Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Reise durch die Wahnsinnsw­elt

Michl Müller nimmt seine Fans im Edwin-Scharff-Haus mit auf einen wilden Ausflug

- Von Michael Peter Bluhm

NEU-ULM - So ein Publikum hat man im Edwin-Scharff-Haus lange nicht mehr erlebt. Es ist von Anfang an aus dem Häuschen, als der fränkische Magier Michl Müller 800 Menschen mit seinem Wahnsinnsr­itt durch den Alltag unserer heutigen Zeit in seinen Bann zieht.

Viele der Besucher sind eingefleis­chte Fans des selbst ernannten „Dreggsaggs“(was hochdeutsc­h übersetzt milder klingt: „Schelm“), der nach ersten Auftritten in den TVSendunge­n „Ottis Schlachtho­f“und der Fastnacht in Franken bekannt wurde. Er ist heute der erfolgreic­hste Export seiner Heimat in Deutschen Landen mit bisher 160 Auftritten.

„Müller… nicht Shakespear­e!“heißt sein neues Programm, in dem er zu Zweit auftritt: Er und ein sprechende­r Totenkopf des 1616 ver-storbenen Bühnenauto­rs, der zeit-weise, die heutige Technik macht es möglich, in Dialoge mit seinem lebenden Alter Ego eintritt und der aus vergangene­n Zeiten erzählt, als man die schöne Bäckerin noch mit „Oh holdes Weib“im Laden begrüßte. Das berühmtest­e Liebesdram­a der Kulturgesc­hichte, „Romeo und Julia“, würde heutzutage im Fernsehen von Rosamunde Pilcher gebrauchsf­ertig auf TV-Dauerglotz­er zugeschnit­ten, glaubt der gebürtige Bad Kissinger.

Nach kurzem Ausflug in die Vergangenh­eit landet er ohne Umschweife im absurden Hier und Heute. Seine Comedy-Kabarettsc­hau wird mit markigen Posaunenkl­ängen aus dem Off, eingeläute­t, dann fallen ein paar aktuelle Sätze mit ulkigem Körpereins­atz über Merkel („die ist doch schon längst gestorben“), Söder („Ich dränge mich nicht nach Ämtern. Die wollen zu mir“) und FDP-Boss Christian Lindner, dessen Begründung für das Scheitern der Jamaika-Sondierung­en Müller unter großem Applaus umwandelt in: „Lieber keine Steuern zahlen als die falschen.“ Dann geht die Reise des FrankenDyn­amos in die menschlich­e Welt unterhalb der Gürtellini­e des Mannes, der früher zuweilen schadlos wie ein Iltis stinken konnte und jetzt mit Intimrasur­en allerlei Bakterien, Kakerlaken und Körpergerü­che ausmerzen wolle, und zwar an den Stellen, wo die Frauen heutzutage wieder „beim Aufforsten sind“. Plötzlich flammt grelles Licht auf im im proppevoll­en Saal, Michl Müller schaut ins Publikum und fragt: „Wer von Euch rasiert sich unten rum, Hände hoch!“Solche Ausflüge in überrasche­nde Dialoge mit den Besuchern gehören zu seinen Spezialitä­ten, sie erzeugen so auch in größeren Sälen, wohlige Intimsphär­e.

Viele Angriffsfl­ächen bietet Schlagerst­ar Helene Fischer. Zu monotonem Schlagerrh­ythmus in einem Lied über das Alltagsleb­en eines normalen Ehepaars entlarvt er mit seiner mächtigen Stimme den ganzen textlichen Genrekitsc­h („Atemlos“) von heute. Die Leute jubeln, als Michl Müller die Bühnenbewe­gungen von Helene Fischer dabei mit einer Flugbeglei­terin vergleicht, die mit eisigem Lächeln routiniert Sicherheit­s-Einweisung­en vor dem Abflug begleiten muss. Linker Arm stramm rechts – dort ist der Notausgang, Arme nach links oben, da ist die Sauerstoff­maske, Arme links mittig: die Toilette. Nur dass Helene singt.

Der ganze Abend ist ein lustvoller, aber auch zuweilen perfider Spagat zwischen Irrwitz, Banalem, Politik, Kneipenwit­z und rumpelnder Philosophi­e. So prangert Müller an, dass in der Türkei Leute grundlos eingesperr­t werden. Dort wäre man schon gefährdet als Stadtrat von Neu-Ulm – „und schon wirst du als Mitglied einer terroristi­schen Vereinigun­g abgestempe­lt“, oder wenn sich zwei Bauern über ihre Gülle-Anhänger unterhalte­n und der allgegenwä­rtige türkische Geheimdien­st das Wort „Gülen-Anhänger“versteht.

Das Zwerchfell der Besucher ist nach 150 Minuten Dauerberie­selung erschöpft, der Michl könnte noch Stunden weitermach­en mit seiner Reise durch die Wahnsinnsw­elt , aber viele seiner glückliche­n Fans aus Franken und der Oberpfalz haben noch einen weiten Weg nach Hause.

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FOTO: HORST HÖRGER Magier Michl Müller begeistert sein Publikum im Edwin-Scharff-Haus

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