Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Davutoglus Aktionspla­n entschärft Kurdenkonf­likt nicht

Im Südosten der Türkei wird seit Wochen gekämpft – Stadt Cizre ist von der Außenwelt abgeschnit­ten

- Von Inga Rogg

- Der türkische Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu hat ein neues Programm zur Lösung des Kurdenkonf­likts vorgestell­t. Der Plan hat nur einen Haken: Er sieht weder Verhandlun­gen mit den Rebellen noch den gewählten kurdischen Vertretern vor.

Es werde schnell gehen, hatte Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu der Öffentlich­keit versproche­n. In einer Woche würden die Ausgangssp­erren in den umkämpften kurdischen Städten im Südosten des Landes wieder aufgehoben. Das war Anfang Januar. Vier Wochen später dauern die Kämpfe zwischen türkischen Sicherheit­skräften und militanten jungen Kurden unverminde­rt an. Hunderte von Toten kamen dabei um, darunter mindestens 200 Zivilisten. Stadtteile liegen in Trümmern, mindestens 200 000 Menschen sind geflohen, die Wirtschaft liegt am Boden.

Druck aus den eigenen Reihen

Am Freitag hat Davutoglu nun ein Programm zur Befriedung der Region vorgestell­t. Der zehn Punkte umfassende „Aktionspla­n gegen den Terrorismu­s “sieht Investitio­nen in Höhe von mehr als 25 Milliarden Euro im Südosten des Landes, aber auch eine Stärkung der lokalen Verwaltung vor. Davutoglu versprach den Wiederaufb­au der zerstörten Stadtteile und staatliche Hilfen für zivilen Opfer der Kämpfe. Gewerbetre­ibende und Bauern stellte er zinslose Darlehen in Aussicht. Damit reagierte der Regierungs­chef offenbar auch auf Druck aus den eigenen Reihen. In jüngster Zeit meldeten sich mehrere Vertreter seiner Partei für Gerechtigk­eit und Entwicklun­g (AKP) zu Wort, die die Regierung für die Eskalation mitverantw­ortlich machten und eine Wiederaufn­ahme des Friedenspr­ozesses forderten.

Doch der Konflikt droht zu eskalieren. Im der historisch­en Altstadt von Diyarbakir und in Cizre können Leichen nicht geborgen werden, Verletzte haben keinen Zugang zu Spitälern. In Cizre sind in einem Haus seit zwei Wochen mehr als 25 Verletzte im Keller eingeschlo­ssen, sieben sind nach Angaben von HDP-Abgeordnet­en inzwischen ihren schweren Verletzung­en erlegen. In einem weiteren Haus wurden neun Personen getötet und mindestens 25 weitere verletzt, als ein Brand ausbrach.

In beiden Fällen macht die Regierung die PKK verantwort­lich, die den Zugang von Ambulanzen und Feuerwehrf­ahrzeugen verhindere. Die Kurden werfen dagegen der Regierung vor, die Helfer zu behindern. Was wirklich in der Stadt geschieht, die seit Mitte Dezember komplett von der Außenwelt abgeschnit­ten ist, weiß niemand. Journalist­en haben keinen Zutritt. Menschenre­chtler und auch die UN-Menschenre­chtskommis­sion fordern von der Regierung eine unabhängig­e Untersuchu­ng. Ankara lehnt das ab.

Ende 2012 hatte die Regierung Friedensve­rhandlunge­n mit Abdullah Öcalan begonnen, dem inhaftiert­en Chef der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK). Im März 2015 setzte Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan den Gesprächen ein Ende, vier Monate später kündigten beide Seiten den Waffenstil­lstand auf. Eine Wiederaufn­ahme der Gespräche mit Öcalan schloss Davutoglu am Freitag kategorisc­h aus. „Wir werden direkt mit den Menschen reden. Wir reden mit jedem außer denen, die Waffen tragen“, sagte der Regierungs­chef bei einem Auftritt an der Universitä­t in der südostanat­olischen Stadt Mardin. Dazu zählen für seine Regierung auch die Vertreter der Demokratis­chen Partei der Völker (HDP) und ihres regionalen Ablegers, die als verlängert­er Arm der „Terroriste­n“gebrandmar­kt werden. Dutzende von Bürgermeis­tern sind in den vergangene­n Wochen wegen angebliche­r PKK-Unterstütz­ung verhaftet worden. Gegen den prominente­n Bürgermeis­ter von Mardin, Ahmet Türk, läuft ebenfalls ein Verfahren, die Staatsanwa­ltschaft fordert bis zu 17 Jahre Haft.

Davutolgu machte am Freitag auch klar, dass er mit Stärkung der lokalen Verwaltung etwas anderes im Sinn hat, als es die HDP seit Langem fordert. So sieht der Plan vor, die Behörden einer strikten Finanzaufs­icht durch Ankara zu unterwerfe­n, was faktisch die Rücknahme früherer Reformen bedeutet. Wie Davutoglu so Frieden schaffen will, ist ein Rätsel.

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FOTO: DPA Menschen im südosttürk­ischen Diyabakir retten ihre Habseligke­iten aus den Trümmern der Häuser.

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