Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Törggelen hat erst mal nichts mit torkeln zu tun
In Südtirol beginnt jetzt die Zeit des neuen Weins
Jetzt werden die Tage in Südtirol ruhig und klar. Die Herbstsonne taucht die Landschaft in ein goldenes Licht und lässt Weintrauben, Äpfel, Birnen, Nüsse und Kastanien reifen. Im Oktober ist es dann endlich so weit: Die Weinbauern laden zum Törggelen ein, sie öffnen ihre Höfe, Keller und Gaststuben, um den „Nuien“(neuer Wein) und „Susen“(neuer Wein vor der Gärung, bei uns besser als Federweißer bekannt) zur Verkostung zu präsentieren. Dazu gibt es eine deftige Marende, eine Brotzeit mit Speck und Kaminwurzen – meist aus hauseigener Produktion – sowie geröstete Kastanien, die „Keschtn“, die mit Butter gegessen werden. Oft wird noch üppiger aufgetischt: Gerstlsuppe, saftige Hauswürste mit Kraut, Schweinsrippelen, Bauernbratl, Gsurtes und Gselchtes, Schlutzkrapfen und Apfelschmarrn. So schlemmt man sich der Glückseligkeit entgegen, der Kalorienzähler darf ruhig mal zu Hause bleiben.
Törggelen kann man fast überall in Südtirol. Hochburgen sind die Gegenden um Brixen, rund um Kaltern und Meran sowie das Vinschgau und das Eisacktal, also überall dort, wo Wein angebaut wird. Der Begriff Törggelen leitet sich keineswegs, wie Lästerzungen gerne behaupten, von „torkeln“ab, sondern kommt von der Torggl, dem Südtiroler Begriff für Weinpresse. Dieses Wort wiederum lässt sich zurückführen auf das lateinische Verb „torquere“(zu Deutsch: drehen, foltern). Eine Torggl vor einem Bauernhof war schon früher ein sicherer Hinweis darauf, dass hier Wein gekeltert wird. So wanderte man „von Torggl zu Torggl“, daraus entwickelte sich der Begriff Törggelen.
Einkehr in der Buschenschenke
Noch heute ist das Törggelen am schönsten, wenn man sich zu Fuß auf den Weg macht. Der goldene Herbst ist die beste Zeit, um die unausweichlichen Schlemmereien mit ein bisschen Bewegung in der freien Natur zu kombinieren – und so das Gewissen zu beruhigen. Oft duftet es schon von Weitem nach gebratenen Kastanien. Frisches Laub am Eingang weist den Hof als Buschenschank aus und heißt die Wanderer zum Einkehren willkommen. Wenn man dann mit netten Leuten zusammen hockt, sich den süffigen „Nuien“schmecken lässt, die Gastgeber vielleicht noch eine Schlachtplatte mit Knödeln auftischen – dann wird der Plan zum Weiterwandern schnell auf die lange (Holz-)Bank geschoben. Und wenn man die Törggeler nach Hause gehen sieht, möchte man fast wetten, dass der Begriff Törggelen doch von Torkeln kommt.
In die Törggele-Zeit fallen auch viele Feste in Südtirol, allen voran das Erntedankfest, das in vielen Orten groß gefeiert wird. Etwa das Meraner Traubenfest, das bereits seit 1886 existiert, und immer am dritten Wochenende im Oktober stattfindet. Höhepunkt bildet ein farbenprächtiger Umzug mit aufwendig geschmückten Festwagen, Musikkapellen und Trachtengruppen. Auch wenn die Törggele-Zeit auf Oktober, November begrenzt ist, kann man sich in den Hof- und Buschenschanken das ganze Jahr über die Köstlichkeiten der Südtiroler Küche schmecken lassen. Damit man die oft weit abseits der Verkehrswege gelegenen Geheimtipps auch findet, hat der Südtiroler Bauernbund die Broschüre „Bäuerliche Feinschmecker“mit 37 qualitätsgeprüften Höfen herausgegeben. Dieser kulinarische Reiseführer enthält neben detaillierter Beschreibung der Höfe auch Wandertipps und ein Glossar zur Erklärung der Tiroler Gerichte.