Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Sind wir nicht alle ein bisschen Dada?
Mit zwei Ausstellungen feiert Zürich den Beginn der Kunstbewegung vor 100 Jahren
- Am 5. Februar 1916 startet in Zürich eine Revolution. Während rundherum der Weltkrieg tobt, rebellieren im „Cabaret Voltaire“Künstler mit absurden Masken, schrägen Tänzen und Nonsens-Gedichten gegen die Gesellschaft. Die Dada-Bewegung ist geboren. Jetzt, 100 Jahre später, erinnert die Stadt mit zahlreichen Veranstaltungen daran. Den Auftakt übernehmen zwei Ausstellungen: „Dadaglobe Reconstructed“im Kunsthaus und „Dada Universal“im Landesmuseum.
Der Bluff gehört dazu
Kurt Tucholsky war der Meinung, von Dada bleibe nicht viel übrig, wenn man abziehe, was an diesem Verein Bluff sei. Wie groß oder klein der Anteil an Bluff bei Dada auch ist, Bluff ist selbst eine Dada-Spezialität erster Güte. Und was dann noch übrig bleibt, steht zwischen Sinn und Unsinn, zwischen Plan und Zufall. Die bewusst provokative internationale Geisteshaltung fand ganz unterschiedliche Ausprägungen, die man ab sofort im Kunsthaus und dem Landesmuseum wiederentdecken kann.
Von Zürich aus trat Dada seinen Siegeszug durch die Welt an. Im kleinen „Cabaret Voltaire“in der Spiegelgasse 1 gab es jene artistischen Purzelbäume zu sehen, die bald nur noch „Dada“hießen. Dieses literarische Kabarett war respektlos, unbefangen, destruktiv, wollte die Künste aufmischen und die Spießer attackieren – eine Reaktion auf den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft und eine Denkweise, die bald auch andere Bereiche wie die Bildende Kunst, Musik und Tanz ansteckte. Damals suchte die Dada-Bewegung den Schock. Heute ist sie arriviert, was sicher nicht in ihrem Sinne war.
Diesem globalen Phänomen Dada gilt jetzt die Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Die Schau versammelt rund 160 Werke, die Tristan Tzara, einer der Gründer der Kunstströmung, 1921 für sein Buchprojekt „Dadaglobe“von 40 Künstlern aus aller Welt zugeschickt worden waren. Damit ist zum ersten Mal die Rekonstruktion des sagenumwobenen, aber nie realisierten Buchprojekts zu sehen. Ein Großteil der Exponate stammt aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Berlin, Paris und New York. Sie wurden von der US-Amerikanerin Adrian Sudhalter über sechs Jahre hinweg zusammengetragen und zu einer dichten Kabinettsausstellung arrangiert, die im Anschluss noch ins MoMA nach New York wandert.
Aus kunsthistorischer Sicht ist die Präsentation hochinteressant, aus Sicht des Museumsbesuchers dagegen enttäuschend. Denn bei den Ausstellungsstücken handelt es sich hauptsächlich um kleinformatige, unscheinbare Arbeiten auf Papier. Immerhin wird deutlich, dass das „mouvement dada“seine eigenen Ausdrucksformen hatte: in erster Linie die Collage, die Montage, aber auch das Fotoexperiment. Die Dadaisten spielten mit Worten, integrierten Gedichte in ihre Werke. Unterschiedlich zeigt sich dagegen die Bildersprache. Neben Biomorphem findet man Veristisches, Konstrukti- vistisches, Surrealistisches oder Futuristisches.
Blickfänge in der Schau sind zwei Collagen: „Die Chinesische Nachtigall“von Max Ernst in Schwarz-Weiß sowie das bunte Blatt von Raoul Hausmann, das Fragmente aus dem Dadaglobe-Serienbrief enthält. Fünf dieser Einladungsbriefe zum Buchprojekt werden gleich am Eingang in einer Vitrine gezeigt. Weitere Höhepunkte sind ein Relief sowie ein Kopf von Hans Arp und das Foto eines Schneebesens, den Man Ray als „L’homme“(Der Mann) bezeichnet hat.
Urei im Landesmuseum
Mehr fürs Auge bietet die Ausstellung im Landesmuseum in der Nähe des Hauptbahnhofs. Hier werden berühmte oder weniger berühmte Objekte und Zeugnisse der Dada-Bewegung mit historischem Stoff kombiniert. Dieser Brückenschlag unter Stichworten wie „Urei“, „Maske“, „Krieg“oder „Tanz“wirkt bisweilen jedoch sehr gewollt. Ein Tarnmantel für den Kampf an der Front im Ersten Weltkrieg soll an das Zylinderkostüm erinnern, das Hugo Ball 1916 bei seinem legendären Auftritt anhatte, als er zum ersten Mal im „Cabaret Voltaire“seine Lautgedichte rezitierte. Ein Hopi-Kleid von Sophie Taeuber-Arps trifft auf afrikanische Masken, Traumzeichnungen von Max Ernst und die verpackte Nähmaschine von Man Ray werden mit Friedrich Nietzsche in Verbindung gebracht. Glanzstücke im Landesmuseum sind zwei Ready-mades von Marcel Duchamp: Seine „Fountain“, jenes auf den Kopf gestelltee Pissoir, das 1917 in New York für einen Skandal sorgte, und sein „Fahrrad-Rad“, in einem Nachbau von 1964.
Gut gemacht ist die Ausstellungsarchitektur. Die einzelnen Themenschaukästen wurden in einem großen Saal locker verteilt, dessen schwarze Wände Dada-Sprüche zieren. Und statt der üblichen Beschriftungen bieten Touchscreens an jeder Station Informationen zu den jeweiligen Exponaten. Darüber hinaus macht die Präsentation mit Tonaufnahmen von Hintergründigem und Abgründigem einen kleinen Ausflug in die Nonsens-Lyrik.
Die Stadt Zürich hat um Dada schon im Vorfeld einen Riesenwirbel gemacht. Auch für die Doppelschau zum Auftakt des Jubiläumsjahres wurde entsprechend geworben. Das Fazit fällt allerdings ernüchternd aus. Den Weg in die Schweiz allein dieser Ausstellungen wegen kann man sich getrost sparen. Da lässt man sich besser den umfangreichen Katalog aus dem Kunsthaus schicken. Mit Blödsinn wollten die Dadaisten die Welt aus den Angeln heben. Bleibt zu hoffen, dass der Funke wenigstens bei den anderen Veranstaltungen, die noch geplant sind, auf den Besucher überspringt.