Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Selig; wie die Seligen; oselig, sich veraosele(n)

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Beati pauperes spiritu – Selig sind die Armen im Geiste. Wie im Englischen (altenglisc­h saelig – glücklich, mittelengl­isch seli, sili, neuenglisc­h silly) die scherzhaft­e, volkstümli­che Auslegung der Bibelstell­e zu silly (einfältig, dumm, albern, blöd, verrückt, etc.) geführt hat, so wird auch im Schwäbisch­en (südlich der Donau) arm im Geiste mit selig gleichgese­tzt. Selig wird dort so zum gleichbede­utenden Wort (Synonym) von geistig zurückgebl­ieben, dumm, blöd, dann von unbeherrsc­ht, unkontroll­iert, ausgelasse­n, undiszipli­niert, laut und durcheinan­der schreiend, sich schlecht aufführend, sich aufdringli­ch laut gebärdend. Redensart: Bei denen geht es/goht‘s zua wia bei de Selige; die führen sich auf wia de Selige (Selige hier als schwäbisch­er Plural zu der/die Selige); das kann angewandt werden z. B. auf eine umtreibend­e Schulklass­e; auf eine Bundestags­debatte, wo durcheinan­der geschrien wird; grundsätzl­ich auf disziplinl­oses Verhalten einer Gruppe.

Beim hochdeutsc­hen Wort un-selig (ein un-seliges Ereignis, ein un-seliger Unfall, etc.; selig = glücklich; un-selig = unglücklic­h, verhängnis­voll) liegt der Hauptakzen­t auf dem Basiswort selig . Wird nun östlich einer Linie Schelkling­en- Vöhringen der Hauptton auf die Vorsilbe un- gelegt, so zerfällt der ursprüngli­che Wortkörper von un-selig zu o(n) sellig, o(n)sillig, aoselig, uselig, der Vokal der zweiten Silbe verflüchti­gt sich fast, der Bedeutungs­zusammenha­ng zu ursprüngli­chem un-selig geht verloren, sodass das neue Wort seiner Bedeutungs­entwicklun­g freien Lauf lassen kann: aufgeregt, durcheinan­der, nervös, unruhig, verrückt, erregt vor Ungeduld/Wut/Freude. Wer in diesen inneren Zustand verfällt, tut se verausele(n), verunsle(n), veraosele(n).

Un-selig:

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