Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Diesel-Gipfel findet Minimalkompromiss
Automanager zeigen wenig Selbstkritik – Dobrindt spricht von „neuer Vertrauenskultur“
- Software-Updates sollen die alten Dieselautos sauberer machen – das ist das greifbarste Ergebnis des Diesel-Gipfels in Berlin. Aber das reicht wohl nicht, um Fahrverbote zu verhindern.
Um 17.19 Uhr ist das lange Warten endlich vorbei: Politik und Autobosse haben sich nach mehr als fünf Stunden geeinigt. Der Diesel-Gipfel endet – und zwar mit einem Minimalkonsens. Doch hinter den Kulissen hatte es mächtig gekracht und geknirscht. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) macht ihrem Unmut Luft: Bei der Autoindustrie sei „noch zu wenig Einsicht und Demut“zu spüren. Die Hersteller seien erst „auf dem Weg zu verstehen, dass es einiges wiedergutzumachen gibt“. Von einer „neuen Vertrauenskultur“spricht auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Man habe sich auf „Sofortmaßnahmen und weitergehende Vereinbarungen“verständigt (siehe Kasten).
„Freiwillige“Software-Updates – aber eine klares Nein zur verpflichtenden Motorenumrüstung der Diesel-Stinker von den Autobossen. Kein Durchbruch im Ringen um saubere Luft, kein starker Auftritt von Dobrindt nach dem Marathon-Diesel-Gipfel in Berlin. Vorsichtiger Optimismus Man wolle nicht den Eindruck erwecken, „damit ist alles gelöst“, erklärt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Wenn notwendig, werde man „nachjustieren“. Dennoch habe man einen „beachtlichen Fortschritt“erzielt. Auch BadenWürttembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gibt sich vorsichtig optimistisch: Es sei ein „ordentliches Ergebnis“und ein „Schritt aus der Vertrauenskrise“gemacht worden. Zugleich geißelt er den Widerstand der Autobosse gegen Motorumrüstungen.
Schon vor dem Gipfel-Auftakt am Morgen gab es Ärger: GreenpeaceAktivisten hatten die Fassade des Bundesverkehrsministeriums erklommen, ein Großbanner gehisst: „Willkommen in Fort NOx!“- NOx steht für Stickstoffoxid, der gefährliche Schadstoff alter Dieselautos. 250 Demonstranten waren vor den Sitz von Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) gezogen, forderten ein Ende des Kuschelkurses gegenüber der Industrie. Plötzlich wird der Gipfel ins Bundesinnenministerium verlegt. Wollten sich Dobrindt und die Autobosse vor den Aktivisten verstecken, vor der Wut der Bevölkerung in Deckung gehen? Im Verkehrsministerium bestreitet man das, aus Platzgründen sei der Gipfel verlegt worden. Aktivisten und Journalisten fühlen sich an der Nase herumgeführt. Katz-und-Maus-Spiel im Regierungsviertel.
Am Nachmittag dann prescht plötzlich der Verband der Automobilindustrie vor, geht mit Ergebnissen an die Öffentlichkeit, lange bevor die Beratungen beendet sind, und schafft Fakten: Mehr als fünf Millionen Automotoren sollen mit neuer Software ausgestattet und so sauberer werden. Ein freiwilliges Angebot sei das, schließlich sei man nicht dazu verpflichtet. „Wir setzen darauf, den Diesel zu verbessern, anstatt ihn zu verbieten“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Der Schadstoffausstoß werde durch die Softwarelösung um 25 bis 30 Prozent verringert, versichern die Autohersteller. Experten bezweifeln dies. Die von der Politik geforderten Umrüstungen der Motoren – Veränderungen nicht nur an der Software, sondern auch an der Hardware – wird es zunächst nicht geben, lediglich einen Prüfauftrag. VW-Chef Matthias Müller beispielsweise hat Hardware-Nachrüstungen bei Dieselautos „ausgeschlossen“. Demut nur vor dem Treffen Dabei hatte sich der Verband der Autobauer (VDA) vor dem Treffen noch einsichtig und selbstkritisch gegeben: „Die Automobilindustrie ist sich bewusst, dass sie erheblich an Vertrauen verloren hat“, teilte die Organisation mit. Am Verhandlungstisch sei von solcher Demut dann aber nichts mehr zu spüren gewesen, berichten Teilnehmer des Treffens später. Beide Seiten hätten mit harten Bandagen gekämpft. Die Verhandlungen seien „mühsam“gewesen und alles andere als rund gelaufen. Lange Gesichter bei den Ministerpräsidenten der Autoländer, weil schnell klar wird, dass die Industrie auf stur schaltet. Die Manager denken nicht daran, eine große Lösung mit Motorumrüstungen und Entschädigungen anzubieten. Die Stimmung im Saal sei zeitweise „eisig“gewesen, heißt es.
Grünen-Chef Cem Özdemir wirft Dobrindt einen Kotau vor den Autobossen vor. Der Minister stelle die Industriepolitik über den Gesundheitsschutz. Umweltministerin Hendricks, die Software-Updates zuvor nur als einen „ersten Schritt“bezeichnet hatte, lenkt ein. Sie akzeptiert den Kompromiss nun. Das sei „keine Milde“gegenüber den Konzernen. Zur Hardware-Umrüstung gebe es noch technische Fragen, die geklärt werden müssten. Aus Sicht des ADAC ist die Politik mit dem Verzicht auf Motorenumrüstungen vor der Industrie eingeknickt. Fahrverbote weiter möglich Klar ist am Mittwochabend: Den Startschuss für die große Verkehrswende hat es nicht gegeben. Ob es bald doch zu Fahrverboten kommen wird, weil die Grenzwerte weiter überschritten werden, bleibt die große Frage. Der Deutsche Städtetag hält das nicht für ausgeschlossen. „Falls die Grenzwerte weiterhin nicht eingehalten werden, ist zu befürchten, dass Gerichte für einzelne Städte Fahrverbote verlangen“, erklärt Städtetagspräsidentin Eva Lohse (CDU), zugleich Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen.
Der Gipfel soll Luft verschaffen, die Krise bis zur Bundestagswahl eindämmen und aus dem Wahlkampf halten. Vor allem die Grünen wittern ihre Chance, die Große Koalition unter Druck zu setzen und mit der Forderung nach einem Aus für den Verbrennungsmotor zu punkten.