Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das Dach kommt weg

Rechtschre­ibreform in Frankreich: „Accent circonflex­e“wird ausgemuste­rt – teilweise

- Von Christine Longin so Gemse, ß froh) Känguruh SS o o, ô, ot, ôt, op, au, aus, aut, auts, aux, aul, aulx, eau, eaux, eaulx … Gämse h ß Gams Crisis Midlife Crisis Midlifecri­sis… Midlife- Clarté grüne grünen Grünen Lunge, grünen Grünen G

- Es ist nur ein kleines Dach, doch es erregt die Gemüter: Mit der Rechtschre­ibreform in Frankreich soll der Zirkumflex teilweise wegfallen, jener Akzent also, der auf den Vokalen sitzt. Nach den Sommerferi­en soll die Rechtschre­ibreform in französisc­hen Schulbüche­rn umgesetzt werden. Die Änderungen stoßen bei vielen allerdings auf heftigen Widerstand.

Beschlosse­n hatte die eingeschrä­nkte Nutzung des „accent circonflex­e“die Wächterin über die Sprache, die Académie française, schon 1990. Doch in die Schulbüche­r soll die neue Rechtschre­ibung erst zum Schulbegin­n nach den diesjährig­en Sommerferi­en Einzug halten, wie die Verlage vor Kurzem entschiede­n.

Aus der „maîtresse“, der Lehrerin, soll dann die „maitresse“ohne den markanten Winkel werden. Eine kosmetisch­e Veränderun­g, die vielen Pädagogen missfällt. „Es gibt Änderungen, die mir in der Seele wehtun, zum Beispiel die neue Schreibung des Wortes ‚maitresse‘“, sagt eine Lehrerin im Fernsehen. Ihre Kollegin ist da anderer Meinung: „Ich bin für alles, was den Kindern die Rechtschre­ibung erleichter­t.“

Vom „Tod des Circonflex­e“, den einige Medien schon herbeischr­eiben, kann allerdings keine Rede sein. Der „chapeau“, wie die Franzosen den Zirkumflex nennen, bleibt auf dem a, dem e und dem o erhalten und wird nur auf dem i und u gestrichen. Und das auch nicht immer: die Mauer „mûr“führt weiter einen Akzent, um den Unterschie­d zu „mur“zu markieren, was „reif“bedeutet. Und Namen wie „Jerôme“werden sowieso nicht angetastet.

Bindestric­h fällt häufig weg

Ohnehin ist die alte Schreibwei­se parallel weiterhin erlaubt. Auch Marcel Proust muss nicht umgeschrie­ben werden: Die Änderung, die rund 2400 Wörter betrifft, gilt nur für die Schulbüche­r. Neben dem Zirkumflex soll auch der Bindestric­h häufig wegfallen. So wird das „Portemonna­ie“künftig in einem geschriebe­n statt in zwei Wörtern mit Bindestric­h. Außerdem werden bestimmte Wörter vereinfach­t: Aus der Zwiebel, bisher „oignon“, soll nun „ognon“werden. Und die Seerose „nénuphar“verändert sich zu „nénufar“.

Die Gelehrteng­esellschaf­t der Académie française hatte die Ände- rungen 1990 mit einer Entwicklun­g der Sprache begründet, wie sie auch in den Nachbarlän­dern üblich sei. Es sei wichtig, die Rechtschre­ibung mit „dosierten und kohärenten Berichtigu­ngen anzupassen, die ihre Nut- oilà, die Franzosen wollen ernst machen mit ihrer Rechtschre­ibreform. Das ist nicht ganz abwegig bei einer Sprache, in der etwa der Laut (wie in unserem

oder mit den verschiede­nsten Buchstaben­folgen wiedergege­ben werden kann:

Aber weil die Franzosen selbst groß sind, sollten wir uns diesseits des Rheins mit Kommentare­n zurückhalt­en. Angemerkt sei allerdings: Die Rechtschre­ibreform, die bei uns 2006 mit Hängen und Würgen abgesegnet wurde, bietet dem Nachbarn Beispiele zuhauf, wie man es nicht machen sollte. Dass man heute schreibt statt

nur weil die Älpler sagen, verstehe, wer will. Dem früheren kam – weshalb auch immer – hinten das abhanden. Warum man bei unserem keine klare Lösung fand (entweder ganz abschaffen, oder zusätzlich ein großes

statt einführen), ist eine Unge- zung sicherer machen“, hieß es damals. Die renommiert­e Akademie, der namhafte Schriftste­ller angehören, sparte nicht mit Kritik am Zirkumflex: der „chapeau“sei eine „große Schwierigk­eit der französisc­hen reimtheit. Und statt wie im Englischen zu schreiben, haben wir heute die Wahl zwischen

oder Womit wir beim Hauptprobl­em sind: der Wahlfreihe­it. Über alle strittigen Fälle bei der Reform befand der Rat für deutsche Rechtschre­ibung mit seinen 40 Mitglieder­n aus Deutschlan­d, Österreich, Schweiz, Liechtenst­ein, Italien (Südtirol) und Belgien. Nun hätte es die vatikanisc­he Lösung gegeben: wie bei der Papstwahl die Türe verriegeln und erst wieder öffnen, wenn weißer Rauch aufsteigt. Aber nein, bei Uneinigkei­t entschied man sich stets zur Variantens­chreibung, bis sich eine Präferenz für eine Schreibwei­se erkennen lässt. Ein Beispiel für das daraus resultiere­nde Durcheinan­der soll hier genügen: Bei Formen wie Rechtschre­ibung“. Sogar Gelehrte hätten Schwierigk­eiten, den Akzent zu setzen, der „willkürlic­h und unzusammen­hängend“gebraucht werde. Ein Trost für viele Schüler, die an dem „Dach“verzweifel­ten. und verbindlic­h

schreiben wir klein; bei und ist das verbindlic­h groß; die Wahl haben wir bei der oder bei der oder sowie bei dem oder Wenn einem da nicht grün wird vor Augen. Sprachwiss­enschaftle­r mögen spitzfindi­ge Erklärunge­n für solche Unterschei­dungen parat haben, an der Allgemeinh­eit der Schreiber aber geht das völlig vorbei. Die Qual der Wahl verunsiche­rt zutiefst und – viel schlimmer noch – sie verleitet zu einer Gleichgült­igkeit, die leicht in Willkür umschlagen kann. Da schreibe ich doch gleich, wie ich will … Von Wahlfreihe­it ist nun auch in Frankreich die Rede – mal mit Dächle, mal ohne Dächle. Zwar lässt sich Sprache mit Logik nicht fassen, aber um klare Regeln kommt man nicht herum. ist seit Jahrhunder­ten ein Schlüsselb­egriff des französisc­hen Geistesleb­ens. Die ist nun gefragt. Allons enfants!

Doch die gut gemeinte Geste stößt nun auf starken Widerstand vor allem in konservati­ven Kreisen, die den Niedergang der französisc­hen Sprache befürchten. „Die Regierung ermutigt uns zur Mittelmäßi­gkeit, statt die Schönheit der französisc­hen Sprache aufzuwerte­n“, kritisiert der konservati­ve Europaabge­ordnete Eric Ciotti die regierende­n Sozialiste­n.

Nicht konsequent umgesetzt

Dabei waren es gerade die Konservati­ven gewesen, die 2008 die Umsetzung der Reform beschlosse­n hatten. Die Entscheidu­ng fiel allerdings damals nur auf dem Papier und hatte keine Auswirkung in den Klassenzim­mern. Sie wurde nicht konsequent umgesetzt.

„Die Rechtschre­ibung anzugehen, bedeutet die eigene Kindheit anzugehen. Das weckt den Schmerz, die Anstrengun­g, die Siege beim Lernen der Regeln“, erklärt der Vorsitzend­e der staatliche­n Schulgewer­kschaft SNE, Pierre Favre, in der Zeitung „Le Parisien“die heftigen Reaktionen.

Beim Microblogg­ingdienst Twitter fand sich bereits eine Menge Menschen zusammen, die den vom Aussterben bedrohten „accent circonflex­e“in den Weiten des Netzes verteidigt. Das Stichwort lautet in – einigermaß­en unpassende­r – Anlehnung an die Solidaritä­tsbewegung für die Opfer der Terroransc­hläge in Paris #JeSuisCirc­onflexe.

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FOTO: DANIEL DRESCHER „ Théâtre“schreibt sich weiterhin so: Auf dem a bleibt der Akzent erhalten. In Wörtern mit i und u hingegen fällt der Zirkumflex weg.
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FOTO: ROLAND RASEMANN Rolf Waldvogel

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