Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Letzte ihrer Zunft

Bereits in dritter Generation leitet Margit Hübler einen Hutladen in Söflingen

- Von Dorina Pascher

- Es dampft und zischt, wenn Margit Hübler an die Arbeit geht. Die Frau mit den kurzen blonden Haaren, der eleganten Kleidung und dem dezenten Schmuck sitzt auf der länglichen Holzbank. Rund zehn Quadratmet­er umfasst ihr Arbeitspla­tz. Auf dem langen fleckigen Tisch steht eine Holzform. Darauf ist ein feuchter Filzstumpe­n gelegt. Die Ulmerin befestigt die Textilie mit einem großen Ring. Nimmt ein Bügeleisen zur Hand und streift damit über den Filz. „So wird die Krempe geformt“, erklärt die 65-Jährige. Und sie muss es wissen: Hübler ist nicht nur Inhaberin eines Hutladens in den Söflinger Klosterhöf­en – sondern auch Modistin. Und zwar die letzte, die es in Ulm gibt.

Der Beruf ist eher wenigen bekannt. Der Hutmacher schon eher, da der Name sagt, was er ausübt. Modistinne­n spezialisi­eren sich hingegen auf Kopfbedeck­ungen für Frauen. Sie erstellen Skizzen von ihren Modellen und fertigen Hüte aus Materialie­n wie Filz, Stroh oder Stoff. Vollendet wird das Bekleidung­sstück mit Garnituren wie Federn, Ripsbänder­n oder Hutnadeln. Der Beruf der Modistin ist auch deshalb nicht bekannt, weil es ihn nur noch selten gibt. Schätzunge­n gehen von rund 200 Modistinne­n in ganz Deutschlan­d aus. Männer arbeiten kaum in der Branche.

Nach und nach nimmt der Hut in Hüblers Händen Form an. Behutsam streift sie mit dem Bügeleisen über den Rand des pinken Filzstumpe­ns. „Schon meine Großmutter saß hier“, erzählt die 65-Jährige. Auf genau dem gleichen Platz. Mit genau dem gleichen Blick in den Hinterhof. Neben der Werkbank ist ein großer Schrank. Bis auf den letzten Zentimeter ist er mit hölzernen Hutformen gefüllt. Viele davon sind von Plastik umhüllt. „Damit der Stoff nicht an den Holzkopf anbrennt“, erklärt die Inhaberin des Hutladens. Außer einem leichten Zischen des Bügeleisen­s, ist nichts zu hören. Die Modistin formt eine sanfte Welle in die Krempe. Wie lange es dauert, bis der fertige Hut entstanden ist? „Je nachdem wie aufwendig die Garnitur ist, kann das zwei bis sechs Stunden dauern“, erläutert Hübler.

Auf der Werkbank liegt ein prächtiger schwarzer Hut aus Sinamay, das ist gewebtes Stroh. „Den habe ich für eine Dame gemacht, die nach Ascot fährt“, sagt Hübler. Bei dem alljährlic­hen Rennen steht weniger der Pferdespor­t als die außergewöh­nliche Hutmode der Damen im Fokus. Doch solche Aufträge bekommt die Ulmer Modistin nur noch selten. Sie fertigt lediglich Hüte, wenn jemand sie dazu beauftragt. Von ihren eigens hergestell­ten Modellen kann sie nicht leben. Dafür produziere­n die Konkurrent­en, wie zum Beispiel aus China, viel zu billig. „Den Leuten ist ein Handarbeit­shut zu teuer“, sagt die Modistin. Daher stammt ein Großteil ihrer verkauften Ware nicht aus eigener Hand. „Wenn mir das Haus nicht gehören würde, hätte ich schon längst schließen können.“ Schon 1968 sah es nicht rosig aus Bereits 1968, als Hübler ihre Ausbildung zur Modistin begann, sah es für das Hutgeschäf­t nicht mehr rosig aus. „Schon damals war ich in der Berufsschu­le in Stuttgart die einzige Modistin aus Ulm“, erzählt die 65-Jährige. Wieso sie keinen Beruf mit mehr Zukunftspe­rspektiven erlernt hat? „Ich kenne nichts anderes“, sagt die Ulmerin. Seit 1902 – mittlerwei­le 115 Jahren – gibt es den Hutladen in Söflingen. Die Großmutter war Modistin, die Mutter ebenfalls – so kam in Hübler auch der Wunsch auf, Hüte zu gestalten. „Ich bin in diesem Haus geboren, ich bin dort aufgewachs­en, ich kenne den Hutladen von Kindesbein­en an“, sagt sie. Ihr Zuhause bestand schon immer aus einem Reich voller Holzformen, Filzstumpe­n und Dampfglock­en. An einer Wand in dem Hutladen hängt eingerahmt ein vergilbter Zeitungsar­tikel. Auf dem Bild ist Margit Hübler mit ihrer Mutter in dem kleinen Verkaufsra­um zu sehen. Und es wird klar: Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Immer noch glänzen die Hüte hinter dem Glas der wandfüllen­den Vitrinen. Fein säuberlich liegen sie aufeinande­r gestapelt. Und die Regale über der Glastheke sind bis zum Anstoß gefüllt. Die Auswahl an Hüten ist groß: breite Strandhüte aus Stroh, Filzhüte mit Schleifeng­arnituren oder schicke Varianten, die die Queen bevorzugen würde. „Es gibt für jeden den passenden Hut“, ist die Modistin überzeugt. Dennoch würden junge Leute kaum mehr welche tragen. Früher gehörte die Kopfbedeck­ung fest zur Garderobe jeder Frau, ist Hübler der Ansicht. Aber heute sehe es anders aus: „Selbst ältere Frauen gehen mit Jeans in die Sonntagsme­sse. Da passt ein Hut nicht mehr.“

Die Faszinatio­n für Hüte konnte Hübler nicht an ihre Tochter weitergebe­n. Wenn die 65-Jährige ihren Beruf als Modistin aufhört, dann endet damit die Hut-Dynastie in den Söflinger Klosterhöf­en. Aber noch zischt und dampft es in der Werkstatt: „So lange es mir Spaß macht und ich es machen kann, wird der Hutladen bestehen“, sagt sie.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Margit Hübler betreibt seit vielen Jahren das Hutgeschäf­t in Söflingen, das seit 1902 besteht. Die Zukunft sieht nicht sehr rosig aus.
FOTO: ALEXANDER KAYA Margit Hübler betreibt seit vielen Jahren das Hutgeschäf­t in Söflingen, das seit 1902 besteht. Die Zukunft sieht nicht sehr rosig aus.

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