Schwäbische Zeitung (Laupheim)
EuGH verurteilt Berlin wegen Nitrat
Der EuGH verurteilt Deutschland wegen zu hoher Belastung – Wie geht es jetzt weiter?
LUXEMBURG (dpa) - Zu viel Gülle und Dünger – der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat Deutschland am Donnerstag verurteilt, weil die Regierung über Jahre zu wenig gegen Nitrate im Grundwasser unternommen hat. Nitrate stammen meist aus der Landwirtschaft. Ein Übermaß schadet der Umwelt und birgt Gesundheitsrisiken für die Menschen. Welche Konsequenzen das Urteil hat, blieb zunächst jedoch offen. Schon 2014 hatte die Kommission Berlin abgemahnt.
BRÜSSEL/RAVENSBURG (AFP) Wenn Bauern im Frühjahr Gülle auf die Felder sprühen, sprießt bald das erste Grün. Doch das hat Nebenwirkungen. Nitrate aus überschüssigem Dünger sickern ins Grundwasser, in Bäche, Flüsse und ins Meer und werden zur Last für Mensch und Umwelt. Weil Deutschland dagegen jahrelang zu wenig unternahm, hat der Europäische Gerichtshof das Land am Donnerstag verurteilt. Doch was bedeutet das? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was hat der EuGH entschieden?
Weil an zu vielen Stellen in Deutschland zu hohe Nitratwerte in Grundwasser und Oberflächengewässern gemessen wurden, hat die EU-Kommission die Bundesregierung 2016 verklagt. Sie warf ihr einen Verstoß gegen EU-Recht vor. Die Brüsseler Behörde hatte Deutschland zuerst abgemahnt, kam aber zu dem Schluss, dass Berlin trotzdem zu wenig gegen die Verunreinigungen durch Nitrate unternahm – und bekam nun vom Europäischen Gerichtshof Recht. Allerdings bezog das Urteil sich auf den Stichtag 11. September 2014, seitdem hat sich etwas getan. Unmittelbare rechtliche Folgen hat das Urteil nicht.
Warum ist Nitrat ein Problem?
Pflanzen brauchen Nitrat für ihr Wachstum, und der Stoff ist für den Menschen auch erstmal ungefährlich. Durch chemische Zerfallsprozesse können daraus aber gesundheitsgefährdende Nitrite entstehen. Auch Darmbakterien wandeln Nitrat in Nitrit um. Zu viel Nitrit im Körper wiederum kann Durchblutungsstörungen verursachen, bei Säuglingen wird die Sauerstoffversorgung der Zellen geschädigt. Zudem können unter Einwirkung der Magensäure aus Nitriten krebserregende Nitrosamine werden. Wegen der Risiken gibt es EUGrenzwerte: Eine Konzentration von über 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser gilt demnach als bedenklich für die Gesundheit.
Wie groß ist das Problem in Deutschland?
Man muss unterscheiden: Im Trinkwasser werden die Grenzwerte bis auf wenige Einzelfälle eingehalten, man kann es bedenkenlos trinken. Anders ist es beim Grundwasser. An 28 Prozent der Messstellen in Deutschland wurden laut einem Bericht von 2016 mehr als 50 Milligramm Nitrat gemessen. Und Grundwasser ist das wichtigste Reservoir für Trinkwasser. Wenn es zu viel Nitrat enthält, müssen Wasserversorger es filtern oder verdünnen, oder die Brunnen müssen tiefer werden. Das ist teuer — letztlich treffen die Kosten für diese Maßnahmen die Verbraucher, denn es drohen höhere Wasserpreise. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft gehört deshalb zu den drängendsten Mahnern, für eine Einschränkung des Düngens.
Was hat die Bundesregierung dagegen unternommen?
Die EU-Nitratrichtlinie verpflichtet Staaten zu Aktionsprogrammen, wenn Grenzwerte nicht eingehalten werden. Die EU-Kommission kam aber vor ihrer Klage zu dem Schluss, dass das deutsche Programm zu lax war und nicht genug nachgeschärft wurde. Nach Einreichung der Klage 2016 setzte die Bundesregierung nach langem Gezerre strengere Regeln fürs Düngen in Kraft, die seit 2017 gelten. Dazu zählen längere Zeiten mit Düngeverboten, größere Abstände zu Gewässern und
größere Gülle-Speicher.
Ist das Problem damit für Deutschland vom Tisch?
Juristisch vorerst schon. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) sucht jetzt das Gespräch mit Brüssel. Die EU-Kommission wird das Urteil auswerten und muss entscheiden, ob sie weiter gegen Deutschland vorgeht. Erst mal drohen aber keine Strafzahlungen, erklärte Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. „Wenn die Kommission zu dem Ergebnis käme, es ist immer noch nicht ausreichend, dann müsste sie ein völlig neues Vertragsverletzungsverfahren aufsetzen, das wieder bei null anfängt.“Ob das neue Düngerecht dem EU-Recht entspricht, ist umstritten – Umweltschützer und Wasserversorger sagen, es reiche nicht. Klöckner dagegen verteidigte die neuen Regeln allerdings erst einmal.