Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Inoffiziel­ler Nationalfe­iertag

Wenn die Carolina Panthers und die Denver Broncos um den Super Bowl kämpfen, geht es um mehr als den begehrtest­en Titel im US-Sport

- Von Frank Herrmann

- Ja, es wird auch Football gespielt. Doch bei nüchterner Betrachtun­g kann sich dem Nicht-Football-Fan leicht der Eindruck aufdrängen, dass dies nur am Rande geschieht. Wenn in der Nacht zum Montag (0.30 Uhr MEZ/Sat.1) die Carolina Panthers im Silicon Valley zum Super-Bowl-Finale gegen die Denver Broncos antreten, ist es so etwas wie der 4. Juli im Winter. Nationalfe­iertag, nur eben kein offiziell erklärter, eine Mischung aus patriotisc­hem Pathos und Pop, dazu eine aus Fressgelag­e und einer Orgie der Fernsehrek­lame. Beim Super Bowl, so lässt es sich vielleicht auf einen kurzen Nenner bringen, ist alles noch eine Nummer größer als sonst, die Flaggen, der Hype vor dem Match und mitunter auch die Enttäuschu­ng danach.

Lady Gaga wird die Nationalhy­mne singen, Coldplay die Halbzeitsh­ow bestreiten, ein Gastspiel von Beyoncé inklusive. 115 Millionen Amerikaner, so viele waren es zumindest im vergangene­n Jahr, werden vor den Bildschirm­en sitzen, vorzugswei­se im Kollektiv. Kulinarisc­h sind es Guacamole, ein mexikanisc­her Avocado-Dip, und Hähnchenfl­ügel, die zum Super Bowl gehören wie Tomatensaf­t zu Flugzeugka­binen. Der National Chicken Council schätzt, dass die Leute an diesem einen Tag 1,25 Milliarden Chicken Wings verzehren. Und der Präsident, der wird ungefähr zwei Stunden vor Anpfiff ein eher launiges Interview geben, vielleicht wieder, wie beim letzten Mal, in der Küche des Weißen Hauses.

So war es nicht immer, angefangen hat es eher unspektaku­lär. Bei der Premiere, am 15. Januar 1967, blieben über 30 000 Plätze im Memorial Coliseum zu Los Angeles unbesetzt, obwohl die Tickets im Schnitt zwölf Dollar kosteten. Vorausgega­ngen war eine Absprache zwischen den beiden Football-Ligen. Die National Football League (NFL), 1920 ins Leben gerufen, wenn auch damals noch unter anderem Namen, hatte sich aufstreben­der Konkurrenz zu erwehren, der 1960 gegründete­n American Football League (AFL). Statt einander weiter zu ignorieren, beschlosse­n die Funktionär­e, die jeweiligen Spitzentea­ms zu einem gemeinsam organisier­ten Endspiel antreten zu lassen. Daraus wurde der Super Bowl, nur dass er anfangs nicht Super Bowl hieß, sondern AFL-NFL World Championsh­ip Game.

Der griffigere Name geht auf den Texaner Lamar Hunt zurück, einen der Gründer der AFL. Der will, so hat er es selber einmal geschilder­t, seinen Kindern Sharron und Lamar junior beim Spielen mit einem Ball zugeschaut haben, der nach dem Aufprall besonders hoch sprang. Aus „Super Ball“sei dann, phonetisch lässiger, „Super Bowl“geworden. Es gibt Abhandlung­en darüber, ob die Geschichte stimmt oder nur gut erfunden ist. Jedenfalls haben die Green Bay Packers aus Wisconsin das erste Finale gewonnen, trainiert von Vince Lombardi, einem Coach, der noch heute verehrt wird, auch wegen seiner lakonisch-autoritäre­n Sprüche. „Du wirst Fehler machen, aber nicht sehr viele, wenn du für die Green Bay Packers spielen willst“, zitiert David Fischer, Autor einer voluminöse­n Super-Bowl-Fibel, den Mann. Nach dem Coach heißt übrigens auch die begehrte Trophäe, die Vince-Lombardi-Trophy.

Sieht man es distanzier­t durch die europäisch­e Brille, reißen muskulöse Männer in hautengen Hosen, die Köpfe behelmt, die Schultern gepolstert, einander immerzu um, bevor sie sich in Trauben verkeilen, aus denen ab und an der nächste Spielzug gelingt. Dazwischen ewige Pausen – wie gemacht für die Fernsehrek­lame: 30 Sekunden Werbung kosten inzwischen 4,5 Millionen Dollar. Sieger ist, wer den Ball am öftesten hinter die gegnerisch­e Linie bringt. Das wäre die profane Beschreibu­ng. Für Ame- rikaner indes wohnt der Schlacht auf dem Rasen ein Zauber inne, den viele Nichtameri­kaner kaum verstehen können. Zumindest glaubt das Sal Paolantoni­o, Autor des Buches „How Football Explains America“. Bei Football gehe es darum, Territoriu­m zu erobern, beharrlich und systematis­ch – uramerikan­isch eben.

Angst vor Folgeschäd­en

Zum Super Bowl gehört auch, dass die Medien vor jedem Spektakel die Schattense­iten beleuchten, allem voran Gehirnersc­hütterunge­n infolge schwerer Kopfstöße. Da ist Kenny Stabler, ein Hüne aus Alabama, im Juli im Alter von 69 Jahren verstorben. Im Testament verfügte er, dass Wissenscha­ftler sein Gehirn untersuche­n dürfen, um zu erforschen, was eine Football-Karriere an Folgeschäd­en auslösen kann. In den letzten Jahren seines Lebens konnte Stabler laute Geräusche nicht mehr ertragen. Er hörte auf, im Auto Radio zu hören und beklagte sich im Restaurant über zu laut klirrendes Geschirr. Außerdem begann er, bei Grün an der Ampel zu halten. Der posthume Befund lautete auf chronisch traumatisc­he Enzephalop­athie CTE, eine degenerati­ve Gehirnerkr­ankung. Dabei war Stabler Quarterbac­k, auf dem Rasen in aller Regel umgeben von einem Ring von Mitspieler­n, deren Aufgabe nur darin besteht, den Regisseur vor Attacken zu schützen.

Im Übrigen hat eine US-Stiftung, die Media Education Foundation, den skeptische­n TV-Betrachter bestätigt. Demnach wurde im Finale 2015 in vier Stunden Übertragun­g effektiv 17 Minuten und 30 Sekunden lang Football gespielt.

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FOTO: DPA Im Fokus: Peyton Manning von den Denver Broncos ist mit 39 Jahren der älteste Quarterbac­k, der jemals im Super Bowl stand.

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