-Obergrenzen ab, setzt auf Sicherung der EU-Außengrenzen und eine europäische Lösung.
Keine reflexhafte Abwehr
Mahnende Worte des Bundespräsidenten – erst vor zwei Wochen hatte Gauck beim Weltwirtschaftsforum und anders als die Kanzlerin von der Notwendigkeit der Begrenzung des Flüchtlingszustroms gesprochen – um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten, so damals Gaucks Appell. Dabei handele es sich nicht um „reflexhafte Abwehr“, sondern um verantwortungsbewusstes Regierungshandeln: Flüchtlinge aufnehmen, aber den Zuzug begrenzen.
Auch die katholische Kirche spricht sich für eine Reduzierung des Flüchtlingszuzugs nach Deutschland aus: „Politik muss immer auf das Mögliche ausgerichtet sein und da gibt es sicher Grenzen. Deutschland kann nicht alle Notleidenden der Welt aufnehmen“, erklärte Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Bischofskonfe- renz, gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion.
Unterdessen gerät Bundeskanzlerin Merkel in den eigenen Reihen immer stärker unter Druck. So warnten die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen, Reiner Haseloff und Stanislaw Tillich (beide CDU), vor einem „Kontrollverlust“und forderten einen Kurswechsel der Bundesregierung. Die Grenzen des Möglichen seien nahezu erreicht, trotz großer Hilfsbereitschaft „kippt die Stimmung der Bevölkerung“, erklärte Ha- seloff. Sachsens Ministerpräsident Tillich mahnte eine Beschleunigung der Asylverfahren an. Er hatte sich kürzlich für eine nationale Lösung und eine bessere Sicherung der Grenzen ausgesprochen. Man habe die Grenzen der Möglichkeiten bereits erreicht, hatte er erklärt.
Blick auf Landtagswahlen
Laut jüngsten Umfragen sind 81 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass die Kanzlerin und ihre Regierung die Flüchtlingskrise nicht im Griff haben. Mit Spannung blicken Union und SPD auf die bevorstehenden drei Landtagswahlen in Baden-Württem- berg, Rheinland-Pfalz und SachsenAnhalt.
Rückendeckung erhielt die Kanzlerin jetzt von unerwarteter Stelle: Ihr Amtsvorgänger, der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), lobt Merkel ausdrücklich für ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik. Sie habe richtig gehandelt, als sie im vergangenen Herbst Flüchtlinge aus Ungarn über Österreich nach Deutschland habe einreisen lassen. In dieser schwierigen Situation sei keine andere Entscheidung möglich gewesen. Doch sei es falsch gewesen, den Anschein zu erwecken, dass die Ausnahme die neue Normalität sei.