Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Mysterien im finsteren Forst
Mit „Dark“schickt der Streamingdienst Netflix die erste deutsche Produktion ins Rennen
Lange hinkte Deutschland bei Streamingserien hinterher, nun soll „Dark“es richten: Die erste deutsche Netflix-Produktion ist seit Freitag in 190 Ländern weltweit zu sehen. Und auch wenn die Mystery-Serie das Rad nicht neu erfindet: Ihr Ehrgeiz ist erfrischend.
Die Kamera zoomt bedeutungsschwanger auf das Gesicht, die Abspann-Melodie ertönt – und wie es weitergeht, erfährt der Zuschauer eine Woche später: Lange Zeit war das die Realität für Serienfans, von „Lindenstraße“bis „Lost“. Doch Streamingdienste haben in den vergangenen Jahren die Sehgewohnheiten der Menschen drastisch verändert.
Einer aktuellen Studie der Prüfungsund Beratungsgesellschaft Ernst & Young zufolge gucken bereits 55 Prozent der Bis-20-Jährigen in Deutschland Filme und Serien ausschließlich online. In der Zielgruppe 21 bis 30 sind es 36 Prozent. Und das Analyse-Unternehmen IHS Markit beziffert den Umsatz mit Video-On-Demand-Angeboten im Internet (VoD) in Deutschland für das Jahr 2017 auf 945 Millionen Euro – ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Online-Videodienste wie Netflix und Amazon Prime zeigen dabei längst nicht mehr nur Fremdproduktionen, sondern investieren Milliarden in eigene Inhalte. Das traditionelle Fernsehen ist zwar noch nicht abgemeldet, doch die Revolution im visuellen Unterhaltungssektor ist längst im Gange.
Nachdem Deutschland die Entwicklungen lange verschlafen hat, zeichnet sich nun ein Wandel ab. 2017 könnte dabei als entscheidendes Jahr in die Geschichte eingehen. Maxdome brachte die Buddy-Serie „Jerks“mit Christian Ulmen und Fahri Yardim an den Start, erreichte damit aber kaum ein internationales Publikum. Amazon Prime Video veröffentlichte die Hackerserie „You Are Wanted“mit dem sonst eher auf Romantikkomödien abonnierten Matthias Schweighöfer, imitierte damit aber lediglich, was andere schon weitaus besser und klischeefreier gemacht hatten.
Keine Zugriffszahlen öffentlich
Nun also „Dark“. Und man muss schon sagen: Was Regisseur Baran bo Odar und seine Frau Jantje Friese da erschaffen haben, ist international absolut konkurrenzfähig (siehe Besprechung der ersten drei Episoden im Kasten unten links). Odar konnte 2014 mit seinem Hacker-Thriller „Who Am I“überzeugen und kam so aufs Radar der Netflix-Macher. Nun schickt er in „Dark“große Namen wie Karoline Eichhorn („Drei Tage im April“) aber auch Newcomer wie Louis Hoffmann („Unter dem Sand – Das Versprechen der Freiheit“) auf einen Gruseltrip. Die Serie vereint Elemente aus Mystery und Thriller und sticht mit ihrem Zeitreise-Sujet deutlich aus der üblicherweise recht biederen deutschen Serienlandschaft heraus.
Wie erfolgreich die Streamingserien dann wirklich sind, ist schwer zu bewerten. Denn im Gegensatz zum Fernsehen, bei dem Quoten erfasst werden, legen weder Netflix noch die Konkurrenz Zugriffszahlen für eigene Produktionen offen. Klar ist allerdings: Wenn es sich nicht lohnen würde, gäbe es keine Milliardeninvestitionen in neue Produktionen.
Ein Hinweis in eigener Sache: Serien, Filme und Dokus, die von Streamingdiensten direkt fürs Netz produziert werden, sind ein immer wichtigerer Teil der Medienwelt. Deshalb werden solche Formate künftig auch in die tägliche TVKritik der „Schwäbischen Zeitung“einfließen.