Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die Entzauberung eines Mythos
Frankfurter Kunsthalle Schirn präsentiert die Kunst von Jean-Michel Basquiat
FRANKFURT (epd) - Die Mythisierung Basquiats (1960-1988) überwiege noch immer die wissenschaftliche Betrachtung seiner künstlerischen Arbeit, moniert der Direktor der Frankfurter Kunsthalle Schirn, Philipp Demandt. Häufig werde auch der historisch-kulturelle Kontext unterschlagen, in dem seine Arbeiten entstanden sind: „Das New York City der späten 70er und frühen 80er Jahre mit seiner Club- und Partyszene, aber auch mit seinen Straßenkämpfen und brennenden Müllcontainern“, eine Szenerie, so Demandt, die „Endzeitstimmung“verbreitete.
Die Ausstellung „Basquiat. Boom for Real“in der Schirn beleuchte erstmals dieses produktive und für den Künstler zentrale Wechselspiel. Es ist die erste Präsentation des US-Amerikaners in Deutschland seit 1986. Basquiat sei geradezu gierig gewesen nach Informationen und habe Kultur in einer „kaum vorstellbaren Breite und Geschwindigkeit“konsumiert, um die für ihn relevanten Daten wie ein DJ zu mischen und in Kunstwerke zu übersetzen, erläutert der SchirnDirektor. Er sei damit der damals in der internationalen Kunstszene verbreiteten Tendenz gefolgt, multidisziplinär zu arbeiten. Neben Gemälden und Zeichnungen entstanden Gedichte, Performances, Musik, Kopierund Objektkunst.
1960 in Brooklyn als Sohn eines haitianischen Vaters und einer puerto-ricanischen Mutter geboren wuchs Jean-Michel Basquiat inmitten der Post-Punk-Szene in Lower Manhattan auf. Nachdem er die Schule mit 17 verlassen hatte, schuf er das Pseudonym „SAMO“und signierte damit poetische Graffiti, die die Aufmerksamkeit der New Yorker Kunstszene auf sich zogen. Er spielte in dem Film „New York Beat“mit, arbeitete mit der „Blondie“-Sängerin Debbie Harry zusammen und trat mit seiner experimentellen Band „Gray“auf. Und er entwickelte Wandbilder und Installationen für New Yorker Clubs.
Experimente mit Materialien
Aus dieser sich im Lower Manhattan versammelnden Kreativszene des Post-Punk-Undergrounds heraus eroberte Basquiat die Kunstwelt und erhielt 1982 als bis dahin jüngster Teilnehmer in der Geschichte der documenta 7 in Kassel internationale Anerkennung.
Was Basquiat für seine Arbeit brauchte, nahm er sich aus seinem Umfeld. Dabei experimentierte er auch mit verschiedenen Bildträgern und Materialien. Seine besondere Vorliebe galt schematischen Darstellungen komplexer Zusammenhänge. Das Rohmaterial für seine Kunst fand er beispielsweise im Anatomie-Klassiker von Henry Gray aus dem Jahr 1858 und in Harold Bayleys „The lost Language of Symbolism“(1912). Immer wieder bezieht sich Basquiat in seinen Arbeiten auch auf die Bibel. Und er zitiert gerne die Werke berühmter Künstler, unter anderem von Pablo Picasso, Henri Matisse, Tizian oder Leonardo da Vinci.
Seine Gedanken- und Ideenwelt hielt Basquiat in linierten Notizheften fest. Die Ausstellung versammelt eine Auswahl dieser Hefte mit Gedichten, Skizzen, Zitaten, Textfragmenten und Adressen, die Tagebücher und Inspirationsquellen zugleich waren. Fast 30 Jahre nach seinem Tod hätten seine Werke nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt – weder auf dem Kunstmarkt noch bei Kunsthistorikern, so Demandt.