Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Eiskalt erwischt
Nach den Frostschäden von 2017 rüsten immer mehr Obstbauern in der Bodenseeregion technisch auf
TETTNANG/RAVENSBURG/FRIEDRICHSHAFEN - Peter Bentele wusste drei Tage vorher, was da auf ihn zukommt. Erinnerungen an das Jahr 1981 wurden wach. Damals hatte der Obstbauer aus Wellmutsweiler (Bodenseekreis) gerade den Betrieb seiner Eltern übernommen, als ihm heftige Nachtfröste die gesamte Apfelblüte zerstörten. 36 Jahre später drohte ein ähnliches Szenario: Zwischen Hoch „Querida“und Tief „Peter“schob sich in den Tagen um den 20. April des vergangenen Jahres eine ungewöhnlich starke Kaltfront über Westeuropa. Sie kroch – unsichtbar, leise und eiskalt – auch die Hänge des Argentals hinab, über die Apfelplantagen von Peter Bentele.
Nachtfröste im April sind im Bodensee-Hinterland nicht selten. Bentele kennt sich damit und mit Frostschutzmaßnahmen aus. Doch nach einem ungewöhnlich trockenen und warmen Frühjahr ist die Natur im April 2017 schon viel weiter als sonst – Kern- und Steinobst stehen in voller Blüte. Zusammen mit Sohn Johannes verbrennt Peter Bentele nächtelang Schilfballen. Der Qualm soll sich wie eine Wolke über die Apfelbäume legen. Damit hatten die beiden in der Vergangenheit schon dem ein oder anderen Kälteeinbruch getrotzt. Auch die Hagelnetze werden geschlossen. Doch im April 2017 hilft das alles nichts mehr. „Wir hatten hier minus sechs bis minus sieben Grad“, erinnert sich der heute 62-Jährige. Nach drei Frostnächten in Folge ist ein Großteil der Blüte erfroren.
Nur auf zwei von insgesamt 18 Hektar, auf denen die Benteles nach Demeter-Richtlinien Äpfel anbauen, können sie die Blüten retten. Auf dieser Fläche verrichtet eine Frostschutzberegnung ihr wärmendes Werk. Die permanente Berieselung schützt die Blüten vor dem Kältetod, da durch das gefrierende Wasser Wärme freigesetzt wird. In diesem Eispanzer kann die Temperatur an der Blüte, ähnlich wie in einem Iglu, leicht über dem Gefrierpunkt gehalten werden. Dieser Eispanzer sorgt dafür, dass die beiden Obstbauern Monate später beinahe eine Vollernte einfahren können – zumindest auf den zwei Hektar. Die anderen 16 dagegen sind zur Erntezeit nahezu leer. „Unter dem Strich haben wir 2017 einen Ausfall von 70 Prozent gehabt, ohne die Beregnung wären es 85 Prozent gewesen“, sagt Peter Bentele.
Zusammen mit den um gut 50 Prozent höheren Abnahmepreisen für Äpfel und den vom Land BadenWürttemberg bereitgestellten Entschädigungszahlungen ist der wirtschaftliche Schaden zwar zu verkraften. Doch seitdem steht für Vater und Sohn fest: Auch die anderen Anbauflächen sollen eine Frostschutzberegnung bekommen. Die nicht unerheblichen Investitionen – Bentele kalkuliert für die Vergrößerung des Wasserreservoirs, für leistungsstärkere Pumpen und für die Installation der Beregnungsanlage mit Kosten von rund 170 000 Euro – würden sich nach einem ähnlichen Frostereignis wie 2017 „schon nach einem Jahr amortisieren“.
Auch Joachim Arnegger trägt sich mit solchen Gedanken, nachdem ihm die Nachtfröste 2017 die Ernte gekostet haben. „Der Trend geht zu Vollkasko“, sagt der Obstbauer aus Weiherstobel bei Ravensburg. Er will künftig lieber weniger Fläche bewirtschaften und diese dafür absichern will, als beim Status quo zu bleiben. Als Direktvermarkter ist er auf eine Ernte angewiesen, sonst laufen ihm die Kunden weg. Aus dem nahe gelegenen Flüsschen Schussen, so sein Plan, will er deshalb bei Hochwasser einen Beregnungsweiher füllen, der auf ein Fassungsvermögen von 4500 Kubikmetern ausgelegt ist. „Damit könnte ich fünf Hektar über drei Nächte à zehn Stunden beregnen“, rechnet Arnegger vor.
„Einzig sinnvolle Maßnahme“
„Eine Frostschutzberegnung ist die einzig sinnvolle Maßnahme, um Extremen wie im April 2017 zu begegnen“, bestätigt Ulrich Mayr, der im Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee (KOB) in Bavendorf (Kreis Ravensburg) für die Sortenprüfung verantwortlich ist. Allerdings sind solche Anlagen in der Bodenseeregion – immerhin das zweitgrößte Obstanbaugebiet Deutschlands – bisher höchst selten. In Gegenden, wo der Obstbau eine vergleichbare Bedeutung hat, etwa im Alten Land, südlich von Hamburg, oder in Südtirol stehen bis zu 70 Prozent der Flächen unter Beregnung. Das hat etwas mit dem Wärmespeicher Bodensee zu tun, der etlichen Frostereignissen der Vergangenheit den Schrecken nahm. Bruno Brugger, der in Friedrichshafen Äpfel anbaut, kann sich in den vergangenen Dekaden an kein Frostereignis mit ähnlichen Auswirkungen wie 2017 erinnern.
Das hat aber auch etwas mit den kleinparzellierten Anbauflächen und der Gewässerstruktur in der Bodenseeregion zu tun, die Beregnungsanlagen vergleichsweise teuer machen. „Eine Beregnung wäre sicher die Ideallösung, sie kommt aus eben diesen Gründen für mich aber nicht infrage“, sagt Brugger. Der 77jährige Obstbauer hofft stattdessen, durch die Kreuzung von spätblühenden und pilzresistenten Sorten die Bäume „aus der Frostperiode heraus zu züchten“. Doch lässt sich das nicht von heute auf morgen machen. „Bis zur Marktreife einer neuen Sorte vergehen 15 Jahre“, sagt Mayr vom KOB in Bavendorf, der zudem bezweifelt, „bei diesem Thema züchtungstechnisch weiterzukommen“.
Inzwischen hat sich auch das Land Baden-Württemberg der Sache angenommen. Wenige Wochen nach den Aprilfrösten 2017, die als Naturkatastrophe eingestuft wurden, kündigte Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) unter anderem eine Anpassung der Förderpolitik für präventive Schutzmaßnahmen wie Beregnungsanlagen an. Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“erklärte Hauk vage, bei diesem Thema „gemeinsam mit der Branche einen guten Schritt vorangekommen“zu sein. Noch in diesem Jahr würden Machbarkeitsstudien durchgeführt.
Weitere Ansatzpunkte Hauks sind Versicherungslösungen und die Einführung einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage. „Wir müssen dahin kommen, dass Bund und Länder gemeinsam mit den Landwirten, die wir in die Verantwortung nehmen wollen, ein Risikomanagement aufbauen“, fordert der Minister. Grundsätzlich sei der Umgang mit den verschiedenen produktions- und marktbedingten Risiken zwar in erster Linie Aufgabe des Landwirts. Allerdings stünde die Branche vor einer neuen Situation. Das Ausmaß und die höhere Wahrscheinlichkeit von Risiken infolge von Klimawandel, Weltmarktturbulenzen und Agrarmarktliberalisierung hätten eine völlig neue Dimension angenommen. Gegenwärtig konzentriere sich die staatliche Unterstützung zur Bewältigung von Naturkatastrophen und widrigen Witterungsverhältnissen im Wesentlichen auf staatliche Soforthilfen. Diese könnten jedoch nur eine Ausnahme sein und keine strategische Lösung für die Zukunft, so Hauk.
Während in Stuttgart und Berlin noch um Lösungen gerungen wird, schaffen die Obstbauern in Wellmutsweiler, Weiherstobel und anderswo Fakten. Für Johannes und Peter Bentele steht nach Gesprächen mit Wasserwirtschaftsamt, Landschaftsund Naturschutz, nach etlichen Gutachten und zu erfüllenden Auflagen der Plan: Im Frühjahr 2019 soll die Beregnungsanlage auf 15 Hektar einsatzbereit sein. Auch Joachim Arnegger ist zuversichtlich, seinen Beregnungsweiher genehmigt zu bekommen. Es dauert halt. In der Zwischenzeit hat sich der Obstbauer Pelletsheizungen für seine Plantagen angeschafft. Die sind nachfüllbar – um das zu vermeiden, was ihm im vergangenen April widerfahren war: Die für knapp 5000 Euro eingekauften Paraffinkerzen gingen eine Stunde zu früh aus.