Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hut ab vor diesen drei Frauen

Die „neue“Theaterei schafft auf der Bühne ein seltenes Kunststück – Frenetisch­er Applaus

- Von Florian L. Arnold

HERRLINGEN - Die „alte“Theaterei Herrlingen hatte sich einen Ruf erworben als Bühne, der mit verlässlic­her Regelmäßig­keit hervorrage­nde Bühnenfass­ungen von literarisc­hen Werken gelangen, etwa „Am Hang“von Markus Werner, „Rot“von John Logan oder „Mara“von Wolf Wondratsch­ek. Die „neue“Theaterei Herrlingen unter Leitung von Edith Erhardt wird diesen Weg fortsetzen – und zeigt aktuell mit „Altes Land“eine beeindruck­ende Fassung des gleichnami­gen Romans von Dörte Hansen.

Der behandelt die Geschichte der Bewohner eines alten Hauses in diesem vom Obstbau geprägten Landstrich­der Hamburger Elbmarsche­n. Liegt ein Fluch auf diesem Haus, über dessen Pforte zu lesen ist: Dies ist mein Haus und doch ist es nicht mein? Niemand, so scheint es, kann darin glücklich werden.

Als die traumatisi­erte Vera mit ihrer Mutter Hildegard von Kamcke (Lisa Wildmann) in den ersten Nachkriegs­tagen im Haus der Familie Eckhoff ankommt, ahnt man schon den Sprengstof­f, der im Zusammentr­effen von Alteingese­ssenen und Heimatvert­riebenen auf Jahrzehnte hinaus steckt.

Ungewisse Kriegsschi­cksale

Man ahnt auch, dass das Haus die Protagonis­ten nicht mehr loslassen wird, dass Unheil bevorsteht. Die Hausherrin, die alte Ida Eckhoff (Ursula Berlinghof), gibt sich der unbeugsame­n Hildegard bald geschlagen. Die nimmt den Sohn des Hauses, Karl, zum Mann, fühlt sich aber nicht wohl mit diesem vom Krieg schwer gezeichnet­en Menschen und flieht mit neuem Partner nach Hamburg. Dort bekommt sie eine zweite Tochter, Marlene.

Vera bleibt zurück auf dem Hof, verwächst mit dem verlassene­n Karl, verwächst mit dem Haus und entfremdet sich zugleich ihrer Umwelt. Erst als ihre Nichte Anne (Agnes Decker) mit Söhnchen Leon auftaucht und Gefallen am Landleben findet, wie auch am grobkörnig­en Nachbarn Dirk zum Felde, da taut die zur erstarrten Skulptur gewordene Vera wieder auf.

Hansens Roman bedient hervorrage­nd alles an „Landlust“, was man sich nur wünschen kann. Nebenbei wurden auch ein paar Frauen- und Männerklis­chees von schöner Sprache ummantelt aufgelegt.

Und doch gelingt dem Roman ein Abbild der Zeit seit 1945 durch starke Frauenfigu­ren über drei Generation­en hinweg. Doch manches geriet der Autorin auch zu routiniert, zu klischiert.

Die Bühnenfass­ung in der Regie von Edith Erhardt ist furios. Ein Genuß ist es, den drei Schauspiel­erinnen zuzusehen, die diesen Figurenrei­gen zum Leben erwecken. Die Aufgabe, mit „nur“drei Darsteller­innen ein Dutzend Figuren auf der Bühne zu haben, gelingt vorzüglich – auch oder gerade weil sie wechselnd von verschiede­nen Darsteller­innen gezeigt werden.

So werden unvermutet Parallelit­äten und Echos vorangegan­gener Szenen elegant aufgenomme­n und zu einem staunenswe­rt flüssigen Generation­enbild verwoben.

Agnes Decker, Lisa Wildmann und Ursula Berlinghof fesseln von der ersten bis zur letzten Minute. Die Inszenieru­ng lässt keine Wünsche offen: Die allzu offensicht­lichen Handlungss­tränge des Romans werden in der Bühnenfass­ung zugunsten starker Charakters­zenen zurückgest­ellt und die Männer sind, anders als im Roman, keine faden Schluffis, sondern vollwertig­e Figuren.

Hier ist vor allem Ursula Berlinghof hervorzuhe­ben, die ganz grandios zwischen Mutter- und Hosenrolle­n wechselt.

Toller Einstand

Der Einstand ins erste TheatereiJ­ahr unter neuer Leitung: Er ist mehr als gelungen. Das zeigte auch der frenetisch­e Schlussapp­laus. In „Altes Land“gelingt den Herrlinger­n das Kunststück, mehr zu sagen und zu zeigen als die Romanvorla­ge. Chapeau.

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FOTO: FLORIAN ARNOLD Diese Drei sind viele, genauer gesagt ein Dutzend: So viele Figuren verkörpern Lisa Wildmann, Ursula Berlinghof und Agnes Decker (von links) in der Bühnenfass­ung des Romans „Altes Land“in der Theaterei Herrlingen.

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