Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Inoffizieller Nationalfeiertag
Wenn die Carolina Panthers und die Denver Broncos um den Super Bowl kämpfen, geht es um mehr als den begehrtesten Titel im US-Sport
- Ja, es wird auch Football gespielt. Doch bei nüchterner Betrachtung kann sich dem Nicht-Football-Fan leicht der Eindruck aufdrängen, dass dies nur am Rande geschieht. Wenn in der Nacht zum Montag (0.30 Uhr MEZ/Sat.1) die Carolina Panthers im Silicon Valley zum Super-Bowl-Finale gegen die Denver Broncos antreten, ist es so etwas wie der 4. Juli im Winter. Nationalfeiertag, nur eben kein offiziell erklärter, eine Mischung aus patriotischem Pathos und Pop, dazu eine aus Fressgelage und einer Orgie der Fernsehreklame. Beim Super Bowl, so lässt es sich vielleicht auf einen kurzen Nenner bringen, ist alles noch eine Nummer größer als sonst, die Flaggen, der Hype vor dem Match und mitunter auch die Enttäuschung danach.
Lady Gaga wird die Nationalhymne singen, Coldplay die Halbzeitshow bestreiten, ein Gastspiel von Beyoncé inklusive. 115 Millionen Amerikaner, so viele waren es zumindest im vergangenen Jahr, werden vor den Bildschirmen sitzen, vorzugsweise im Kollektiv. Kulinarisch sind es Guacamole, ein mexikanischer Avocado-Dip, und Hähnchenflügel, die zum Super Bowl gehören wie Tomatensaft zu Flugzeugkabinen. Der National Chicken Council schätzt, dass die Leute an diesem einen Tag 1,25 Milliarden Chicken Wings verzehren. Und der Präsident, der wird ungefähr zwei Stunden vor Anpfiff ein eher launiges Interview geben, vielleicht wieder, wie beim letzten Mal, in der Küche des Weißen Hauses.
So war es nicht immer, angefangen hat es eher unspektakulär. Bei der Premiere, am 15. Januar 1967, blieben über 30 000 Plätze im Memorial Coliseum zu Los Angeles unbesetzt, obwohl die Tickets im Schnitt zwölf Dollar kosteten. Vorausgegangen war eine Absprache zwischen den beiden Football-Ligen. Die National Football League (NFL), 1920 ins Leben gerufen, wenn auch damals noch unter anderem Namen, hatte sich aufstrebender Konkurrenz zu erwehren, der 1960 gegründeten American Football League (AFL). Statt einander weiter zu ignorieren, beschlossen die Funktionäre, die jeweiligen Spitzenteams zu einem gemeinsam organisierten Endspiel antreten zu lassen. Daraus wurde der Super Bowl, nur dass er anfangs nicht Super Bowl hieß, sondern AFL-NFL World Championship Game.
Der griffigere Name geht auf den Texaner Lamar Hunt zurück, einen der Gründer der AFL. Der will, so hat er es selber einmal geschildert, seinen Kindern Sharron und Lamar junior beim Spielen mit einem Ball zugeschaut haben, der nach dem Aufprall besonders hoch sprang. Aus „Super Ball“sei dann, phonetisch lässiger, „Super Bowl“geworden. Es gibt Abhandlungen darüber, ob die Geschichte stimmt oder nur gut erfunden ist. Jedenfalls haben die Green Bay Packers aus Wisconsin das erste Finale gewonnen, trainiert von Vince Lombardi, einem Coach, der noch heute verehrt wird, auch wegen seiner lakonisch-autoritären Sprüche. „Du wirst Fehler machen, aber nicht sehr viele, wenn du für die Green Bay Packers spielen willst“, zitiert David Fischer, Autor einer voluminösen Super-Bowl-Fibel, den Mann. Nach dem Coach heißt übrigens auch die begehrte Trophäe, die Vince-Lombardi-Trophy.
Sieht man es distanziert durch die europäische Brille, reißen muskulöse Männer in hautengen Hosen, die Köpfe behelmt, die Schultern gepolstert, einander immerzu um, bevor sie sich in Trauben verkeilen, aus denen ab und an der nächste Spielzug gelingt. Dazwischen ewige Pausen – wie gemacht für die Fernsehreklame: 30 Sekunden Werbung kosten inzwischen 4,5 Millionen Dollar. Sieger ist, wer den Ball am öftesten hinter die gegnerische Linie bringt. Das wäre die profane Beschreibung. Für Ame- rikaner indes wohnt der Schlacht auf dem Rasen ein Zauber inne, den viele Nichtamerikaner kaum verstehen können. Zumindest glaubt das Sal Paolantonio, Autor des Buches „How Football Explains America“. Bei Football gehe es darum, Territorium zu erobern, beharrlich und systematisch – uramerikanisch eben.
Angst vor Folgeschäden
Zum Super Bowl gehört auch, dass die Medien vor jedem Spektakel die Schattenseiten beleuchten, allem voran Gehirnerschütterungen infolge schwerer Kopfstöße. Da ist Kenny Stabler, ein Hüne aus Alabama, im Juli im Alter von 69 Jahren verstorben. Im Testament verfügte er, dass Wissenschaftler sein Gehirn untersuchen dürfen, um zu erforschen, was eine Football-Karriere an Folgeschäden auslösen kann. In den letzten Jahren seines Lebens konnte Stabler laute Geräusche nicht mehr ertragen. Er hörte auf, im Auto Radio zu hören und beklagte sich im Restaurant über zu laut klirrendes Geschirr. Außerdem begann er, bei Grün an der Ampel zu halten. Der posthume Befund lautete auf chronisch traumatische Enzephalopathie CTE, eine degenerative Gehirnerkrankung. Dabei war Stabler Quarterback, auf dem Rasen in aller Regel umgeben von einem Ring von Mitspielern, deren Aufgabe nur darin besteht, den Regisseur vor Attacken zu schützen.
Im Übrigen hat eine US-Stiftung, die Media Education Foundation, den skeptischen TV-Betrachter bestätigt. Demnach wurde im Finale 2015 in vier Stunden Übertragung effektiv 17 Minuten und 30 Sekunden lang Football gespielt.