Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Am Anfang waren Liedermacher noch Ketzer
Vor 40 Jahren war Kirchenmusik nicht mit Popularmusik vereinbar – das hat sich längst geändert
STUTTGART/PFORZHEIM (epd) Vor gut 40 Jahren noch fast undenkbar und heute selbstverständlich: christliche Popularmusik in den Landeskirchen – dazu zählen Gospel, Pop und Jazz. Im Sommer 1978 wurde in Beilstein (Landkreis Heilbronn) als erster in Deutschland der Landesarbeitskreis Band in Württemberg (LaBiW) gegründet, berichtet Eberhard Fuhr, Pressereferent des Evangelischen Jugendwerks. Heute wird Popularmusik auch an Kirchenmusikhochschulen unterrichtet.
Der promovierte Theologe und Dekan im Ruhestand, Winfried Dalferth, hat diese musikalische Entwicklung gemeinsam mit Hans-Jürgen Hufeisen, Hans-Martin Sauter, Hans Reichel und Gunter Bareis in Württemberg vorangetrieben. Dalferth hat ein Buch über die Entwicklung verfasst.
Aus seinen Recherchen schöpfte er große Gelassenheit: „Was wir getan haben, war über die Jahrhunderte betrachtet nichts Besonderes, sondern das Normale: Wir haben Augen und Ohren aufgemacht und die Zeit mit dem Evangelium verbunden“, resümiert er. Einst schlug schließlich auch der Orgel Misstrauen in den Kirchengemeinden entgegen: 1597 brauchte es eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Wittenberger Fakultät, damit die Königin der Instrumente zum Gemeindegesang eingesetzt werden durfte.
Die Engagierten aus der kirchlichen Jugendarbeit in den 1970er-Jahren wollten Beat-, Pop- und Rockmusik mit christlichen Texten. Das Projekt machte nicht nur Spaß, sondern hatte für sie auch eine missionarische Dimension: „Verkündigung bedeutet: Wie erreiche ich Menschen.“
Die etablierten Kirchenmusiker blockierten. Dalferth musste sich anhören, er sei ein „Ketzer“. Die Fronten waren verhärtet. Generell wurde in Deutschland scharf unterschieden zwischen der sogenannten E-Musik, der „ernstzunehmenden“, und der U-Musik, die ja nur seicht unterhaltend sei.
In der Jugendarbeit war die Realität eine völlig andere. Mit Begeisterung wurden die neuen, eingängigen Lieder gesungen wie „Dass du mich einstimmen lässt in Deinen Jubel, o Herr“oder „Komm, Herr, segne uns“. Da gab es keine Konfessionsgrenzen, keine Ost-West-Grenzen.
Die LaBiW-Jahrestreffen waren regelmäßig überfüllt. Inzwischen dürften dort rund 250 Referentinnen und Referenten weit über 10 000 Teilnehmer geschult haben, schätzt Dalferth.
Unter den Bands, die in Hohenwart neue Impulse sammelten und weitergaben, hatten etliche auch weit über kirchliche Kreise hinaus Erfolg. Dazu zählen Schulze, Ararat oder One way ticket. Unter den Workshop-Referenten waren der spätere Musikproduzent Dieter Falk, der Songwriter Albert Frey oder auch Hartmut Engler, der spätere Frontmann der Band PUR.
Die LABiW bildete 1981 mit den Jugendchören, den Liedermachen und Gitarristen die Arbeitsgemeinschaft Musik. Noch mal zehn Jahre später waren dort schon 70 Bands, 110 Jugendchöre, 20 Liedermacher, 135 Gitarristen und 225 theaterbegeisterte Mitglieder aktiv. Sie sorgten für eine großflächige Verbreitung der neuen Musik und besonders Hans-Jürgen Hufeisen, Referent für musisch-kulturelle Bildung, sorgte für Qualität und Zusammenhalt.
Winfried Dalferth sammelt bis heute mit Genuss Belege dafür, dass schon immer die etablierte Kirchenmusik inspiriert wurde vom „Folk“, dem Volkslied. „Viele Choräle sind ursprünglich Volkslieder, etwa 'Befiehl Du Deine Wege'“, weiß er. Die Melodie ist ein mittelalterlicher Schreittanz. Manche Weisen waren Liebeslieder, in manchen Texten steckten zu ihrer Zeit gesellschaftliche Kampfansagen. „Folksongs gehören ins Gesangbuch – damals wie heute“, sagt der Liedermacher.
„Popularmusik ist heute ein wertvoller und für die Verkündigung unverzichtbarer Teil unserer Kirchenmusik“, formuliert auch Landeskirchenmusikdirektor Matthias Hanke.