Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Mosaik des Umbruchs
Bald 30 Jahre sind seit dem Mauerfall vergangen. Kann die DDR da noch als Ausrede für eine beschädigte Jugend oder ein verkorkstes Leben herhalten? Als Tochter eines NVA-Offiziers 1974 geboren und in der vorpommerschen Garnisonsstadt Eggesin aufgewachsen, kann die Schriftstellerin Julia Schoch mitreden. In Büchern wie „Mit der Geschwindigkeit eines Sommers“(2009) spürte sie auf beeindruckende Weise ihrer Herkunft als „Zonenkind“nach. Leicht gemacht hat sie es sich dabei nie.
Auch in ihrem neuen Roman „Schöne Seelen und Komplizen“fragt sie sich, ob Erfahrungen aus einer Zeit, die es nicht mehr gibt, heute noch etwas wert sind? Eine Handlung in dem Sinn gibt es nicht. Vielmehr lässt Julia Schoch 16 Schüler einer DDR-Abschlussklasse aus der IchPerspektive erzählen. Alle wurden sie an ein Elitegymnasium in Potsdam delegiert, von dem heute nicht mal mehr der Name existiert. Während die erste Hälfte des Buches Berichte aus der Zeit zwischen 1989 und 1992 versammelt, erzählen die Schüler in der zweiten Hälfte knapp 30 Jahre später, wie es ihnen ergangen ist. Aus einem polyphonen Chor der Individuen entsteht so ganz in der Tradition des modernen Romanes ein Mosaik des Umbruchs.
Der real existierende Sozialismus schlägt sich natürlich auch im Leben der Schüler nieder. Wenn etwa Alexander Wagenthaler von seinem Sportlehrer angesprochen wird, wie lange er sich für die Nationale Volksarmee verpflichtet: „Wir müssen wissen, wo du stehst.“Er wolle doch wohl sein Studium nicht gefährden? Alles in allem aber spielt die Politik eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger sind den Jugendlichen andere Dinge, wie die erste Liebe.
Da geht es ihnen dann schon mal so wie Vivien Korbus, die sich freiwillig zum Fackelzug nach Ostberlin delegieren lässt, nur um Sebastian nah zu sein. Jahre später erst erfährt sie, dass ihr Traumprinz gar nicht im Zug mitgelaufen ist, sondern sich in die nächste Disco abgesetzt hat. Gerade in der Beiläufigkeit, mit der sich die große Geschichte in diesen Berichten widerspiegelt, liegt die Qualität von Schochs Buch. Da wirkt nichts zugespitzt oder dramatisiert. Das sind alles normale Menschen, die ein normales Leben führen. Wenn sie scheitern, scheitern sie nicht an ihrer Sozialisation im sozialistischen Staat, sondern an sich selbst.