Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Vielschichtiges Portrait mit Liebe zum Detail
Preview im Kulturhaus: SWR-Doku in Spielfilmlänge würdigt Kino-Pionier Carl Laemmle – Größtes Kompliment kommt aus der Fachwelt
LAUPHEIM - „Das Laemmle-Jahr schlägt auch über 2017 hinaus Wellen“, sagte der künftige Laupheimer OB Gerold Rechle am Donnerstagabend im Kulturhaus. Bezogen hatte er sich damit nicht nur auf die Produzentenpreisverleihung am 16. März, sondern auf ein Ereignis am Tag zuvor: Am 15. März um 23.15 Uhr strahlt das SWR-Fernsehen die Dokumentation „Carl Laemmle – ein Leben wie im Kino“aus. Am vergangenen Donnerstag haben etwa 200 Besucher die Gelegenheit genutzt, das 90-minütige Werk des Regisseurs Jo Müller zusammen mit ihm vorab anzuschauen. Und was sie sahen, war ein vielschichtiges, mit viel Liebe zum Detail, zum Protagonisten und auch seiner Heimatstadt Laupheim erstelltes Portrait.
Ein größeres Lob kann es für einen Filmemacher kaum geben. Die renommierte Fernsehzeitschrift „TV Spielfilm“erkor die Doku „Carl Laemmle – ein Leben wie im Kino“zum „Tipp des Tages“– ein Prädikat, das sonst meist nur quotenträchtigen Filmen zur Primetime vergönnt ist.
„Diese Nummer ist sehr ungewöhnlich.“Regisseur Jo Müller über die Würdigung seines Films durch die Fernsehzeitschrift „TV Spielfilm“
„Eine Doku, im dritten Fernsehen, um 23.15 Uhr – diese Nummer ist sehr ungewöhnlich. Ja, das macht mich schon stolz“, sagte denn auch Jo Müller, von der SZ auf die Beurteilung angesprochen. Doch nicht nur in der TV-Fachwelt kommt sein Werk an, auch das Laupheimer Publikum – und darunter etliche Historiker und Laemmle-Kenner – fühlte sich bestens unterhalten, wie der abschließende Beifall und die Reaktionen zeigten.
Dabei wäre das Projekt um ein Haar gescheitert, verriet Jo Müller den Besuchern. „Der Produzent ist kurz vor Beginn der Dreharbeiten gestorben“, erzählte er. „Und es gleicht einem Wunder, dass Sie den Film heute sehen können.“Allein der Kampf um die Rechte von Hollywood sei ein zermürbender gewesen. „Da lagen unsere und deren Vorstellungen ganz leicht auseinander“, berichtete Müller ironisch. Doch getreu Laemmles Motto „It can be done“kämpfte Müller weiter – und hatte Erfolg. Dem Einsatz der neuen Produzenten aus Hamburg – die am Donnerstag trotz tiefstem Winter nach Laupheim gekommen waren – sei es zu verdanken gewesen, dass das Projekt am Ende doch verwirklicht werden konnte.
Was aber macht diese Dokumentation – es ist ja nicht der erste Film über den HollywoodPionier aus dem Schwabenland – so außergewöhnlich? „Es ist eine gute Mischung aus historischen Kommentaren und dem Blick auf die Gegenwart“, urteilt Dr. Michael Niemetz. Der Leiter des Laupheimer Museums zur Geschichte von Christen und Juden kommt in der Doku mehrfach zu Wort, ebenso Cornelia Hecht und Rainer Schimpf vom Haus der Geschichte in Stuttgart. Die eingestreuten Statements sind der spannende historisch-wissenschaftliche Teil der Doku. Hinzu kommen Kommentare von Gabriele Bayer, der Witwe des vor wenigen Jahren verstorbenen Laupheimer Historikers Dr. Udo Bayer. Dessen großer Anteil daran, dass die Erinnerungen an Carl Laemmle in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten neu erwacht sind und insbesondere seine rettenden Bürgschaften für deutsche Juden bekannt wurden, wird in dem Film gebührend gewürdigt. Spannende Informationen liefern auch die in den USA interviewten Nachkommen Laemmles. Zum Beispiel Ururgroßnichte Antonia Carlotta, die in einem eigenen Youtube-Kanal die Erinnerungen an „Uncle Carl“am Leben hält. Oder Greg Laemmle: Der Enkel eines Neffen von Carl Laemmle betreibt im Großraum Los Angeles acht Kinos. Und nicht zuletzt Sandy Einstein, dessen Vater durch eine Bürgschaft Laemmles vor dem Zugriff der Nazis gerettet wurde.
Jo Müller hat für die Dokumentation eine Menge historisches Filmmaterial zusammengeschnitten – von Original-Aufnahmen über Carl Laemmles Wirken in den USA, über Ausschnitte aus seinen berühmtesten Filmen bis hin zu einem seiner von vielen Freunden und Verwandten begleiteten Besuche in Laupheim im Jahr 1925. Natürlich zeigt die Dokumentation auch das heutige Hollywood, den berühmten Boulevard mit den ebenso berühmten Sternen. Einer davon huldigt natürlich Carl Laemmle, ohne den – eine zentrale Botschaft der Doku – es die Kinowelt in der heutigen Form nicht gäbe.
Der „Zocker“fasziniert
Einen ganz besonderen Charme erhält Müllers Film durch die in Laupheim gedrehten Szenen. „Bei den Dreharbeiten in den USA fiel immer wieder der Name ,Laupheim’. Bei meinen Interviewpartnern spielte Carl Laemmles Herkunft eine große Rolle“, erzählt Jo Müller. Mangels Original-Aufnahmen aus der Heimat setzte er Laemmles Laupheimer Leben mit einheimischen Darstellern geheimnisvoll in Szene (siehe ExtraBericht). „Die Stadt Laupheim hat uns toll unterstützt, und die über ein Casting gewonnenen Schauspieler haben super mitgemacht“, lobte der Regisseur den Einsatz der Filmlaien. Ganz wichtig war Müller dabei, auch Laemmles Spielsucht darzustellen – eine in anderen Produktionen oft verschwiegene Schattenseite des Hollywood-Pioniers. „Es hat mich fasziniert, dass er ein Zocker war“, sagt Müller über den Charakterzug, der seinen Protagonisten sowohl privat als auch geschäftlich geprägt hat. Zum Zentrum seiner Laupheimer Pokerrunden wurde das Gasthaus zum Rothen Ochsen, deren heutige Betreiber Sandra und Magnus Wilfert im Film über die historische Bedeutung ihrer Gastwirtschaft berichten dürfen.
Fazit: Wer nach dem Laupheimer Laemmle-Jahr 2017 und den zahlreichen Medienberichten und Aufführungen glaubte, schon alles über den vielleicht berühmtesten Sohn der Stadt zu wissen – der wird durch die SWR-Dokumentation eines Besseren belehrt. Brigitte Schmidt, die seit Jahrzehnten Besucher durch das Laupheimer Museum und den Laemmle-Trakt führt, war jedenfalls beeindruckt von dem Film und meinte: „Ich habe heute viel Neues erfahren.“
„Bei den Dreharbeiten in den USA fiel immer wieder der Name ,Laupheim’.“
Jo Müller