Schwäbische Zeitung (Laupheim)
EU will Haushalt unabhängiger von Mitgliedsstaaten machen
Glaubt man EU-Kommissar Günter Oettinger ( und seinen Mitarbeitern, dann sind die europäischen Haushälter die Musterschüler ihrer Zunft. Jahr für Jahr bringen sie Ausgaben und Einnahmen so ins Gleichgewicht, dass keine Schulden entstehen. Von der Staatsquote in der EU, die im Durchschnitt satte 50 Prozent beträgt, zweigen sie nur ein kleines Prozent für die Gemeinschaftsaufgaben ab. In den USA, die ja gern zum Vergleich mit der EU herangezogen werden, liegt der Anteil, den die Regierung beansprucht, deutlich höher.
Doch für die nahe Zukunft kündigen sich in der EU neue Verteilungskämpfe an. Wenn Großbritannien die Gemeinschaft 2019 verlässt, werden zwischen zehn und 13 Milliarden Euro in der Kasse fehlen. Schließlich war das Vereinigte Königreich trotz Britenrabatt einer der größten Nettozahler. Gleichzeitig kommen neue Aufgaben hinzu: eine gemeinsame Verteidigungspolitik, der Schutz und die Kontrolle der Außengrenzen, die Bewältigung der Flüchtlingskrise, die Minderung der Fluchtgründe durch mehr Entwicklungshilfe. Woher das Geld nehmen? Mehr eigene Einnahmen gefragt Dazu hat die EU-Kommission am Mittwoch ein umfangreiches „Reflexionspapier“vorgelegt. 158 Milliarden Euro werden derzeit jährlich im Namen der EU ausgegeben. Der Löwenanteil von 73 Prozent kommt aus den Mitgliedsstaaten. Die Kommission glaubt, dass für die neuen Aufgaben mehr Geld als bisher nötig ist. Gleichzeitig soll der nationale Beitrag sinken, um die Abhängigkeit der EU-Institutionen von den Regierungen zu verringern und dafür zu sorgen, dass nicht mehr alle sieben Jahre um die Finanzierung der EU-Aufgaben gestritten werden muss.
Deshalb zeigt das Papier die Möglichkeit auf, den Anteil der Eigenmittel am EU-Budget zu vergrößern. Einnahmen aus dem Emissionshandel oder einer neuen Finanztransaktionssteuer sollen in die EU-Kasse geleitet werden.
Ohne Ausgabenkürzungen aber wird es nach Oettingers Überzeugung nicht gehen. Wo der Rotstift angesetzt wird, sollen die Mitgliedsstaaten entscheiden. Bislang fließt über ein Drittel des EU-Budgets in die sogenannte Kohäsionspolitik. Damit werden in allen Mitgliedsländern Projekte gefördert, von denen sich Brüssel Wachstum und Arbeitsplätze erhofft. Viel Geld wäre zu sparen, wenn nur noch die ärmsten Regionen der EU gefördert würden. Tabuthema Agrarpolitik Der SPD-Europaparlamentarier und Haushaltsexperte Jens Geier ist dagegen. Ohne europäische Fördermittel sei zum Beispiel die Arbeitsmarktpolitik in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen „zu fünfzig Prozent tot“, warnt er.
Wortkarg werden alle Beteiligten, wenn man nach der Agrarpolitik fragt, dem mit 29 Prozent des Haushalts zweitgrößten Brocken. Obwohl es an der Förderung von Massentierhaltung und Monokultur, an nitratverseuchtem Wasser und Bienensterben seit Jahren Kritik gibt, will sich an dieses heiße Eisen offensichtlich niemand heranwagen.
Auch bei der Frage, ob Strukturfördermittel künftig eingesetzt werden sollen, um aufmüpfige Mitgliedsländer zur Räson zu bringen, wird die EU-Kommission einsilbig. Zwar gab Berlin bei diesem Thema den Ton vor und Paris griff ihn auf. Die EU-Kommission aber schweigt zu der Frage, ob Ländern wie Ungarn, Polen oder Tschechien, die Ratsbeschlüsse nicht umsetzen und ihren eigenen Rechtsstaat demontieren, Geld gekürzt werden soll.