Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Die schwarze Null ist Augenwischerei“
Der Ökonom Marcel Fratzscher spricht beim Kreissparkassen-Forum
- Wenn Europa sich wirtschaftlich und politisch gegen Asien behaupten will, könne das nur funktionieren, wenn die Europäer an einem Strang ziehen und auch die USA mit ins Boot holen. Dieses Fazit zieht Professor Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, am Donnerstagabend vor rund 600 Menschen in der Kundenhalle der Kreissparkasse Biberach. Der Makroökonom und Finanzexperte spricht beim KreissparkassenForum Gesellschaft und Politik über „Europa nach dem Brexit: Wege aus der Krise“.
Fratzscher sagt: „Wir haben einen negativen Krisenzyklus in Europa, der dazu führt, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren.“Wirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrise verstärken sich gegenseitig und führen zur genannten Vertrauenskrise.
Er benennt mehrere Risiken für Europa und bewertet ihre ökonomischen Auswirkungen. In diesem Zusammenhang stellt er fest, dass ein neuerlicher Schuldenschnitt für Griechenland kommen werde. Der werde, obwohl er sicher ärgerlich sei, die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland aber kaum beeinflussen. „Die größte Sorge bereitet mir gar nicht der Brexit, sondern Italien“, sagt Fratzscher. Denn wenn Italien mit seinen maroden Banken, faulen Krediten und der hohen Staatsverschuldung einen ähnlichen Weg wie Griechenland gehen sollte, könnten auch Deutschland und die restliche EU zusammen das Land nicht retten. „Too big to save it“, fasst er zusammen (zu Deutsch: zu groß, um es zu retten):
Das Kernthema beim Brexit sei die Frage der Freizügigkeit innerhalb der EU, sagt Fratzscher. So hätten viele Briten den Eindruck, dass ihnen europäische Zuwanderer Jobs wegnehmen, und in der Folge für den EU-Austritt gestimmt. Dem hält Fratzscher entgegen, dass seit 2012 rund 1,2 Millionen EU-Bürger nach Deutschland einwandern (800 000 Menschen verlassen die BRD pro Jahr) und hier sehr erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden. „Die werden so gut integriert, dass es kaum einem auffällt“, sagt er. Er stellt fest: „EU-Migranten haben einen großen Anteil am Wirtschaftswachstum.“Auf die Frage aus dem Publikum, welche Gangart er bei den Brexit-Verhandlungen empfehlen würde, antwortet Fratzscher: „Den harten Weg. Denn wenn sie Großbritannien einen guten Deal geben, werden andere Länder auch ihre Vorteile suchen.“Ohne die Freiheit für EU-Bürger, dorthin zu ziehen, wo es Arbeit gibt, funktioniere der Binnenmarkt nicht. Infrastruktur vernachlässigt Mit Blick auf Deutschland sagt Fratzscher: „Die schwarze Null des Bundesfinanzministers ist Augenwischerei.“Denn einerseits profitiere der Staat als Schuldner gerade von der Niedrigzinsphase – er zahlt sehr geringe Zinsen auf sein geliehenes Geld. Andererseits schwinde infolge von Einsparungen das Staatsvermögen dahin. Sprich: Straßen, Brücken, Schulen und andere staatliche oder kommunale Einrichtungen werden wegen Geldmangel nicht saniert und verlieren an Wert, bis sie ihre Funktion einbüßen. Fratzscher vergleicht: „Wenn Sie Ihren Hauskredit bedienen, indem sie dafür Ihr Auto und andere Vermögenswerte verkaufen, ist das doch nicht nachhaltig.“
Fratzscher fordert, die Politik müsste die Rahmenbedingungen für die private Wirtschaft attraktiver gestalten. Dann wäre er auf längere Sicht durchaus optimistisch, was die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes und der ganzen EU angeht.