Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Erzbistum soll Millionen nachzahlen
Fehler bei der Berechnung von Rentenbeiträgen für geringfügig Beschäftigte könnte teuer werden
FREIBURG (AFP) - Dem Erzbistum Freiburg drohen wegen falscher Abrechnungen von Sozialversicherungsbeiträgen Nachzahlungen in Millionenhöhe. Vorsorglich sei im Haushalt eine Rückstellung von 160 Millionen Euro eingeplant worden, von denen mehr als 100 Millionen auf Säumniszuschläge entfallen, teilte Erzbischof Stephan Burger mit. Der Finanzchef wurde von seinen Aufgaben entbunden.
ULM - Unkenntnis? Schlamperei? Komplizierte Strukturen? Unfähigkeit? Unwillen? Im katholischen Erzbistum Freiburg herrscht vor allem Entsetzen, seitdem am Mittwochabend klar wurde, dass wahrscheinlich 160 Millionen Euro an die Rentenversicherung nachgezahlt werden müssen. Im Raum steht, dass die Kirche über mehrere Jahre hinweg keine oder zu geringe Sozialabgaben für mehr als 1000 geringfügig Beschäftigte gezahlt haben soll. Betroffen seien beispielsweise Hausmeister, Mesner oder Organisten. In der erzbischöflichen Behörde, bei der Staatsanwaltschaft sowie den Sozialversicherungsträgern wollen die Verantwortlichen jetzt wissen, wieso es zu einem in dieser finanziellen Tragweite innerhalb der deutschen Kirche bisher nicht gekannten Skandal kommen konnte.
„Wahrscheinlich war es eine Mischung aus Sorglosigkeit, Unfähigkeit und auch Bequemlichkeit“, sagt ein Insider aus dem erzbischöflichen Ordinariat. Dass Erzbischof Stephan Burger, seit 2014 im Amt, Aufklärung verspricht und sich vor seine Mitarbeiter stellt, sei der einzig positive Aspekt.
Ein Blick in den Alltag der Kirchengemeinden: Hier wird für Trauerfeiern ein Aushilfsorganist benötigt. Dort trägt eine Rentnerin den Pfarrbrief aus. Und am dritten Ort hilft ein Schüler, das Pfarrheim sauber zu halten. Man könnte die Liste um den Mesner erweitern, der sonntags die Kirche aufschließt. Oder um die Sekretärin, die bei der Verwaltung einspringt. Verdienen diese Aushilfskräfte weniger als 450 Euro im Monat, dann gelten sie als geringfügig Beschäftigte, für die in die Rentenversicherung eingezahlt werden muss. Dass Erzbistum Freiburg hat genau dies versäumt – vielleicht über fast zwei Jahrzehnte. Jetzt werden alle Gehaltsunterlagen seit 1999 geprüft. Im schlimmsten Fall sind 160 Millionen Euro fällig: Nachzahlungen, Zinsen und Säumniszuschläge.
Spurensuche in einer großen Behörde mit 26 000 Mitarbeitern. „Wahrscheinlich sind die Zahlungen an geringfügig Beschäftigte über Jahre als Sachkosten verbucht worden, vielleicht auch als Projektkosten“, vermutet ein Sprecher des Erzbistums Freiburg, „nicht aber als Lohnkosten mit Rentenversicherungsbeiträgen, wie es richtig gewesen wäre.“
Dabei hätte ein Blick auf die Internetseite der Deutschen Rentenversicherung (DRV) genügt. Dort heißt es: „Geringfügig entlohnte Beschäftigungen sind in der Kranken-, Pflegeund Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei. In der Rentenversicherung tritt dagegen grundsätzlich Versicherungspflicht ein.“
Warum aber haben weder Personalnoch Finanzabteilung ebenso wenig wie der Rechnungshof des Erzbistums diese eindeutige Gesetzeslage nicht in die Fläche kommuniziert? Warum erkannte niemand in der Bistumsverwaltung oder vor Ort, dass jahrelang Personalkosten fälschlicherweise als Sachkosten abgerechnet wurden? Warum wurde bei Prüfung der Lohnabrechnungen für die 450-Euro-Jobber bei den regelmäßigen Prüfungen nicht entdeckt, dass keine Rentenversicherungsbeiträge gezahlt wurden? „Das klären wir gerade auf “, sagt der Sprecher. Vielleicht seien die zahlreichen Gesetzesänderungen seit 1999 nicht bekannt gewesen, vermutet er: „Wir gehen von einem Versehen aus, das über lange Zeit nicht bemerkt wurde.“Die Spurensuche führt in die Fläche. Die über 1000 Gemeinden der 224 Seelsorgeeinheiten im Erzbistum arbeiten selbstständig, sind aber viel zu klein, um Verwaltungsaufgaben wie Personalabrechnungen selbst erledigen zu können. Dazu gibt es im Erzbistum 26 Verrechnungsstellen, die die Verwaltungsaufgaben übernehmen.
Diözesanökonom entbunden
Im Mai hatten DRV-Prüfer nach der Routinekontrolle einer Verrechnungsstelle dem Erzbistum erstmals Auffälligkeiten gemeldet. Am 12. Mai setzte Erzbischof Burger eine Taskforce unter seiner Leitung ein, an der auch unabhängige Wirtschaftsprüfer beteiligt sind. Als erster Schritt wurde der bisherige Diözesanökonom Michael Himmelsbach entbunden. Bereits seit Juni leitet der Jurist Daniel Becker die diözesane Finanzabteilung.
Jetzt will das Erzbistum Freiburg die Fehler bei der Berechnung von Sozialabgaben schnell und umfassend aufarbeiten. Neue Verwaltungsund Kontrollstrukturen sollen dazu beitragen, solche Fehler künftig zu vermeiden. Erzbischof Stephan Burger stellte sich am Donnerstag vor die betroffenen Mitarbeiter. „Für jeglichen Schaden, auch persönlichen, steht das Erzbistum ein und niemand anders“, betonte Burger am Donnerstag in einem an alle Kirchenmitarbeiter gerichteten Brief. Auch müsse niemand Angst um seinen Arbeitsplatz haben. Aufgrund der guten konjunkturellen Lage und dem damit verbundenen hohen Kirchensteueraufkommen dürfte das Erzbistum (Jahresetat 2017: rund 620 Millionen Euro) in der Lage sein, Abgaben und Steuern inklusive Zinszahlungen zu tragen. Im Dezember soll der nächste Doppelhaushalt 2018/19 verabschiedet werden. Dabei dürfte es auch um entsprechende Rückstellungen gehen.
Bei den evangelischen Landeskirchen gibt es nach Überzeugung der Landesbischöfe Frank Otfried July (Württemberg) und Jochen Cornelius-Bundschuh (Baden) keine vergleichbaren finanziellen Pannen. „Wir haben keine Leichen im Keller“, sagt Cornelius-Bundschuh am Donnerstag in Stuttgart. Auch die Diözese Rottenburg-Stuttgart schließt solche Versäumnisse aus.