Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Von der Stärke, Hilfe zu suchen
Stalking-Opfer, Rheuma-Patienten, Suchtkranke: Etwa 250 Gruppen von Betroffenen treffen sich in und um Ulm
ULM - Seit Herbst treffen sich Männer und Frauen, die an Tinnitus leiden, also störende Ohrgeräusche hören. Am 7. Februar tauschen sich erstmals Suchtkranke aus, die Probleme mit Bei-Konsum haben, also mit Ersatz-Drogen. Und bald will sich eine Gruppe von Stalking-Opfern gründen. Etwa 250 Selbsthilfegruppen gibt es in Ulm, im Kreis Neu-Ulm und im Alb-Donau-Kreis. Menschen, die ein gemeinsames Problem haben, treffen sich, um sich gegenseitig zu unterstützen.
Furcht vor Ablehnung
Da gibt es zum Beispiel eine Frau aus der Region, sie besucht die Gruppe Soziale Phobie. Dort treffen sich Menschen, für die Begegnungen mit anderen eine große Hürde darstellen – zum Beispiel, weil sie fürchten, auf Ablehnung zu stoßen. Wer die Gruppe besucht, kann selbst entscheiden, wie viel er sprechen möchte, ganz ohne Druck. Die Frau aus der Region sagt von sich, dass sie dadurch Selbstbewusstsein gewonnen habe und daran gewachsen sei. Sie will anderen Mut machen, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Die entlaste schon allein dadurch, dass die Betroffenen erfahren, wie viele Menschen sich in einer ähnlichen Situation befinden.
Christine Lübbers und Lydia Ringshandl arbeiten für das Selbsthilfebüro Korn. Sie unterstützen Gruppen bei der Gründung und begleiten sie am Anfang, wenn das gewünscht ist. Im vergangenen Jahr gingen fast 1500 Anfragen bei den beiden Frauen ein. Von Leuten, die Gruppen gründen wollen, von solchen, die Gruppen suchen und von solchen, die Gruppen bekannter machen möchten. Die Selbsthilfekreise werden ehrenamtlich und ohne professionelle Leitung organisiert. Christine Lübbers, die Geschäftsführerin des Büros ist, sagt: „Deswegen ist es uns wichtig, das Handwerkszeug mitzugeben.“
Lübbers, seit Kurzem 52 Jahre alt, ist Diplom-Sozialarbeiterin. Ihre Kollegin Lydia Ringshandl, 35, ist Diplom-Sozialpädagogin. Die beiden bieten nicht nur kostenfreie Beratung, sondern auch Schutz. Wenn Gruppenmitglieder anonym bleiben wollen, übernimmt das Büro die Aufgabe, neue Anfragen vertraulich anzunehmen.
Nicht in Opferrolle verharren
Den beiden Frauen ist das Bild von Selbsthilfekreisen wichtig. „Wir wollen, dass es als Stärke angesehen wird, in eine Gruppe zu gehen“, sagt Ringshandl und Lübbers ergänzt: „Was einem im Leben widerfährt, darauf hat man oft keinen Einfluss. Aber man muss nicht in der Opferrolle verharren, sondern kann aktiv werden.“
Um eben das zu erleichtern, bietet Korn seit einiger Zeit auch sogenannte Außensprechstunden an – beim Verein Engagiert in Ulm in der Ulmer Radgasse und im Familienzentrum in der Neu-Ulmer Kasernstraße. Die Wege dorthin sind kürzer als auf den Eselsberg, wo das Büro Räume in der Klinik für Psychosomatik nutzt. Ein weiterer Grund für die Außensprechstunden: Der Weg ins Krankenhaus kann abschreckend wirken, fürchten Lübbers und Ringshandl.
Das Spektrum der Gruppen ist groß. Suchtkranke treffen sich genauso wie Rheumakranke. Ein wesentlicher Aspekt eint alle: die gemeinsame Betroffenheit. „Nur jemand, der gleich betroffen ist, kann das größte Verständnis aufbringen“, sagt Christine Lübbers. Freunde und Angehörige seien dagegen in vielen Fällen mit der Situation überfordert. In den Gruppen könnten Kranke Vorbilder finden und sehen, wie andere, die mit ähnlichen Problemen kämpfen, ihr Leben gestalten. „Selbsthilfe ist nie ein Ersatz für eine Therapie. Aber es ist eine ganz wichtige Ergänzung“, sagt Geschäftsführerin Lübbers. „Der Therapeut muss nicht damit leben, er weiß nicht, wie es sich anfühlt“, beschreibt sie. Das Büro Korn in der Psychosomatischen Klinik des Uniklinikums auf dem Oberen Eselsberg, AlbertEinstein-Allee 23, ist montags bis mittwochs von 10.30 bis 12.30 Uhr und von 14 bis 16 Uhr sowie donnerstags von 14 bis 17.30 Uhr geöffnet. Terminvereinbarung unter Telefon 0731/8803-4410 oder E-Mail kontakt@selbsthilfebuero-korn.de. Ein Verein trägt das Büro Korn, das seit 1989 Anlaufstelle zum Thema Selbsthilfe ist. Der Verein hat derzeit 73 Mitglieder. Außensprechstunde Jeden Dienstag von 9 bis 12 Uhr in den Räumen des Vereins Engagiert in Ulm in der Radgasse 8 in Ulm und am jeweils am ersten Donnerstag im Monat (außer im Januar, August und September) im Familienzentrum Neu-Ulm, Kasernstraße 54. Nächste neue Gruppe Die Selbsthilfegruppe „Cleantraum“trifft sich erstmals am kommenden Mittwoch, 7. Februar, um 17.30 Uhr. Nähere Informationen und der Treffpunkt können beim Korn-Büro telefonisch erfragt werden. (mase)