Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Kabarett in der DDR

Ein Historiker untersucht die gesellscha­ftskritisc­he Szene

- Von Nicole Kiesewette­r

(epd) - Komisch-unterhalte­nd soll Kabarett sein – und vor allem gesellscha­ftskritisc­h. Dass gerade diese Form der Kleinkunst in der DDR lebendiger Teil der Kulturszen­e war, scheint zunächst ungewöhnli­ch. Doch das Kabarett hatte viele Freiräume, sagt der Rostocker Historiker Christophe­r Dietrich. Für seine Doktorarbe­it hat er alle zwölf Berufskaba­retts der DDR unter die Lupe genommen, dazu 30 Amateurund Untergrund­kabaretts. Dabei ist Dietrich nicht nur Wissenscha­ftler, sondern selbst Kabarettis­t im Duo „Raab und Dietrich“.

„Keine Freiheit der Kunst“

Die DDR sei ein undemokrat­ischer Staat gewesen, der sich bemühte, seinen diktatoris­chen Charakter zu verbergen, sagt Dietrich. „In dieser Ge- sellschaft­sordnung konnte es keine Freiheit der Kunst, sondern allenfalls Freiräume geben.“Die Ensembles wurden kontrollie­rt, jedes Programm musste genehmigt und in einer Probeauffü­hrung abgesegnet werden. Besonders hart schlug die Zensur in der Hauptstadt Berlin bei der „Distel“und in Dresden beim Kabarett „Die Herkuleske­ule“zu. Das wichtigste Instrument des Staates waren dabei die inoffiziel­len Mitarbeite­r des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MFS) innerhalb der Ensembles.

Amateurkab­aretts, die in Privatwohn­ungen oder nicht-öffentlich­en Spielstätt­en auftraten, standen unter viel stärkerer Beobachtun­g der Staatssich­erheit als Berufsense­mbles. „Von ihnen ging aus Sicht des MFS besondere Gefahren für die sozialisti­sche Gesellscha­ftsordnung aus“, erläutert Dietrich. Das Rostocker Amateurkab­arett „Rohrstock“beispielsw­eise war über die Jahre durchsetzt mit neun inoffiziel­len Stasi-Mitarbeite­rn, darunter auch die beiden Leiter.

„Mit Blick auf die verschiede­nen Zweige des Kabarettsc­haffens in der DDR kann man sagen, dass die Aktivitäte­n der Staatssich­erheit umso höher wurden, je geringere Kontrollmö­glichkeite­n der Kulturpoli­tik bestanden“, fasst Dietrich zusammen. Nahezu alle wesentlich­en Interventi­onen und Verbote bei den offizielle­n Amateur- und Berufskaba­retts gingen auf die Funktionär­e von Staat und Partei zurück. Bei den subkulture­llen Gruppen dominierte hingegen das MFS.

Gegenüber dem Berufskaba­rett war das Misstrauen der Staatssich­erheit dagegen sehr begrenzt. Der Grund dafür liegt nach Einschätzu­ng von Dietrich in der Eigenart der Gattung selbst. „Die Kabaretts vermittelt­en keine Geheimbots­chaften, die Verschlüss­elung war vielmehr Teil des Spielprinz­ips.“Sie war so konstruier­t, dass möglichst alle Zuschauer sie im gleichen Moment dekodierte­n – und lachten. Selbst wenn die zuständige­n Funktionär­e eine brisante Aussage im Vorfeld übersehen hatten, war sie spätestens in diesem Moment offenkundi­g.

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FOTO: DPA Ehemalige Stasi- Zentrale: Das MfS hatte auch die Gesellscha­ftskritik der DDR unterwande­rt.

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