Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der Patient Italien ist immer noch krank
Im Wahlkampf spielen wirtschaftliche Probleme des Landes nur eine untergeordnete Rolle
ROM - Am kommenden Sonntag wird in Italien gewählt. Die Parteien stellen Themen wie Einwanderung und Sicherheit in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs – das Nord-Süd-Gefälle bleibt außen vor. Von den wirtschaftlichen Problemen des Landes sind vor allem junge Menschen betroffen.
So wie Claudia Mancuso. Die 26-Jährige resigniert. Mancuso hat an der römischen Universität La Sapienza Informatik studiert. Ihren Abschluss machte sie mit Bestnoten, und doch, klagt sie, „finde ich hier keine Arbeit“. Zwei Jahre lang habe sie nach einem Arbeitsplatz gesucht, der „meinem Studienabschluss entspricht – erfolglos“. Ihr wurde nur einziger Arbeitsplatz angeboten. In einem Unternehmen in Florenz, wo sie pro Monat 350 Euro verdient hätte. Für einen Acht-Stunden-Job. Jetzt packt die Informatikerin ihre Koffer. „Ich habe es aufgegeben“, sagt sie enttäuscht, „ich werde mein Glück im Ausland versuchen“. Ein Unternehmen im französischen Lyon will sie einstellen. Für den Job erhält sie ein Monatsgehalt von 2500 Euro.
Keine Verbesserung in Sicht
Wie Claudia Mancuso ergeht es vielen jungen Italienern, die ihrer Heimat den Rücken kehren, weil sie dort keine Zukunft für sich sehen. Im vergangenen Jahr sind rund 300 000 Italiener ausgewandert. Nach Nordeuropa, in die USA und nach Spanien, das ähnliche Probleme hat wie Italien. Und das, obwohl die Regierung des Sozialdemokraten Paolo Gentiloni nicht müde wird, auf die ihrer Meinung nach guten Wirtschaftsdaten hinzuweisen. „Die Arbeitslosenzahlen sind rückläufig, die Produktivität steigt, Italiens Wirtschaft wächst“, verkündete Matteo Renzi, Chef der Sozialdemokraten, am Donnerstag. Renzi ist sich sicher, „dass Italien im Fall unseres Wahlsiegs weiter wachsen wird“.
Von Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum kann jedoch derzeit keine Rede sein. „Sicherlich, die Staatsschulden sind leicht gesunken, auch die Arbeitslosenzahlen und die Produktivität unserer Wirtschaft ist gestiegen“, sagt Mario Monti, Wirtschaftsexperte und von 2011 bis 2013 italienischer Regierungschef. „Doch von einem Trend zu sprechen, ist mehr als gewagt.“Der Patient Italien ist immer noch krank, auch wenn das Wirtschaftswachstum zum Jahreswechsel bei 1,4 Prozent lag. Italien hinkt der Entwicklung im Euroraum um etwa 20 Jahre hinterher. Der durchschnittliche Italiener verdient heute nicht mehr als im Jahr 1998.
Susana Valloni ist Musiklehrerin an einer Mittelschule in Rom. Die 45-Jährige bekommt pro Monat circa 1500 Euro netto. Das ist ein italienisches Durchschnittsgehalt. Die Lebenshaltungskosten in italienischen Großstädten sind hoch. Ein Liter Milch kostet etwa 1,60 Euro. „Deshalb geben meine Landsleute auch so wenig Geld aus“, sagt Mario Monti, „sie haben einfach zu wenig davon und schauen zu unsicher in die Zukunft.“
Die Staatsverschuldung beträgt 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei elf Prozent, bei jungen Menschen unter 35 Jahren bei 25 Prozent, in Süditalien sogar weit über 30 Prozent. In den Jahren zwischen 1998 und 2017 ist die Produktivität der italienischen Wirtschaft um weniger als vier Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum waren es in Deutschland ganze 47 Prozent. Sicherlich wurden durch Arbeitsmarktreformen der sozialdemokratischen Regierungen Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen, aber die meisten befristet und schlecht bezahlt. Auch das ist ein wesentlicher Grund, warum vor allem immer mehr junge Menschen auswandern. Während die Themen Einwanderung und Sicherheit den Wahlkampf dominieren, scheinen sich die Parteien für andere Probleme nicht zu interessieren. Die meisten Parteien lehnen Einwanderer strikt ab. Dabei wäre die Integration von Ausländern aber nötig, denn bei einer Geburtenrate von durchschnittlich 0,2 Prozent, eine der niedrigsten weltweit, wird die Bevölkerung immer älter. Nachwuchs in verschiedenen Arbeitsbereichen fehlt.
Die Mafia beherrscht ein Drittel
Gründe für die wirtschaftlichen Probleme liegen auch in der mangelhaften Infrastruktur und in einer ausufernden und oft korrupten Bürokratie. Ein guter Teil der EU-Gelder für Italien landet entweder in den falschen Händen, etwa mafiösen Unternehmen, oder aber muss nach Brüssel zurück gezahlt werden, weil es den Behörden nicht gelang, sie innerhalb vorgegebener Zeitfristen einzusetzen. Auch das Problem der organisierten Kriminalität wächst. Rund ein Drittel des italienischen Territoriums ist Wirtschaftsraum der Mafia. Das ist kein Thema des Wahlkampfs.
Wo die Mafia den Ton angibt und ganze Wirtschaftszweige kontrolliert, vor allem in den süditalienischen Regionen Sizilien, Kampanien und Apulien, liegt das BIP 50 Prozent unter den wirtschaftlich brummenden Regionen Norditaliens. In Südtirol, im Trentino, in Venetien und in der Lombardei herrschen nahezu paradiesische Zustände im Vergleich zum sozial, wirtschaftlich, bildungspolitisch und kulturell heruntergekommen Süden. In der Lombardei lag das BIP im vergangenen Jahr bei 25 Prozent über dem EU-Durchschnitt, in Südtirol sogar bei 47 Prozent.
Doch in ihren Wahlprogrammen thematisieren die Politiker die Probleme zwischen Süden und Norden nicht. Sie sind gefangen in ihrem wirtschaftspolitischen Wunschdenken. Dass immer mehr Italiener auswandern, wird dabei stillschweigend hingenommen.