Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Tunesier hat Biowaffen gebaut
Der Bundestag beschließt ein neues Klagerecht – wichtige Antworten im Überblick
KÖLN (dpa) - Der in Köln gefasste Tunesier soll seit mehreren Wochen biologische Waffen in seiner Wohnung hergestellt haben und bei der Produktion seines tödlichen Gifts weit fortgeschritten sein. Das Material zur Herstellung von Rizin hatte sich der 29-Jährige nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft im Internet gekauft und seit Juni zusammengemischt. Es bestehe dringender Tatverdacht, Anhaltspunkte für eine „konkretisierte Anschlagplanung“gebe es nicht.
BERLIN - Der Bundestag hat die Musterfeststellungsklage beschlossen, mit der Verbraucher künftig gemeinsam rechtlich gegen Unternehmen vorgehen können. Wie funktioniert das? Was bringt es den Verbrauchern tatsächlich? Wichtige Fragen beantwortet Wolfgang Mulke.
Stimmt es, dass künftig „einer für alle“klagen kann?
So verspricht es Verbraucherministerin Katarina Barley (SPD). „Damit helfen wir allen, die ihr Recht einfordern“, sagt sie, sei es im Dieselskandal, bei zu hohen Gaspreisen oder ungültigen Versicherungsverträgen. Das neue Klagerecht trägt den sperrigen Namen „zivilprozessuale Musterfeststellungsklage“. Es tritt am 1. November 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt kann ein Verbraucherverband stellvertretend für alle geschädigten Kunden Klage gegen ein Unternehmen einreichen. Das Urteil in diesem Verfahren gilt dann als Maßstab für alle Betroffenen.
Wie funktioniert das Verfahren?
Wenn etwa der Bundesverband der Verbraucherzentralen oder der ADAC einen Missstand erkennen, der wenigstens zehn Verbraucher betrifft, können sie Klage erheben. Dazu müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene in einem Klageregister anmelden. Dieses Internet-Register richtet das Bundesamt für Justiz ein. Eintragen können sich Betroffene bis zum ersten Tag des Gerichtsverfahrens. Werden die Voraussetzungen erfüllt, befasst sich ein Oberlandesgericht mit dem Fall. Dessen Entscheidung, oder aber später die des Bundesgerichtshofes als höchste Instanz, ist dann für alle gleichgelagerten Fälle bindend. Gewinnt der Verbraucherverband, können alle im Klageregister eingetragenen Betroffenen danach ihren individuellen Schaden vor Gericht geltend machen. Da die Grundsatzentscheidung schon gefällt wurde, ist es für sie risikofrei.
Ist das neue Klagerecht ein echter Fortschritt?
Auch wenn die Opposition das Gesetz kritisiert, weil jeder Geschädigte am Ende doch selbst seinen Schadenersatz einklagen muss, ist diese Art der Sammelklage ein großer Fortschritt. Bisher wagen Verbraucher bei kleinen Schadenssummen meist keine Klage, weil sie hohe Kos- ten befürchten müssen, wenn sie vor Gericht verlieren. Die Musterfeststellungsklage ist kostenlos, und es wird kein Anwalt benötigt. Zudem ist es wahrscheinlich, dass Unternehmen bei einem verlorenen Verfahren von sich aus einen Ausgleich für alle Betroffenen anbieten, alleine schon, um weitere Kosten zu sparen. Einen Kritikpunkt teilen die Oppositionsparteien. Sie fänden es besser, wenn das Gericht auch gleich die Leistungen beim Schadensausgleich festlegen müsste.
Was bringt das Klagerecht betrogenen VW-Kunden?
Das Gesetz wurde gerade wegen des Dieselskandals im Eiltempo durch den Bundestag gebracht. Nicht umsonst kritisieren es Oppositionsmitglieder als „Lex VW“. Für betrogene VW-Kunden ist es jedoch eine echte Hilfe. Schließlich ruht für alle in einem Klageregister eingetragenen Verbraucher die Verjährungsfrist. Sie können in Ruhe das Ergebnis der Verbandsklage abwarten, auch wenn bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung viel Zeit ins Land geht. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat schon angekündigt, dass er nach Inkrafttreten und damit vor dem Ende der Verjährungsfrist im Fall VW am 31. Dezember 2018 eine Musterfeststellungsklage anstrengen will.
Wer darf für die Verbraucher vor Gericht ziehen?
Dieser Punkt war bis zuletzt umstritten. Die Bundesregierung hat sich nach langer Diskussion auf strenge Richtlinien für die Klageberechtigung geeinigt. Damit soll verhindert werden, dass eine Art Klageindustrie, wie es sie in den USA gibt, ins deutsche Rechtssystem einzieht. Klagebefugt sind nur Verbraucherverbände, die wenigstens 350 Mitglieder oder zehn Mitgliedsverbände vorweisen können und auf einer Liste qualifizierter Einrichtungen entweder in Deutschland oder der EU geführt werden. Sie dürfen eine Klage nicht aus Gewinnstreben erheben. Auch dürfen nicht mehr als fünf Prozent ihrer Einnahmen aus Einzahlungen von Unternehmen stammen. Ausgeschlossen ist unter anderem die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die maßgeblich zur Aufdeckung des Dieselskandals beigetragen hat. Die DUH wirft der Bundesregierung vor, ein „Klageverhinderungsgesetz“durchzusetzen.